Natürliche Intelligenz
Was dein Garten mit dir macht: Gartenexpertin Andrea Heistinger erzählt, warum unsere grünen Oasen wichtig sind und wie es mit dem Gärtnern klappt.
Es grünt so grün! In 2,2 Millionen privaten Hausgärten und auf 0,8 Millionen Balkonen und Terrassen strecken hierzulande gerade Pflanzen die ersten Triebe gen Sonne. Zeit, dass wir uns zu ihnen gesellen!
LEBENSART: Warum ist es wichtig, wie wir unsere Gärten bepflanzen und pflegen?
Andrea Heistinger: Es ist ja nicht nur die Frage, was wir aus unserem Garten machen, sondern auch, was unser Garten aus uns macht. Wir können uns über das Kultivieren unserer Gärten täglich wieder ein Stück weit mit der Natur verbinden. Diese Verbindung zu rekultivieren, halte ich für essenziell. Für uns als Menschen und für den Planeten.
Wenn unser Garten ein lebloser Wohnraum ist, in dem der Rasenroboter alles kurz und klein hält, dann dürfen wir uns auch nicht wundern, dass wir keine Schmetterlinge, Falter und bunten Käfer mehr um uns haben. Die brauchen die Blumen in der Landschaft und in unseren Gärten als Lebensraum und Nahrungsgrundlage.
Welche Wirkung kann mein Garten oder Balkon haben?
Einen sehr großen! Wir sehen das in den Städten: Seit vielen Jahren berichten Imker*innen, dass ihre Bienenvölker in der Stadt mehr Nahrung vorfinden – und die Imker*innen dadurch mehr Ertrag haben – als die Bienenstöcke in monotonen Agrarlandschaften. Dort wachsen zum Beispiel Hybrid-Sonnenblumen, die kaum Pollen produzieren und so für Bienen keine Nahrung bieten, selbst wenn sie blühen! Und viele Wochen im Jahr blüht dort gar nichts mehr. Das Insektensterben ist eine Folge der Industrialisierung der Landwirtschaft und der Landschaft. Dem entgegenzuwirken und für Insekten und andere Wildtiere wieder Lebensräume zu schaffen, ist unser aller Aufgabe.
Wenn wir unsere Hausgärten so bewirtschaften, dass wir die Biodiversität – mit anderen Worten die Lebendigkeit – fördern, schaffen wir kleine Natur-Biotope unmittelbar um uns und befördern die Renaturierung wesentlich. Diese ist bei weitem nicht nur eine Herausforderung und Aufgabe für die Landwirtschaft – allerdings selbstverständlich auch für diese.
Jeder Balkon ist dabei auch ein Garten. Auch in Töpfen und Trögen können wir unzählige Blumen und Kräuter und auch das eine oder andere Gemüse anbauen.
Was ist ein Naturgarten eigentlich?
Zu dieser Frage könnte man ein ganzes Buch schreiben – ich denke, dass es drei wesentliche Merkmale gibt: Ein gelungener Naturgarten wirkt so, wie wenn er „irgendwie schon immer“ da gewesen ist. Er passt in die Landschaft, kommuniziert mit der ihn umgebenden Welt. Und: Er ist ein bunter Lebensraum, in dem sich viel mehr Lebewesen tummeln, als ich wahrnehmen kann. Dadurch entstehen viele Krankheits- und Schädlingsprobleme gar nicht. Und auf der faktisch-praktischen Ebene: Hier wird maximal mit jenen Mitteln gearbeitet, die auch auf der Positiv-Liste des Biologischen Landbau zugelassen sind.
Was empfiehlst du Anfänger*innen mit dem eigenen Grünraum? Welches Wissen sollte man sich unbedingt aneignen?
Sich, bevor sie losgärtnern, in verschiedenen Ecken im Garten einen Liegestuhl aufzustellen und zu fühlen, was dort los ist: Ist es windig oder windstill, vollsonnig oder schattig, ist der Boden trocken oder feucht? Welche Pflanzen wachsen von selbst? Der erste Schritt des Gärtnerns ist Beobachten. So wie wir als Kinder das Sprechen durch Zuhören lernen.
Ein Wissen, das wir unbedingt brauchen, ist, mit welchen Düngern unsere Pflanzen gut gedeihen, welche wir besser bleiben lassen und welche Pflanzen auch ohne auskommen. Für zwischendurch bietet sich ein gutes Nachschlagewerk an – viele Menschen nutzen unsere Bücher immer wieder, um einzelne Fragen zu klären, die sich im Laufe des Gartenjahrs stellen. Das freut mich besonders – Lesen schafft ja eine tiefere Form der Auseinandersetzung als ein YouTube-Video.
Was sind die klassischen Stolperfallen im Garten?
Bei Neubauten: Dass der Garten nicht gleich als integraler Bestandteil des Hauses mitgedacht und mitgeplant wird. Sowohl, was die Flächennutzung, wie auch, was das Budget anbelangt. Der Garten ist ein Lebensraum. Wenn ich das ernst nehme, kann ich tatsächlich kleinere Häuser bauen! Wozu brauche ich ein großes Wohnzimmer, wenn ich mich gerne draußen aufhalte und der Außenraum klug gestaltet ist? Wozu ein großes Kinderzimmer, wenn der Garten als Spielraum für Kinder gestaltet ist?
Selbstversorgung, ist das wirklich möglich? Was hältst du vom Trend?
Eine große Frage. Kurz gesagt, Selbstversorgung ist Arbeit und Freude. Braucht Ressourcen – wie Zeit und Fläche – und schafft Ressourcen in Form der Ernte. Ich finde hier sind realistische Einschätzungen besonders wichtig. Für mich zählt auch zur Selbstversorgung, wenn ich einem Gartenbau-Betrieb wöchentlich fix eine Gemüsekiste abnehme. Das schafft eine ökonomische Verbindlichkeit und ich habe wöchentlich frisches (oder auch eingekochtes) Gemüse zur Hand. Wir haben dazu eine Art „Selbsttest“ entwickelt, die ich Interessierten gerne zuschicke.
Du schreibst auch von Parallelen zu Unternehmenswelten – gibt es diese auch für die Gesellschaft, Familien und Einzelpersonen? Was kann ich von meinem Garten lernen?
Aus meiner Erfahrung als Organisationsberaterin öffnet sich hier ein großer, bunter und lebendiger Raum. Wenn wir jeden Tag ein kleines Stückchen mehr verstehen und besser erfühlen, was Lebendigkeit ausmacht, wenn wir uns der Frage widmen, wann wir uns selbst lebendig, in Beziehung und im Fluss fühlen und wann müde und blockiert, dann ändert das vieles. Ganz egal ob im Unternehmen oder als Vater oder Mutter. Das Wunderbare ist, dass ich, wenn ich mich beim Wandern oder im Garten wieder mit der Natur verbinde, auf fast magische Weise auch mit meiner Natur wieder ein Stück mehr verbinden kann. Dieses „Werde-wer-du-Bist“ setzt so viel Kraft frei. Und umgekehrt: Ich habe immer wieder erfahren, dass Menschen, die gut mit und bei sich selbst sein können, auch so mit der Welt in Beziehung sein wollen, so wirtschaften wollen, dass sie die Welt fruchtbarer und lebendiger gestalten (und nicht ausbeuten) wollen.
Und konkret: Vom biologischen Gärtnern kann ich zum Beispiel lernen, dass durch Gärtnern Böden fruchtbarer werden, die Erträge von Jahr zu Jahr zunehmen, die Humusgehalte steigen und die Böden auch widerstandsfähiger gegen Wetterextreme werden.
Wenn das nicht ein Lernfeld und ein Vorbild für die Wirtschaft ist: Wir erzeugen Produkte und Dienstleistungen und das Wasser wird dadurch sauberer, die Biodiversität nimmt dadurch zu. Das klingt ja fast utopisch. Im Biogarten ist es Realität.
Du hast schon 13 Gartenbücher geschrieben – was fasziniert dich am Schreiben?
Ich habe bei jedem Buch viel gelernt. Manchmal sage ich scherzhaft, ich habe so viele Bücher geschrieben, weil ich selbst so viele Fragen hatte. Auf eine Art kann ich auch sagen: Ich habe mich über das Schreiben dem Gärtnern genähert.
Worüber würdest du immer noch gerne eines schreiben?
Darüber, wie wir aus unseren Familiengeschichten jene Ressourcen freisetzen können, die wir in der Zeit, in der wir gerade leben, so dringend brauchen: um neue Unternehmensideen und Wirtschaftsweisen zu generieren, kreislauffähiger zu werden und so weiter. Die Zeit der großen Modelle ist vorbei. Wir alle tragen Erfahrungen, Wissen, Werte, Handlungsmuster in uns – die wir nutzen können. Die größten Potenziale für die notwendigen Transformationen unser Wirtschafts-, Wohn- und Lebensstile liegen in uns selbst.
Und mich beschäftigt auch, wie wir Wirtschaftswachstum, persönliches Wachstum und das Wachstum in unseren Beziehungen (neu) verbinden können. Dieser Frage versuche ich täglich wieder ein Stück nachzugehen.
Das Interview führte Michaela R. Reisinger.
DIE EXPERTIN
DI Andrea Heistinger
Expertin für Bio-Landbau Garten- und Organisationsberatung.
www.andrea-heistinger.at
BUCHTIPP
Handbuch Samengärtnerei
Sorten erhalten, vielfalt vermehren. Gemüse genießen.
Andrea Heistinger
480 Seiten, 2024
Löwenzahn-Verlag