Es irrt der Mensch, solang er isst.
Genussgrübeleien von Jürgen Schmücking
Bei der Recherche zu einem anderen Thema bin ich über ein Zitat gestolpert, das ich erst einmal verdauen musste. Es ging um Lebensmittelunverträglichkeiten, und in einem Interview wurde ein Experte gefragt, ob er nach schwerem Essen einen Verdauungsschnaps empfehlen würde. Sinngemäß sagte der Onkel Doktor, dass, wenn man daran glaubt, man schon ein Stamperl nehmen könnte. Viel sinnvoller wären allerdings zwei oder drei Globuli X mit einer Y-Potenz, und es deutet alles darauf hin, dass er das ernst gemeint hat. Impulsiv hätte ich die Aussage sofort auf den Kopf gestellt. Also, wenn man an Homöopathie glaubt, kann man schon ein paar Kugerl nehmen, wenn es wirken soll, eben einen Korn. Trotzdem kam ich ins Grübeln. Mein heiß geliebter Edelbrand von der Roten Williams und mein biodynamischer Brunello-Grappa sollen Placebos sein? Nur wirken, wenn ich daran glaube. Das glaube ich nicht. Will ich nicht glauben. Und wenn das wirklich so ist, was ist mit anderen Glaubenssätzen der Kulinarik?
Beginnen wir ganz hinten. Mit dem Verdauungsschnapserl. Ich habe dazu einen Freund befragt, den ich für befugt halte, mir Rede und Antwort zu stehen. Er ist (oder besser war) diplomierter Krankenpfleger in einem Tiroler Spital. Man kennt es aus Film und Fernsehen, weil Kulisse für den „Bergdoktor“. Ihn kennt man nicht. Jedenfalls nicht als Krankenpfleger. Die Tiroler kennen ihn eventuell, weil er mittlerweile Schnapsbrenner, Bierbrauer und Wirt ist. Er kennt sich also sowohl mit den vitalen Funktionen des menschlichen Körpers als auch mit dem Alkohol aus. Vorweg, seine Antwort hat mir nicht gefallen. Eine Schweizer Studie hat nämlich ergeben, dass Alkohol nach dem Essen sogar eher kontraproduktiv in Bezug auf die Verdauung wirkt. Die Testpersonen (vollgestopft mit Käsefondue und Brot) bekamen entweder Schwarztee (nicht ohne Grund eine alte Tradition in der Schweiz) oder Weißwein zum Fondue, und Wasser oder Schnaps nach dem Fondue. Die, die Wein und Schnaps bekamen, waren die großen Flatulenzverlierer. Zwar lockert der Alkohol die Magenmuskulatur, wodurch das unangenehme Völlegefühl überdeckt wird, die Verdauung geht indes auf stand by, was an sich keine gute Kombination ist.
Wir haben sie lieb gewonnen. Den Grappa zum oder nach dem Käse, die alte Zwetschke zum Espresso oder den Whisky an der Bar. Das alles müssen wir nicht notwendigerweise streichen. Was wegfällt, ist die Rechtfertigung, was wiederum auch eine gute Seite hat. Nachdem wir uns nicht mehr in die Tasche lügen müssen, können wir uns auf das konzentrieren, was beim verantwortungsvollen Umgang mit den bösen Geistern wichtig ist. Genuss in Maßen, nicht in Massen.
Mit „Käse schließt den Magen“ verhält es sich ein wenig anders. Die Fettsäuren im Käse machen wirklich etwas mit der Magenwand, und das entstehende Sättigungsgefühl kann wissenschaftlich erklärt werden. Trotzdem kommt in klassischen Menüfolgen das Süße, Verführerische immer am Schluss. Aber möglicherweise geht es dabei um anderes. Dem Käse fehlt nämlich – im Gegensatz zu üppigen Desserts – jedwede erotische Aufladung. Alleine deswegen hat er am Schluss des Menüs nichts verloren.
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