Am seidenen Faden
Editorial 2/2024
Eine Laus verrät, seit wann Menschen Kleidung tragen: vermutlich so lange wie es Kleiderläuse gibt – seit etwa 75.000 Jahren. Die ersten Werkzeuge, mit denen Tierhäute bearbeitet wurden, sind aber älter: Wir können uns vorstellen, wie ein Neandertaler vor knapp 200.000 Jahren am Ufer eines Sees saß und mit Eichensäure und einem Steinwerkzeug ein Fell gerbte.
Ganz anders wird Kleidung heute erzeugt: im Akkord. Drei der vier tödlichsten Fabrikunglücke der Bekleidungsindustrie ereigneten sich in den letzten 15 Jahren – Ali Enterprises, Tazreen Fashion, Rana Plaza. Zur Fast-Fashion hat sich Ultra-Fast-Fashion gesellt, die täglich 5.000 Tonnen Waren verschickt, ganze 40 Frachtflugzeuge füllt. Das bringt nicht nur den Transportmarkt an seine Grenzen, sondern hinterlässt auch einen Müllberg ohne Ende. Jede Sekunde wird eine LKW-Ladung Textilien verbrannt oder deponiert. Zwischen 2000 und 2014 hat sich die Bekleidungsproduktion verdoppelt, bis 2030 wird sie sich vervierfacht haben.
Auf der anderen Seite bewegt sich etwas: Große Modeketten haben Vereinbarungen zur Gebäudesicherheit in Produktionsländern unterschrieben und begonnen, auf eine giftfreie Herstellung hinzuarbeiten. In Indien ist ein Meilenstein zur Bekämpfung sexueller Gewalt in der Textilproduktion gelungen. Und in Österreich gibt es kleine und größere Labels, die mit Qualität, Innovation und Handwerk punkten. Ihnen ist diese Ausgabe gewidmet.
Und all jenen, die nur mehr Lieblingsstücke im Kasten haben und die richtigen Materialien dafür finden möchten. In Österreichs Kleiderschränken liegen 72 Millionen ungetragene Kleidungsstücke – im Schnitt 11 pro Person. Daran können wir schon vor der nächsten Kaufentscheidung etwas ändern. Nicht im Schrank liegen sollte jedenfalls unser ganzes Erspartes – wie du es nachhaltig anlegen oder mit deinen Kindern über Geld reden kannst, erfährst du ebenfalls in dieser LEBENSART.Herzlichst,
Michaela R. Reisinger
Chefredakteurin
redaktion@lebensart.at