Generationen & Geschichten
Editorial 5/2021
Foto: AIT Austrian Institute of Technology
Michaela R. Reisinger
Chefredakteurin
michaela.reisinger@lebensart.at
Vor einigen Jahren lag vor mir ein Holzstamm, den ich für ein Möbelstück bearbeiten wollte. Tiefe Einschnitte zeichneten seine Seiten. Kantig und hart waren die Stellen, an denen Äste und Zweige grob abgeschlagen worden waren. Nicht glatt und neu. Sollte ich diese Stellen glattschleifen?
Ich habe mich dagegen entschieden – die Einschnitte erinnern mich an den Baum im Wald. Wenn ich sie sehe, rieche ich Harz, feuchtes Laub und eine grobe Wollmütze kratzt meine Stirn. Sie erinnern mich an meine Eltern bei der Waldarbeit und daran, wie wir gemeinsam ein Möbelstück bauen. Ein Teil meiner Geschichte, viel wertvoller als „glatt und neu“.
Heute kenne ich neben „belassen“ oder „wegpolieren“ noch eine dritte Option: Den verborgenen Wert durch das Handwerk zu zeigen und den vermeintlichen Makel zu einer neu gewonnenen Schönheit wachsen zu lassen. Kintsugi, die japanische Handwerkskunst (Seite 56), ist so ein Weg, der Geschichte zu Gold macht.
Die Philosophie, das Gereifte und Makelhafte wertzuschätzen, lässt sich aber nicht bloß auf Objekte anwenden, sondern fragt ganz frei: Welche Geschichten schreiben wir – und wie gehen wir damit um? Der Schwerpunkt dieser LEBENSART lädt Sie deshalb auf eine Generationenreise ein: Darüber, wie Sie den goldenen Staffelstab weitergeben, wie wir die Stärke jeder Generation schätzen, welche Initiativen Generationen zusammenbringen und wie Familien die ultimative Feuerprobe, das Erbe, bestehen. Wie wir auch aus destruktiven Mustern ausbrechen können, erzählt uns der Verein Grow Together, der junge Eltern begleitet, damit alte Wunden durch Respekt und Wertschätzung heilen (Seite 64).
Erzählen Sie einander Ihre Geschichten, bleiben Sie gesund und genießen Sie die Weihnachtszeit!
Herzlichst,
Michaela Reisinger
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