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Durch die Blume

Jetzt gerade erleben wir weltweit ein großes Artensterben. Die gute Nachricht: Man kann etwas dagegen tun. Den Orchideen und dem Artenschutz auf der Spur.

Zwei heimische Orchideenplfanzen mit weißen, getupften, und dunkelvioletten Blüten auf einer Wiese.
Foto: Norbert Novak

Martina streift aufmerksam durch die Wiesen, bleibt immer wieder stehen und tippt in ihr Handy. Wer beim Wort Handy die Nase rümpft, sollte wissen: Hier wird gerade wertvoller Artenschutz betrieben. Bestände zu dokumentieren, ist eine wichtige Datenquelle für die Forschung. Toll, dass man kein Profi sein muss, um mitzuarbeiten. „Ökologisches Vorwissen schadet nicht, es gibt aber eine Einschulung vor der Kartierung und dem Monitoring“, erklärt Norbert Novak, Obmann vom Österreichischen Orchideen Netzwerk und Mentor für das Projekt Orchideenschutz bei der Energie- und Umweltagentur des Landes NÖ (eNu). Wenn man sich dafür anmeldet, bekommt man ein bis zwei Wochen vor Begehen der Fläche eine E-Mail und geht dann auf die Suche nach gerade blühenden Pflanzen.

Martina hat indes eine Riemenzunge gefunden – eine rare und auch ziemlich gefährdete Orchidee, die durch ihre bizarren, in die Länge gezogenen Lippen auffällt. Martina gibt Fundort und Art in den Naturland NÖ Monitor ein. Früher wurde mit Papier und Karten gezählt, heute landen die Daten dank App automatisch in einer eigenen Datenbank. Novak erklärt: „Daraus können wir Verteilungsmuster der Pflanzen auf der Fläche herauslesen. Ziel ist, eine Zeitreihe über mehrere Jahre zu beobachten.“ Damit Martina Pflanzen nicht doppelt zählt, hat sie sich eine Route durch die Fläche überlegt. Wie man sich das Gebiet einteilt, bleibt einem selber überlassen. Wenn man zu zweit ist, kann man sich auch aufteilen.

Warum werden gerade Orchideen gezählt? Diese Pflanzen sind nicht nur wunderschön, sondern auch sogenannte Indikatorarten – sie zeigen, wo das Ökosystem noch intakt ist, da sie sehr sensibel auf Veränderungen reagieren. Bekannter sind vielleicht die „Fensterbrett-Orchideen“, die viele zu Hause haben – meist Zuchtformen aus den Niederlanden. Von der riesigen Pflanzenfamilie gibt es weltweit aber stolze 25.000 Arten. In Österreich leben rund 80 wilde Orchideen-Arten, wie zum Beispiel das alpine Kohlröserl oder der Frauenschuh. Sie wachsen fast überall, in Wäldern, auf Wiesen, in den Alpen und auch in Privatgärten. Eines haben alle 80 Arten gemeinsam: Sie stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Pflanzen und sind streng geschützt.

Eine Detailaufnahme einer Pflanze mit zentralem Stängel von dem grün-magenta Blüten abstehen.
Foto: Norbert Novak

ADRIA-RIESENZUNGE
Himantoglossum adriaticum

Charakteristika: 50 bis 70, selten 80 cm hoch, Blüten mit bizarrem, gedrehtem riemenartigem Lippen-Mittellappen

Blütezeit: Mai bis Juni

Vorkommen: in NÖ in der Wachau, Weinviertel, Marchfeld, an der Thermenlinie und im Leithagebirge

Gefährdung: durch Düngung und Lebensraumzerstörung

 

Eine hellgrüne Pflanze mit bauchigen gelben Blüten.
Foto: Norbert Novak

FRAUENSCHUH
Cypripedium calceolus

Charakteristika: 25 bis 60 cm hoch, Lippe schuhförmig, gelb und als Kesselfalle ausgestaltet

Blütezeit: Mai bis Juni

Vorkommen: in NÖ vor allem im Voralpengebiet und Weinviertel, vereinzelt in der Böhmischen Masse und im Leithagebirge

Gefährdung: durch Lebensraumzerstörung und Ausgraben

Schule auf der Wiese

Artenschutz-Maßnahmen wie das Monitoring sind auch bei Schulklassen beliebt. Direkt auf der Wiese wird das Wissen um Pflanzen und unser Klima greifbar. Für Schulprogramme werden besonders gerne Kuhschellen gezählt: „Sie gehören zu den Hahnenfußgewächsen und blühen im März und April, manchmal sogar schon im Februar. Daher eigenen sie sich gut fürs Monitoring, da noch wenig andere bunte Pflanzen auf den Wiesen stehen“, erklärt Norbert Novak.

Freiwillig die Welt retten

Martina ist eine von vielen, die sich ehrenamtlich für die Rettung unserer Erde einsetzen. Warum seine Freizeit für den Artenschutz einsetzen? „Wegen der schönen Orchideen, der beeindruckenden Natur, um Neues zu entdecken und auch andere Pflanzen- und Tierarten zu beobachten“, erklärt Martina. Das Gefühl, etwas Gutes für unsere Natur zu tun, einen Beitrag für die Forschung zu leisten, sei unbezahlbar, auch bekäme man dabei Bewegung an der frischen Luft. Eine rundum nachhaltige Aktivität also. Neben dem Monitoring suchen viele Vereine Verstärkung beim Gehölzschnitt oder bei sogenannten Schwende-Aktionen, wo die Verbuschung ausgeschnitten wird, um Wiesen zu erhalten. Werden sie nicht gemäht, verwandeln sie sich nämlich automatisch in Buschland und Wald – und das ist schlecht für die Artenvielfalt.

„Wird eine Fläche nachhaltig bewirtschaftet, breiten sich dort Pflanzen weiter aus. Manche Flächen werden aber zum Beispiel zu früh gemäht oder unzureichend gepflegt. Das kann zum Rückgang seltener Arten führen“, warnt Novak. „Die Mahd oder Beweidung zum richtigen Zeitpunkt ist ganz wichtig. Ideal ist Mitte Juli, August oder September. Das gibt den Pflanzen Zeit, Samen zu bilden, um sich zu vermehren. Vor allem bei seltenen Pflanzen ist das wichtig.“

Niederösterreichische Gemeinden wie Groisbach bei Alland mähen ihre öffentlichen Flächen seltener und später, um solchen Arten Lebensraum zu bieten. Sie freuen sich über rund 20 Orchideen-Arten in der Umgebung, die man auf einem Themenlehrpfad kennenlernen kann. „Die Bedeutung des Artenschutzes und der Biodiversität für unser Ökosystem ist enorm“, betont Andrea Maria Mayer, Umweltgemeinderätin der Gemeinde Alland. Information und Schutz sind hilfreich, um das öffentliche Bewusstsein für unsere Umwelt zu stärken.

Landwirtschaft als Zukunftsfaktor

Orchideen mögen keine Fettwiesen, also keine intensiv bewirtschafteten Flächen. „Wir haben leider viele artenarme Wiesen, vor allem in Westösterreich“, bemerkt Novak. Ein Grund dafür sei die intensive Landwirtschaft. Eine sensible Landwirtschaft im Einklang mit der Natur würde nicht nur Ressourcen sparen und Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen, sondern auch unsere Lebensmittelgrundlage für die Zukunft sichern. In der Landwirtschaft nachhaltig tätig zu sein, dazu gehört viel Idealismus, denn die Förderungen sind noch nicht überall kostendeckend. Unterstützung bieten Initiativen wie ÖPUL (Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft).

Wie so viele Bereiche ist auch die Landwirtschaft im Wandel. Aufklärung und Information helfen, das Bewusstsein für naturnahe Flächen zu heben. „Manche wissen gar nicht, welche seltenen Pflanzen oder Arten sie auf den Flächen haben, und sind dann ganz stolz darauf“, berichtet Novak.

Garteln for Future

Wilde Orchideen werden auch immer wieder in Privatgärten gesichtet. Damit die sensiblen Pflanzen gedeihen, brauchen sie auch dort ein funktionierendes Ökosystem – will man sie anlocken, sollte man sich Tipps für naturnahe Gärten zu Gemüte führen, zum Beispiel von „Natur im Garten“. Ob öffentliche Fläche, Grünflächen von Unternehmen oder Landwirtschaft, beim Artenschutz ist gemeinsamer Einsatz wichtig – auch Schulen, Gemeinden und Betriebe können mitmachen, denn eine intakte Natur ist die beste Investition in unser aller Zukunft. Gemeinsam arbeiten wir daran, dass Martina auch in Zukunft noch viele wilde Orchideen findet. Vielleicht zählen wir sie ja bald gemeinsam.

DOs and DON´Ts im NATURLAND NÖ

Nichts ausgraben! Jede auch noch so kleine Pflanze erfüllt eine wichtige Funktion im großen Ganzen. Freuen wir uns an der Natur und lassen die Lebewesen dort, wo sie sind – besonders geschützte Arten. Was einem gefällt, kann man auch oft als Zuchtformen im Fachhandel kaufen.

Auf den Wegen und Trails bleiben, Wiesen und Wälder nicht einfach durchfahren oder begehen. Wir müssen auf Tiere und Pflanzen Rücksicht nehmen, um ihren ohnehin knapper werdenden Lebensraum nicht zu gefährden.

Müll nicht auf den Boden werfen. Klingt logisch, ist aber scheinbar nicht ganz so einfach: Ein Müllsackerl einstecken und daheim entsorgen oder in den nächsten Mistkübel werfen. Besonders Zigarettenstummel sind eine giftige Gefahr, auch für unser Grundwasser. Und mitmachen: Viele Gemeinden in Niederösterreich organisieren Müllsammel-Challenges.

Miteinander reden hilft. Wenn du seltene Arten in Gefahr siehst, melde sie den Flächenbesitzer*innen. Oft ist einfach nicht bekannt, wo Hilfe gebraucht wird. Gemeinsam haben wir unsere Natur und ihren Schutz am besten im Blick.

Bodenversiegelung stoppen. Österreich ist leider Europameister im Zubetonieren von Grünflächen. Hier ist ein Umdenken angesagt, damit wir auch in Zukunft genug gesunde Erde haben.

www.naturland-noe.at/knigge

So kannst du Arten erkennen

Pflanzen und Tiere zu bestimmen, erweitert nicht nur unser Wissen über die Naturräume und unser Bewusstsein für die Vielfalt, sondern leistet – Stichwort „Citizen Science“ – auch einen wertvollen Beitrag von Laien zur Wissenschaft. Alle kostenlosen, gängigen Apps finden sich deshalb auf www.naturland-noe.at/pflanzen-und-tiere-bestimmen. Für die treffsichere Bestimmung braucht man Fotos bzw. Audioaufnahmen, den Aufnahmezeitpunkt und -standort und eine Internetverbindung – im Falle von Empfangsproblemen kann aber auch im Nachhinein bestimmt werden.

iNaturalist

- entwickelt in den USA

- eine Community für Naturliebhaber*innen mit mehr als 5 Millionen Nutzer*innen

- Bestimmung aller Organismen, die in der freien Natur vorkommen

- Beobachtungen werden automatisch in die weltweite Biodiversitätsdatenbank GBIF eingespeist

Flora incognita

- entwickelt in Deutschland

Drei Smartphones übereinander, frei schwebend. Alle drei Displays zeigen verschiedene Naturbestimmungsapps.
mockup freepik

- Bestimmung von über 16.000 Pflanzen mit umfangreichen Artensteckbriefen

- anerkanntes Instrument in botanischen Fachkreisen

- Zusammenarbeit mit dem Kosmos-Verlag

Schmetterlinge Österreichs

- entwickelt in Österreich

- eine Community mit Vernetzungsmöglichkeit und einem Fokus auf die heimische Schmetterlingsfauna: Steckbriefe von 189 Arten mit Informationen zu Gefährdung, Vorkommen, Flugzeit, Lebensraum und Raupennahrung

- 2023 meldeten 25.000 Teilnehmende 125.000 Schmetterlinge aus ganz Österreich

BirdNET

- entwickelt in den USA und in Deutschland

- KI identifiziert Vogelstimmen: Audio-Aufzeichnung des Vogelgesangs bestimmt 3.000 der häufigsten Vogelarten in Nordamerika und Europa

BUCHEMPFEHLUNGEN ZUR PFLANZEN- UND VOGELBESTIMMUNG:

Was blüht denn da?
Margot Spohn, Kosmos Verlag

Vögel Österreichs
Leander Khil, Kosmos Verlag

Weitere Materialien zur Bestimmung von Arten im Shop von Naturland NÖ

WEITERE LINKS:

Österreichisches Orchideenschutz Netzwerk: www.orchideenschutz.at

Naturland NÖ Monitor: Im Google Playstore und im Apple App Store

Beim Umweltbundesamt gibt es viele Infos zu Biodiversität und Schutzgebieten. Auch die Roten Listen von Biotoptypen und Arten werden hier veröffentlicht: www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/naturschutz/rotelisten

Der Verein Perchtoldsdorfer Heide bietet Infos rund um Naturschutz und Termine für Aktionen zum Mitmachen: perchtoldsdorfer-heide.at

Der LPV Landschaftspflegeverein bietet Mitmachaktionen in der Region Thermenlinie – Wienerwald – Wiener Becken sowie ein Schulprogramm für alle Schulstufen: landschaftspflegeverein.at

Der Verein Lanius bietet viele Veranstaltungen wie Wanderungen mit biologischen Infos sowie die Möglichkeit bei Pflegemaßnahmen mitzumachen: lanius.at/Wordpress 

Im Biosphärenpark Wienerwald finden sich viele nachhaltige Infos für Gemeinden der Lebensregion, Material für Schulen zum Herunterladen sowie ein vielseitiges Angebot von Veranstaltungen: www.bpww.at/de

Der Naturschutzbund Niederösterreich bietet umfangreiche Infos zum Naturschutz, viele Mitmachaktionen und einen interessanten Newsletter: www.noe-naturschutzbund.at

Die Naturschutzakademie vermittelt Wissen zwischen Forschung, Praxis und Öffentlichkeit. Viele Veranstaltungen, auch für Schulen und Studierende: www.naturschutzakademie.at/index.php

Das Museum Niederösterreich gibt im Haus für Natur neben Ausstellungen auf seiner Seite viel Infos über Natur in Niederösterreich. Auch die City Nature Challenge wir hier gezeigt: www.museumnoe.at/de/haus-fuer-natur

Die Seite vom Landesmuseum Vorarlberg, Inatura – Erlebnis Naturschau GmbH, gibt Beratung rund um Flora und Fauna. Man kann dort auch Beobachtungen melden: www.inatura.at

Die Energie- und Umweltagentur des Landes NÖ hat in jedem Viertel Niederösterreichs Standorte. Gemeinden, Betrieben und Privatpersonen können Kontakt aufnehmen: www.enu.at

Der Nationalpark Garten der Umweltschutzorganisation Global2000 bietet viele Infos für naturnahes Garteln, Bewerbe mit schönen Gewinnen und Angebote für Gemeinden und Schulen: www.global2000.at/nationalparkgarten

Natur im Garten bietet viele Infos, ein eigenes Garten-Telefon und Aktionen für Schulen und Gemeinden: www.naturimgarten.at