In den Chatroom oder zu mir?
Editorial 7/2016
Für diese Ausgabe der LEBENSART, liebe Leserinnen, liebe Leser, haben wir uns zweier großer Themen angenommen, die auf den ersten Blick sehr gegensätzlich wirken: Die technisch diffizile und für viele undurchsichtige DIGITALISIERUNG scheint so gar nichts mit dem beziehungsintensiven, freudvollen MITEINANDER zu tun zu haben. Sieht man sich aber in Cafés oder in der Bahn um, sind mehr Menschen über ihr Handy in die digitale Welt vertieft als in ein lebendiges Gespräch mit Sitznachbarn. Ihre Familie ist die WhatsApp-Gruppe, ihr Freundeskreis die Community auf der sozialen Plattform. Die Sprache reduziert sich auf Daumen hoch, LOL, Grr, Smile. Sehr bequem, weil man sich unterhalten kann, ohne die verbale Komfortzone verlassen zu müssen. Ja, im besten Fall muss man gar keine Sprachen mehr lernen. Emoticons werden von allen Kulturen verstanden.
Sehr bequem auch, weil man sich kaum mit Andersdenkenden herumschlagen muss. Social Networker bewegen sich in einem virtuellen Echoraum und werden immer mehr mit der Meinung beschallt, die sie selbst vertreten. Welche Chancen und Gefahren in den digitalen Möglichkeiten liegen und wie sie unser Weltbild formen, lesen Sie auf Seite 16.
Echte Begegnungen, vielfältige Diskussionen und ein tiefgehender Austausch können nur dort stattfinden, wo wir uns gegenüberstehen. Dazu braucht es sprachliche Kompetenzen ebenso wie die Fähigkeiten, aus der Mimik zu lesen, Freud und Leid der anderen auszuhalten und aktiv auf Menschen zuzugehen. Zum Beispiel auf die Nachbarn. Ideen für Projekte, die nachbarschaftliche Beziehungen beleben, finden Sie ab Seite 8.
Ich wünsche Ihnen eine frohe Weihnachtszeit und viele herzberührende Begegnungen mit der Familie, mit Freunden – und mit Ihren Nachbarn.
Annemarie Herzog, Chefredakteurin LEBENSART