Note: Sehr gut
Vorgestrig, verstaubt und resistent gegen Veränderungen? Schule kann auch ganz anders funktionieren. Diese Beispiele zeigen, was Kindern hilft, zu kreativen, neugierigen und zufriedenen Menschen heranzuwachsen.
Gemeinsame Schule für 10- bis 14jährige
Wien, Contiweg
Während über eine gemeinsame Schule für 10- bis 14-Jährige nach wie vor heftig diskutiert wird, ist sie am Contiweg in Wien bereits Realität. Das vor fünf Jahren eröffnete Bundesgymnasium ist nicht nur ein architektonisches Highlight sondern steht auch Kindern ohne AHS-Reife offen. Die Führung als „Schulversuch Wiener Mittelschule“ macht es möglich. „Alle Kinder haben die Chance, bis zur Matura an der Schule zu bleiben, wenn sie dafür geeignet sind“, sagt Direktorin Mag. Monika Auböck. „Das kommt besonders Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache zugute.“ Deren Anteil ist am Contiweg mit etwa einem Viertel eher gering. „Zudem kommen die meisten der Kinder aus Familien, bei denen zu Hause auch Deutsch gesprochen wird.“
Die oft geäußerten Befürchtungen, dass die Einser-Kinder in einer gemeinsamen Schule ausblieben, sind hier nicht eingetreten. An der WMS Contiweg ist das Verhältnis ausgewogen. Und das sei für den Erfolg dieser Schulform wichtig, bestätigt Monika Auböck. „Eltern aus gehobenen Bildungsschichten sind begeistert. Wenn Eltern ihre Kinder nicht herschicken, liegt das meist an unzureichender Information. Sie wissen nicht, wie es hier ist.“
Über einen Lehrermangel braucht man am Contiweg ebenfalls nicht zu klagen. Monika Auböck: „In Englisch, Deutsch und Mathematik unterrichten über die gesamte Unterstufe zwei Lehrer und Lehrerinnen. Mit weniger Personal würde das nicht gehen. Denn der differenzierte Unterricht in heterogenen Klassen ist eine große Herausforderung.“ Schließlich müsse man den verschiedenen Lernniveaus gerecht werden und verhindern, dass Kinder, die nicht mehr lernen, als notwendig, nachlassen. Deshalb werde in den ersten und zweiten Klassen auf „Fördern“ Wert gelegt und in den dritten/vierten auf „Fordern“.
„Die Lehrerinnen und Lehrer sind mit Begeisterung dabei und tragen das System mit. Bei uns unterrichten sie auch nur die Fächer, in denen sie geprüft wurden.“ Das ist in Österreich alles andere als selbstverständlich. Monika Auböck: „Die gemeinsame Schule bis 14 ist das Schulsystem der Zukunft, allerdings nur, wenn es mit den Ressourcen ausgestattet ist, die wir haben.“
Angstfrei, ohne Beurteilung
SchülerInnenschule WUK
Kinder zu sozialen, kreativen und selbstbewussten Persönlichkeiten heranzubilden, das ist das vorrangige Ziel der SchülerInnenschule WUK in Wien. „Und dies völlig ohne Angst und Notendruck“, sagt Mag. Claudia Gerhartl, die Direktorin der ganztägigen Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht. Die Kinder lernen trotzdem? „Ja“, lacht Claudia Gerhartl, „natürlich haben wir bei den Lehrinhalten gewisse Vorgaben. Ganz ohne wären die Kinder überfordert. Aber sie können mitreden, ob sie ein Buch zum Thema lesen oder eine Exkursion machen wollen.“ Mitreden, im Sinne gelebter Basisdemokratie, das ist ein wesentlicher Grundsatz der Schule. Wichtige Entscheidungen treffen Kinder, Eltern und LehrerInnen gemeinsam. „Die Kinder sind gefordert, ihre Anliegen zu formulieren. Das trägt dazu bei, dass sie teamfähig und selbstbewusst werden und fähig, vernetzt zu denken.“
Mitarbeit ist auch von den Eltern gefragt. Sie begleiten bei Exkursionen, kochen das Mittagessen, putzen, reparieren oder helfen bei der Budgetplanung. Sprachprobleme sind an der Privatschule kein Thema. „Wir haben höchstens 10 Prozent Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache, aber auch diese kommen aus bildungsnahen Familien.“
Was schätzen die SchülerInnen besonders? „Den respektvollen Umgang und die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern. Auch Kinder mit Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten sind begeistert dabei“, sagt Claudia Gerhartl. Und das Lernen in der Praxis, denn bei Projektarbeit und Präsentationstechnik können sich die Schüler intensiv mit einem Thema beschäftigen.
Trotz des freien Zugangs zum Lernen verlaufe ein Umstieg in eine andere Schule meist völlig problemlos. Herausfordernd sei es allerdings, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Eltern unter einen Hut zu bringen. „Manche Eltern wollen, dass ihr Kind völlig frei entscheiden kann, ob es lernt oder nicht, andere wünschen sich doch ein wenig Nachdruck.“
SchülerInnenschule WUK
Gesamtschule mit Öffentlichkeitsrecht bis zur 9. Schulstufe. Anschließend Werkcollege.
Schulgeld: € 390.- pro Monat.
www.schuelerinnenschule.at
Chancengerechtigkeit vom ersten Schultag an
Volksschule Bludenz Mitte
In der Volksschule Bludenz Mitte haben etwa 60 % der Kinder eine andere Erstsprache als Deutsch. Chancengerechtigkeit und Mehrsprachigkeit sind hier Programm. „Wir haben 18 verschiedene Sprachen an der Schule“, erzählt die Direktorin Martine Durig. „In den ersten Klassen sitzen acht bis neun Kinder, die die deutsche Sprache nur sehr bruchstückhaft beherrschen. Sie erhalten im Unterricht Unterstützung und eine Deutschförderung in Kleingruppen. Am Nachmittag bieten wir eine professionelle Schülerbetreuung mit Lehrpersonen und Freizeitpädagogin an, um Defizite auszugleichen und die Freizeit mit viel sprachlichem Input sinnvoll zu gestalten. Wir unterscheiden zwischen Sprachentwicklungsstörungen und mangelnden Deutschkenntnissen und versuchen, möglichst individuell auf jedes Kind einzugehen.“ In Türkisch und Tschetschenisch findet der muttersprachliche Unterricht an der Schule statt. Russisch, Bosnisch, Serbisch und Kroatisch können an anderen Standorten besucht werden.
An der Schule wird großer Wert auf einen möglichst entspannten Umgang mit Diversität gelegt. „Die Schulkultur ist auf die unterschiedlichen religiösen Hintergründe der Eltern und Kinder abgestimmt. Alles muss ohne Wertung Platz haben. Brisante Themen werden sowohl mit den Kindern diskutiert als auch bei den Eltern angesprochen“, sagt Martine Durig. „Für die Kinder spielt die unterschiedliche Herkunft grundsätzlich keine Rolle, Ressentiments gehen eher von den Eltern aus. Natürlich registrieren die Kinder Unterschiede. Da wird schon mal in Kleingruppen diskutiert, ob jetzt Jesus oder Allah besser ist.“
Schulerfolg hänge nicht nur davon ab, wie gut ein Kind beim Eintritt in die Schule Deutsch sprechen könne, weiß die Direktorin: „Wenn sich Kinder in der Familie umsorgt fühlen und in ihren ersten Jahren gute Entwicklungsmöglichkeiten hatten, wie Zeit zum Spielen, Bewegung, ein sprachlich anregendes Umfeld und Fürsorge, dann sind sie aufnahmefähig und lernen schnell. Ein intensiver Umgang mit neuen Medien, Traumatisierungen, schwierige Familiensituationen und Armutsgefährdung erschweren natürlich das Lernen. Das hat mit der Sprache nichts zu tun.“
Schwierigkeiten mit der Disziplin? „Da helfen nur klare Regeln. Ich trete vehement auf, wenn Kinder frech sind oder ausgrenzend agieren.“ Wichtig sei, sich Zeit für die Konflikte zu nehmen und genau nachzufragen. Denn oft seien auch hier Missverständnisse und familiäre Hintergründe die Ursachen.
Buchtipps:
Schule. Lernen fürs Leben?! Christiane Spiel/Sonja Bettel, Galila Verlag
Sehr gut oder nicht genügend. Heidi Schrodt, Molden Verlag
Zuhause in der Schule. Gerhartl/Oertel/Stöger (Hg.), Milena Verlag
Leider hat Lukas schon wieder... Niki Glattauer/Verena Hochleitner, Kremayr & Scheriau
Autorin: ANNEMARIE HERZOG