Flammschutzmittel in Dämmstoffen
Gut ist: Werden alte Häuser und Wohnungen gedämmt, reduziert sich der Energieverbrauch meist enorm. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und entlastet überdies das Haushaltsbudget. Weniger gut ist: Über viele gängige Dämmstoffe werden mitunter gefährliche Chemikalien in Umlauf gebracht.
Wenn’s brennt, müssen auch die Dämmstoffe dem Feuer eine gewisse Zeit lang standhalten. Um die erforderliche Brandschutzklasse B2 zu erreichen, werden dem Dämmstoff Flammschutzmittel beigesetzt. Einige stehen in der Kritik, unsere Gesundheit und die Umwelt zu gefährden. Es macht jedoch Sinn, genauer hinzusehen.
Eine gute Orientierung gibt das Österreichische Umweltzeichen. Produkte mit halogenierten Biphenylen, Terphenylen, Napthalinen, Diphenylmethan oder bromierten Diphenylether sind von vornherein ausgeschlossen. Seit kurzem zählt auch Hexabromcyclododecan (HBCD) dazu. Weil Flammschutzmittel aus der Gruppe der organischen bromierten Verbindungen laut der europäischen Chemikalienrichtlinie REACH besonders giftig für Mensch und Umwelt sein sollen, wird der Einsatz von HBCD, das bislang vor allem in Polystyrol-Dämmstoffen seinen Dienst tut, ab 2015 EU-weit verboten. Alle Hersteller, die die Umstellung ihrer ausgezeichneten Produkte auf umweltfreundlichere Alternativen bis dahin nicht geschafft haben, mussten das Österreichische Umweltzeichen von der Verpackung nehmen.
Nicht weniger bedenklich ist Tris(chlorpropyl)phosphat (TCPP), das im Verdacht steht, krebserregend zu wirken. TCPP wird als Flammschutzmittel hauptsächlich in Polyurethan (PUR) -Dämmstoffen und Montageschäumen eingesetzt wird, aber auch als Weichmacher in Tapeten, Wandanstrichen, Teppichböden und anderen Materialien. Besonders unangenehm ist, dass sich die Chemikalie in der Umwelt anreichert und bereits in Nahrungsmitteln nachgewiesen werden kann.
Öko-Dämmstoffe
Flammschutz ist auch bei Öko-Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen ein Thema. Vielfach wird hier Borsalz beigemischt. Das erfüllt sowohl die Brandschutzbestimmungen und wirkt darüber hinaus gegen Schimmel und Schädlingsbefall.
Borsalz ist ein natürlich vorkommendes Mineral, das vor allem in der Türkei, in China, in den USA und in Argentinien abgebaut wird. Bor wird in der Landwirtschaft – auch in der biologischen - als Düngemittel eingesetzt, vor allem im Rübenbau aber auch bei Obst, Mais, Raps oder Kohl. Die empfohlenen Mengen liegen je nach Boden zwischen einem halben und zweieinhalb Kilogramm pro Hektar. Einige Milligramm Bor nehmen wir täglich über die Nahrung auf, vor allem über Obst, Gemüse und Nüsse. Häufig werden Borverbindungen in Kosmetika, Medikamenten und Waschmitteln eingesetzt. Bor wirkt desinfizierend, insbesondere gegen Pilze und Viren und soll für Knochen, Gelenke und Zähne gut sein. Viele medizinische Anwendungen sind in Vergessenheit geraten – oder wurden bewusst unterbunden, nachdem Bor und Borverbindungen für giftig erklärt wurden.
Ein Schicksal, das auch die Naturdämmstoffhersteller ereilte, nachdem die EU Borate in hoher Dosis als „fortpflanzungsgefährdend“ eingestuft hat. Diese Klassifikation lässt sich kaum nachvollziehen, wenn man sich die Art der Anwendung genauer ansieht. „Kaum jemand wird den Dämmstoff essen. Und ist er ordnungsgemäß in eine Konstruktion eingebaut, kann man das Bor auch nicht einatmen“, so ein betroffener Hersteller. „Im Schnitt werden etwa bei der Zellulose 0,05 bis 0,1 kg Borsalz pro m³ beigemischt. Eine gefährlich hohe Dosis wird man damit sicher nicht erreichen.
Das bestätigten auch Wissenschaftler im Rahmen eines Workshops über die tatsächliche toxische Relevanz von Borverbindungen (Polen, Oktober 2012): Die Konzentrationen, die den Ratten bei Tierversuchen verabreicht wurden, entsprachen einem Vielfachen der Konzentration, der die höchst belasteten chinesischen und türkischen Minenarbeiter im Borabbau ausgesetzt sind. Und sogar bei dieser Berufsgruppe könne die Konzentration in keiner Weise als reproduktionstoxisch eingestuft werden. Die Experten kommen sogar zu einer gegenteiligen Erkenntnis: Die Analyse von Samenproben von Borminenarbeitern habe gezeigt, dass sich hohe Borkonzentrationen positiv auf die Parameter Menge, Beweglichkeit, Morphologie und Integrität des Erbgutes auswirken.
Umweltmediziner Hans-Peter Hutter meint dazu, dass es unter bestimmten Voraussetzungen durchaus vertretbar sei, Borsalz zu verwenden, wenn so andere wesentliche Gesundheitsrisiken wie Schimmelbildung hintangehalten oder damit die Brandgefahr reduziert werden kann. „Es ist aber auch in diesem Fall dafür zu sorgen, dass eine etwaige Exposition von Bewohnern durch einen ordnungsgemäßen Einbau aber vor allem von Arbeitern durch Schutzmaßnahmen praktisch ausgeschlossen wird.“
Autor: CHRISTIAN BRANDSTÄTTER
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