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Heidenspass in mir...

Müsste ich heidenspass in einem Satz beschreiben, würde ich sagen, es handle sich um einen kunterbunten Haufen herzenslieber Menschen mit einem ausgeprägten Geschäftssinn und einer sozialen Ader, die eher dem Euro-Tunnel gleicht als dem Körpergefäß.

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Foto: Lunatico Lunatico

Tali Tormoche berichtet über seine Zeit beim Grazer Sozialunternehmen heidenspass.

Meine eigene soziale Einstellung verhält sich dazu vergleichsweise wie ein Feuerwehrschlauch – ausgeprägt ja, aber bei weitem nicht so kompromisslos wie die Einstellung der drei Geschäftsführer, bei denen ich mich vorstellen durfte. Das Job-Profil war komplex und das Hearing glich der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau, die ich nur beinahe bin, was damit endete, dass nicht einer, sondern zwei Menschen eingestellt wurden. Das übrigens ein klassischer heidenspass-Schwenk, wenn eine Sache nicht zum gewünschten Ergebnis führt. So wurde also eine Tischlerin eingestellt, um den Geschäftsbereich der Ausstattungs- und Möbelproduktion zu professionalisieren und eben ich, um dort mitzuarbeiten und in der Jugendbetreuung meine Stärken auszuspielen. Die da wären: klassisches Migrantenkind aus Arabien – wie der gemeine Österreicher ohne zu differenzieren gerne anmerkte – hier geboren, Eltern aus dem Libanon und Ägypten, mehrere Kulturen in ihrer Tiefe kennend, mehrsprachig (auch Arabisch fließend) und vor allem war ich ein Mann. Bei heidenspass arbeiteten fast nur Frauen, dies wollte man ein wenig ausgleichen. Die von heidenspass betreuten Jugendlichen brauchten auch männliche Vorbilder, um ihnen Werte zu vermitteln und den Jungs die Macho-Allüren ein wenig auszutreiben. Eine perfekte Herausforderung für mich – Macho light, aufgewachsen mit Mama und drei Schwestern. Aber das vielleicht wichtigste Merkmal sei etwas anderes gewesen, glaubt man Jasenko Conka, damals mein erster Vorgesetzter als Leiter des Bereichs Ausstattung. Es war ein bisschen wie in den Star Wars-Trilogien – in den alten wohlgemerkt. Jasenko sagte wörtlich: „Du hast denn Job. Ich spüre eine ungeheuer starke Portion heidenspass in dir.“ Auch das ein klassischerheidenspass-Zug: Meine Softskills qualifizierten mich als Mitarbeiter in der Werkstatt, der mit Jugendlichen werkt und bastelt, obwohl ich eigentlich Texter und ReBlock-Hersteller bin (dazu später mehr).

GEORDNETES CHAOS

Nun, es existierte kein gemachtes Nest, in das die Neuen sich setzen konnten. Die Werkstatt für die Ausstattung befand sich im Aufbau. Es war zwar alles bereits gesiedelt worden, doch nichts war eingerichtet, geschweige denn an seinem Platz. Und nie werde ich diese Sätze vergessen, die Jasenko zu mir sagte: „Die Wege, die wir mit heidenspass beschreiten, kannst du nicht in Reih’ und Glied marschieren. Wir sind Tänzer, die mit einer gewissen Leichtigkeit in Richtung Ziel tänzeln.“ Es sollte keine zwei Wochen dauern und ich hatte es verinnerlicht: Improvisation. Doch nicht aus Unvermögen, sondern aus dem Gefühl heraus, dass angestrebte Perfektion auf verschiedenen Wegen erreichbar ist.

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Tali Tormoche mit seiner Mutter. Foto: Privat Tali Tormoche mit seiner Mutter. Foto: Privat

Für mich: perfekt. Für andere: eine Katastrophe.

Man könne so nicht arbeiten. Es fehle dieses Werkzeug und jener Plan. Ich dachte sofort an einen Spruch des islamischen Propheten Mohammad (s.a.s.): „Die Planer planen und das Schicksal lacht sie aus“. Bei heidenspass da lachten aber wir, und schufen Bücherregale, und bauten eine Küche, und schraubten einen überlebensgroßen Nussknacker, und richteten einen großen Bus ein, und lehrten den Jugendlichen die Basis der Basisarbeiten – wir tänzelten. Ich war überrascht, dass es so viel gab, was die Mehrzahl der Jugendlichen noch nie gemacht hatte.

ARBEIT MIT SINN

Dinge, die ich in jungen Jahren in einem „stinknormalen“ Leben in einer Arbeiterfamilie nebenbei erlebte – sie kannten sie nicht. Hier lernten sie es. Wir bereiteten sie auf das (Berufs-)Leben vor. Wir sollten dafür sorgen, dass sie einmal eine Lehrstelle (als Handwerker) bekommen konnten. Das war nicht leicht, mal ganz abgesehen von den sprachlichen Barrieren: Hast du schon einmal einen Akkuschrauber benutzt? Nein. Weißt du, was ein Inbusschlüssel ist? Nein. Torx-Schrauben? Negativ. Fünfzehner-Gabelschlüssel? Fehlanzeige. Es ging aber um mehr als das Handwerk in der Werkstatt. Es ging um Kommunikation. Um das simple „Hallo, wie geht’s ?“, um „Guten Morgen“ oder – was vielen schwer fiel: „Sorry“. Ich agierte aus dem Bauch heraus, als einer meiner Jungs zu spät kam, nichts sagte, einfach ein Werkzeug nahm und dort weitermachte, wo er gestern aufgehört hatte. Das war ok, aber für mich nicht ganz in Ordnung. Wir redeten und ich schilderte ihm, was ich mir erwartete. Nicht als Gruppenleiter oder Chef, sondern als Mensch. Es wirkte: Ein anderes Mal kam er zu spät, sagte, die Verspätung täte ihm leid, der Zug sei verspätet gewesen. Es freute mich, es war wie im echten  Leben: Pannen passieren, man muss nur entsprechend kommunizieren. Auch das ist ein heidenspass-Markenzeichen: den Menschen etwas zeigen, etwas vorleben, ohne den Zeigefinger zu erheben. Jeder ist frei, jeder hat die Wahl. Aber kommst du zur Arbeit, dann gibt es Regeln, an die du dich halten musst. Das ist alles. Und Elfie Pahr, die zweite im heidenspass- Vorstand, wurde nicht müde, Gespräche mit den Jugendlichen zu führen. Sie war für die Sozialarbeit zuständig. Termine, Termine, Termine – kaum Zeit um Luft zu holen. Sie kannte die Geschichten der Jugendlichen, hatte Einblick in Privates, in Lebensgeschichten – in teils traurige Schicksale. Warmherzig und mit viel Fingerspitzengefühl war und ist sie die erste Ansprechperson für die Belange, Wünsche oder Sorgen der Jugendlichen. Für Grafikdesign schlug ihr Herz und neben all dem Organisatorischen kümmerte sie sich auch um diesen Bereich bei heidenspass. Doch Arbeit ist nicht gleich Arbeit. Auch das musste ich bei heidenspass erkennen.

NIEDERSCHWELLIGKEIT

Der Versuch, die Produktion meines ReBlock in die Werkstatt zu verlegen und mit den Jugendlichen Up-Cycling-Notizblöcke herzustellen, glückte nicht. Wir mussten feststellen, dass die Aufgaben – Papier sichten und aussortieren, Papier sortieren (alle Blätter mussten gleich liegen), A4-Zettel schlichten und leimen, Covers falten und geleimte Blöcke einkleben – zu viel Zeit in Anspruch nahmen und am Ende die Qualitätskriterien  für den Verkauf nicht erfüllt waren. „Nicht niederschwellig genug“ stellte mein damaliger Big-Boss und der Kopf von heidenspass Silvia Jölli in ihrer gewohnt sachlichen Art fest, wenn sie etwas für sich abhakte. Für sie ist Social Business mehr als eine Unternehmung – es ist ein Lebenswerk. Redet man mit ihr, wird schnell klar, dass alles echt ist, nichts aufgesetzt, nichts krumm. Sie will den Menschen helfen und ist bis in die Haarspitzen auf soziale Gerechtigkeit eingestellt. Nie hatte ich einen menschlicheren Chef. Nie sah ich jemanden Familie und Beruf so unter einen Hut bringen. Warum das Projekt heidenspass ihr scheinbar locker von der Hand geht, obwohl eine große Verantwortung auf ihren Schultern lastet, erkläre ich mir persönlich so: Sie entschied sich, das Bestmögliche im Rahmen der österreichischen Systeme zu erreichen, um sozial Benachteiligten zu helfen, ohne persönlich beleidigt zu sein, dass viele Hürden zu nehmen sind. Aufgaben und Aufträge für die Werkstätten werden von ihr auf ihre  Niederschwelligkeit abgeklopft; letztlich entscheidet Sie, was bei heidenspass gemacht wird und was nicht. Eine Rolle, die ihr manchmal schwerfällt, wie sie mir sagte: „Ich würde gerne die Hierarchien flach halten, aber manche verstehen das nicht. Die schreien förmlich danach, dass man ein Machtwort spricht.“ Silvia Jölli hat eine Schar kompetenter Mitarbeiterinnen um sich geschart. Mission: Die Rettung der Welt. Ich wiederum habe meinen Ausflug in die Welt der Sozialarbeit nach knapp einem Jahr beendet und habe jetzt für den Re- Block eine eigene Werkstatt. Mission: Die Rettung von Zetteln vor dem Papierkorb. Denn jedes Blatt verdient eine zweite Chance. Jeder Mensch übrigens auch – dassollte nicht vergessen werden.

Tali Tormoche ist im Hauptberuf Texter und im Nebenberuf Vater und Kopf von ReBlock. Durch seine Zeit beiheidenspass fand er zu seiner wahren Bestimmung undarbeitet gerade daran, den Nebenberuf zum Hauptberuf zu machen. Tatsächlich steckt viel heidenspass in ihm – er blieb Partner und Freund.