Am Limit
Gastkommentar von Kabarettist Norbert Peter
Unsere Smartphones sind nicht nur als Prestige-Objekte tauglich: War es vor zwanzig Jahren die rosa Zeitung, die wir stolz unterm Arm trugen, zeigen wir jetzt gerne unseren Fetisch mit dem angebissenen Obst. Auch grenzenlose Information und tausendfache Kontaktmöglichkeiten eröffnen sich uns. Ob Freunde, ehemalige Lehrer oder Conchita Wurst: Über facebook, twitter und Co tauschen wir uns aus und folgen den Gedanken der anderen. Ab wann stößt unsere Aufnahme-Kapazität an ihre Grenzen?
Nicht einmal beim Nordic Walking sind wir alleine: Mit Trainingsprogrammen am Smartphone und Pulsmessgerät stürzen wir uns ins "Self-Tracking". Wir messen, sammeln und verwerten möglichst viele Daten über uns. Nur bekommen wir von der Landschaft nicht mehr so viel mit, weil ja die Gehgeschwindigkeit abgewogen werden muss, mit der vom ersten Kilometer. Und jener vom nächsten. Und jenen von gestern.
Erschöpft besteigen wir den Bus. Die Zeit vertreiben wir uns damit, einen Blick in die Tageszeitungen zu werfen. Digital. Nicht der Blick ist digital, die Tageszeitungen sind es. Wir rufen die großen Zeitungen des Landes auf. Wir wissen, dass ein Teil der Artikel in den an sich unterschiedlichen Ausgaben ident ist. Aber man will sich halt umgeben von Vielfalt wähnen und überzeugt sich davon, dass das Finale des Eurovision Songcontest in allen Ausgaben am 25. Mai in der Wiener Stadthalle stattfindet. Und Richard Lugner keine eigene Loge für seine Gäste erhält.
Auch wenn wir zum Beispiel Tickets für das allerletzte Abschiedskonzert der Rolling Stones erhalten haben, erwarten uns einschneidende Veränderungen. Das Mitgrölen und Tanzen, noch vor einem Jahrzehnt Ausdruck ultimativer Stimmung, ist heute tabu, denn es könnte das Bild verwackeln und den Ton gefährden. Der Fan von heute hält seinen Arm mit Handy wie einen Kameraschwenkarm in die Höhe und die Luft an.
Und nach dem Konzert in einem Lokal noch auf ein Glas Wein? Auch hier stehen wir in einer Konkurrenz zu den digitalen Spielverderbern. Nüchterne Fakten ersetzen spannende Streitgespräche. Statt leidenschaftlich zu diskutieren, müssen wir mit rauchendem Kopf den Angaben im Netz folgen. Ein paar Mal gedrückt und gewischt und wir wissen: 1963 erschien ihre erste Single, Sir Michael Philip Jagger ist Brite, und nein, beim Musikantenstadl sind sie noch nie aufgetreten ...
Letztlich haben die modernen Geräte uns sogar Orte kommunikativ erschlossen, von denen wir nicht zu träumen wagten. Oder konnten wir uns vor 25 Jahren vorstellen auf dem WC zu telefonieren? Die Stille haben wir dem Örtchen mittlerweile ausgetrieben. Wir setzen unsere Spiele am Handy fort, aktualisieren den Status unserer Sozialen Netzwerke und - abgesehen davon, dass wir unser Spielzeug dabei mit allerlei Keimen benetzen: Wir kommunizieren mit heruntergelassener Hose!
Doch bevor wir uns in den Weiten des Smartphones verlieren und uns die digitale Demenz ausschaltet, setzen wir einen Akt des Aufbegehrens. Eine Therapie muss her. Kennt jemand einen guten Psychiater?
Eine gute Frage für unser Soziales Netzwerk! Wir wischen über den Bildschirm. Beim Aufleuchten des Gerätes bildet sich ein Sog, der unsere Aufmerksamkeit hinein zieht und sie in den Weiten des Netzes wirkungslos verpuffen lässt. Nachhaltig.
Norbert Peter ist Kommunikationswissenschaftler, Kabarettist und Autor.
Sein aktuelles Buch: Mailbox voll, Akku leer. Müssen wir jetzt reden? Wie die digitale Revolution die Gesellschaft verändert.
Facebook beim Essen. Simsen statt Plaudern. Googeln statt Nachfragen. Kommunikation reicht heute tief in alle Lebensbereiche hinein. Manche von uns macht sie angeblich sogar süchtig. Aber das passiert natürlich nur den anderen.
Wiegen die Vorteile der neuen Kommunikationsmöglichkeiten deren Nachteile noch auf? Sie erleichtern uns viele Abläufe, aber um den Preis der Entmündigung. Nicht nur, dass wir an Konzentrationsfähigkeit verlieren, weil die Vielzahl an Abläufen uns überfordert, die Breite an Themen nur durch den Verlust an Tiefe zu bewältigen ist - wir delegieren auch erlernte Fähigkeiten an technische Geräte. Und für die dadurch frei werdenden Kapazitäten gibt es zum Glück YouTube ...
Steckt die Menschheit nur temporär in der lustvollen Dauer-Kommunikationsfalle fest oder haben wir es mit einer beunruhigenden Entwicklung zu tun? Kabarettist und Kommunikationswissenschaftler Norbert Peter zeigt in seinem neuen Buch die Komplexität und die Absurdität der modernen, multimedialen Gesellschaft auf - wie gewohnt aus satirischem Blickwinkel. Das Lachen bleibt uns dabei aber mehr als einmal im Halse stecken.
INKL. E-BOOK, Braumüller Verlag