„Es ist ein Statement, was wir tragen“
Wie uns Kleidung mit der Natur verbindet und was sie mit Frieden zu tun hat, darüber spricht Susanne Huber mit ihrem Herzensprojekt Peaces.
LEBENSART: Du hast Peaces 2016 gegründet. Gab es dafür einen bestimmten Anlass?
Susanne Huber: Ich habe schon viele Jahre vorher beschlossen, keine Kleidung mehr zu kaufen, die vom Material oder den Herstellungsbedingungen her nicht in Ordnung ist. Zu dieser Zeit habe ich in einem Handelsunternehmen gearbeitet und dadurch einen Einblick in die chinesische Produktion bekommen: in das Leben neben der Fabrik auf engstem Raum, wo die eigenen Kinder bei Verwandten leben und man sie nur zu den Feiertagen sieht. Und ich wollte auch nicht die weiten Strecken unterstützen, die ein Produkt zurücklegt, die kaum etwas kosten – aber nur, weil ihre wirklichen Auswirkungen nicht eingerechnet werden. Gleichzeitig hat mir meine kreative Arbeit – ich bin ursprünglich Grafikerin – gefehlt. So ist mir der Entschluss leichtgefallen: Ich wollte Frieden, Freude und Liebe in Kleidungsstücke hineinbringen, und das musste ich selbst machen.
Angefangen habe ich mit nachhaltigen T-Shirts – die Verbundenheit mit der Natur, der künstlerische Ausdruck und die Freude, die darin liegt, standen von Anfang an im Zentrum, aber dass es so viele verschiedene Motive und so viele verschiedene Arten von Kleidungsstücken werden würden, hätte ich damals noch nicht gedacht. Ich habe auch jetzt immer noch viel mehr Ideen, als ich umsetzen kann. So habe mit der Produktion in unserem Keller gestartet und in dem auch immer noch der Siebdruck stattfindet.
LEBENSART: Wie bist du auf den Siebdruck gekommen?
Susanne: Ich wollte den Menschen wieder die Verbindung zur Natur und deren Schönheit näherbringen und da habe ich dann zufällig einen Siebdruckkurs mit Naturfarben bei Helga Chibidziura gesehen. Da war mir klar, das ist mein künstlerischer Ausdruck, meine Art, die Schönheit der Natur auf der Kleidung zu zeigen. Für die Umsetzung der Motive kommt mir natürlich zugute, dass ich Grafikerin bin.
LEBENSART: Woher kommt dein eigener Bezug zur Natur?
Susanne: Dadurch, dass ich auf einem Bergbauernhof aufgewachsen bin – wir leben auch heute auf einem Bauernhof mit Biodiversitäts-Naturschutzflächen, die wir neben unserem beruflichen Tun mit unseren Liebhab-Tieren gemeinsam hegen und pflegen. Die Menschheit hat immer weniger Bezug zur echten Welt, auch in der Werbung sieht man keine echte Kuh mehr, sondern einen Avatar einer Kuh. Das finde ich, ist eine schlimme Entwicklung, dass wir das Künstliche – und nicht das Künstlerische und Liebevolle – in den Vordergrund rücken.
LEBENSART: Wie arbeitet Peaces?
Susanne: Meine Stoffe sind Bio-Baumwolle von Lieferant*innen, denen ich vertraue, Bio-Leinen aus Österreich und Stoffe aus Holzfasern oder aus LoveSilk. Die Menschen schätzen diese Stoffe und meine Art zu arbeiten. Ich habe viele Stammkund*innen, die mir rückmelden, dass sie einfach keine Kunstfasern mehr auf der Haut tragen möchten. Ich merke, dass es nun immer mehr in Richtung eigene Kollektion geht – kleine Kollektionen mit individuellen Anfertigungen nach Kund*innenwunsch bedeuten auch große Vielfalt, Einzigartigkeit und keine Überproduktion.
LEBENSART: Kann man als kleine Herstellerin neben Fast Fashion bestehen?
Susanne: Man muss den entsprechenden Hintergrund haben. Ich habe das Glück, einen Mann zu haben, der selbst auch selbstständig ist, das kennt und finanziell stabil ist. Alleine wäre es eine sehr große Herausforderung. Mein erstes Atelier war etwas abgelegen, dorthin kamen die Menschen ganz gezielt. Letztes Jahr haben wir dann das Atelier in Graz eröffnet, und dort kommen jetzt alle hin, die einfach etwas Besonderes wollen, egal, wie es produziert wurde. Da muss man dann mit Design und Qualität bestehen.
Auch mit Gütesiegeln wird es schwerer herauszustechen, da es so viele gibt und die meisten Menschen diese nicht gut einschätzen können. Ein großer und problematischer Trend ist, recycelte Kunststoffe als völlig positiv darzustellen – auch bei ökologischen Herstellern. Das lässt die Linien verschwimmen, was nun wirklich nachhaltig ist, denn Mikroplastikabrieb bleibt auch dabei ein Problem. Wir müssen aufhören, es zu produzieren.
Es war auch vor Corona leichter, als es jetzt ist – die Leute haben weniger Geld zur Verfügung und drücken doch wieder ein Auge zu, wenn es um die Produktionsbedingungen oder das Material geht. Die Leute die zu 100 Prozent darauf schauen, sind etwas weniger geworden.
Als Selbstständige fällt mir noch ein Randthema ein, das ich sehr spannend finde: Es wird immer wieder darüber berichtet, wie es für Frauen bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung aussieht – aber auch die Pflege von Angehörigen ist ein Riesenthema. Ich betreue meine Mutter, die dement ist, und das ist als Selbstständige eine riesige Herausforderung. Ich möchte es nicht anders haben – es ist selbstverständlich, dass ich mich um meine Eltern kümmere, aber die Zeiten, in denen ich arbeiten kann, sind dadurch begrenzt. Das ist ein Thema, das unter den Teppich gekehrt wird – dass es auch ältere Menschen gibt, die Betreuung brauchen, oder Lebensphasen, in denen man sehr eingespannt ist und trotzdem seiner Berufung nachgehen möchte. So geht es sicher auch anderen.
LEBENSART: Das ist eine große Challenge. Was waren sonst noch große Herausforderungen auf deinem Weg?
Susanne: Personell die richtigen Leute zu finden. Den Spagat zu schaffen zwischen der Leistbarkeit der Produkte und der Achtsamkeit mir selbst gegenüber – mich dafür nicht auszubeuten. Es war in den letzten Jahren finanziell eine Herausforderung, weil ich möchte, dass sich nicht nur eine bestimmte Schicht nachhaltige Mode leisten kann. Aber letztendlich muss man auch als Kreative den Stellenwert der unternehmerischen Betrachtungsweise sehen.
LEBENSART: Wie gelingt dir das?
Susanne: Meine Arbeit ist eine Herzensangelegenheit, die nicht mit 25 Businessplänen ausgestattet ist, nicht darauf ausgelegt ist, möglichst schnell Gewinne zu machen und die nicht auf den Wachstumswahnsinn steht, der die Welt dorthin geführt hat, wo wir heute sind. Natürlich muss man auf die Zahlen schauen, aber es muss nicht immer mehr und schneller sein.
Früher habe ich das wahrscheinlich zu technisch gemacht, das Administrative zuerst, weil ich es ungern mach – und dann darf ich kreativ sein. Das war für mich als Mensch aber nicht das Richtige. Heute gehe ich da mehr nach meinem Gefühl, mache die Aufgaben abwechselnd, wie es gerade passt. Im Fluss. Und: Ich mache Dinge sofort, schiebe nichts auf. Dann muss ich nicht mehr daran denken, habe weniger im Hinterkopf und es ist mehr Freude dabei – das macht freier. Ich weiß ja auch nicht, ob ich nachher Zeit habe – dass etwas dazwischenkommen kann, habe ich durch die Pflege meiner Mutter gelernt. Und auch, was wirklich wichtig ist: Wenn man solche Situationen durchleben darf, relativiert sich sehr viel. Das hilft auch, sich zu entscheiden.
LEBENSART: Gibt es etwas, das dir dabei hilft, auf dich selbst zu achten?
Susanne: Meine Spiritualität: Das Vertrauen in meine göttliche Führung und daran, dass es ein Lebensauftrag ist, dieses Herzenstalent auszuführen. Und dass sich damit ja auch etwas für die Gesellschaft verändert: Wenn jede*r sein/ihr Herzenstalent erkennen und tun würde, dann würde die Welt anders ausschauen. Das gibt viel Kraft – nur sind viele so zugeschüttet, dass sie es nicht erkennen. Natürlich ist es auch die Unterstützung in der Familie, die mir hilft – ich habe einen wunderbaren Ehemann, einen wunderbaren Sohn und meine Mami, die auch immer dabei ist, so es geht. Man braucht Menschen, die hinter einem und dem, was man tut, stehen und einen unterstützen. Davon gibt es glücklicher Weise einige in meinem Umfeld, wofür ich sehr dankbar bin.
Auch im Team: Als zum Beispiel mein Vater ganz plötzlich verstorben ist, hatten wir zwei Tage später ein Fotoshooting angesetzt. Im ersten Moment fragt man sich, kann ich das jetzt machen, wie geht es jetzt weiter? Da hat dann mein Team gesagt, wir machen das auch ohne dich – auch einmal etwas abgeben zu können, ohne viel darüber nachzudenken, das braucht man.
Viel Energie gibt mir in meinem Fall auch das Feedback von Kund*innen, die sagen, welche Freude sie mit meinen Produkten haben. Das ist für mich die schönste Rückmeldung, denn darum geht es mir.
Für mich selbst ist es auch immer wieder die Natur – einfach einmal daheim sein zu können, zuhause auf dem Hof zu arbeiten. Das klingt vielleicht seltsam, sich mit Arbeit zu erholen, zu der man sonst nicht kommt. Wenn man auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, ist das normal – man ist immer da, man arbeitet immer. Deshalb muss man als Bauernkind lernen, nein sagen zu können. Man muss lernen, was nicht honoriert wird, was einem nicht mehr guttut. Das zu erkennen, ist schwierig, das lernt man schmerzlich – zu erkennen, wo man nur noch gibt, wo das normale Nehmen und Geben nicht mehr gut funktioniert.
LEBENSART: Du hast erwähnt, dass es eine Herausforderung war, die richtigen Leute zu finden, die Peaces mittragen. Wie war das für dich?
Das ist ein Prozess, wo man als Unternehmer*in und als Mensch, durchmuss. Zu merken, dass man auch ausgenutzt wird, war schmerzhaft – aber das Problem zu erkennen, war ein Prozess. Man sieht, dass es sich nicht ausgeht, man hinterfragt die eigene Arbeit, die eigene Kreativität. Dann schaut man, was einen am meisten belastet – und sieht, es sind die Gehälter, die Lohnnebenkosten. Dann weiß man aus unternehmerischer Sicht, wo das Problem liegt. Dann rechnest du, wie lange brauchen wir für etwas, passen die Preise? Und dann siehst du, wo du etwas ändern musst. Auch als ich ausgefallen bin, habe ich gesehen, wie es wirklich läuft – wer für die Produkte brennt und wo die Ziele zusammenpassen. Gerade in so einer kleinen Struktur, brauchst du jemanden, der wirklich dabei ist. Diese Balance finde ich gerade. Du musst auf die Größe zurückfahren, die gut funktioniert – und auch Produkte sein lassen, die sich nicht ausgehen.
Das Kalkulieren ist notwendig, das gehört dazu – man kann nicht nur lieb und schön und kreativ sein. Diese Sachlichkeit musste ich erst lernen, diese nüchterne Schiene in mir entdecken. Da ist aber auch Gefühl wichtig – wenn ich mich bei einem Lieferanten wohl fühle, dann bleibe ich bei ihm, auch wenn es einen anderen gibt, der ein bisschen billiger ist. Kontinuität ist wichtig. Dinge die passen, passen.
In der heutigen Gesellschaft ist es ein großes Problem, dass Arbeit für viele so negativ besetzt ist. Für mich das schwer nachvollziehbar, weil es für mich ist es das Schönste ist, wenn ich in Ruhe drucken oder etwas Neues entwerfen kann. Den Raum zu haben. Das ist heutzutage ein großes Thema: Viele Leute sind von Arbeit oder Freizeitstress, von Kommunikationskanälen zugeschüttet. Ich mute mir nicht mehr als drei E-Mail-Adressen und zwei Handynummern zu – kein Whats-App, keine 1000 Plattformen. Man muss sich selbst vor einer Erreichbarkeit schützen, die einem nicht mehr guttut und vor einem Netzwerken, das nicht mehr wirklich ein Austausch aus, wo man nicht wirklich interessiert ist, das einem nicht entspricht. Das ist für alle wichtig, aber besonders für Selbstständige.
LEBENSART: Handwerk ist in der Mode heutzutage selten – du druckst von Hand und mit deinen eigenen Designs. Wie wichtig ist dir dieser persönliche Zugang?
Genau das macht es aus: Das Künstlerische, das Liebevolle, dass jedes Stück ein wenig anders aussieht. Siebdruck ist körperlich sehr anstrengend, er geht auch auf die Substanz, aber diese Arbeit ist Teil von mir und ein Teil von Peaces. Einzelne, technische Teile könnte auch jemand anderes machen – aber die Stoffe, das ist mir persönlich wichtig.
LEBENSART: Warum sind Peaces Friedensstücke?
Susanne: Weil es mein Herzenswunsch war und ist, Mode herzustellen, die mit Freude, in Frieden und mit Liebe hergestellt wird. Es ist so viel Unfrieden um uns herum, sogar Krieg. Was kann man aber selbst für den Frieden tun, außer selbst friedlich zu sein? Man muss etwas tun, wo der Frieden drinnen steckt. Deshalb ist es so wichtig, wer daran arbeitet und wie: Wenn jemand in der Produktion mit Angst unter Druck und Stress näht, dann ist das kein Friede.
So ist die Idee entstanden. Das bedeutet auch: Mode, die unseren Planeten und seine Ressourcen so weit wie möglich schont. Deshalb ist die Verwendung von biologischen, fair hergestellten Stoffen eine Selbstverständlichkeit. Eigentlich sollte unsere Mode „normal“ sein und die Mode, die allen schadet, müsste so hoch besteuert werden, dass sie unerschwinglich wird.
Ich würde mir von der Politik und den Medien wünschen, dass alles, was für die Menschheit, die Erde, das Ganze schlecht ist, nicht mehr gefördert wird. Noch immer sind in der Mode die Laufstege voll von Stücken, die das Künstliche (Polyester & Co.) hochleben lassen. Diese Kreationen füllen ganze Magazine. Das finde ich traurig. Gerade als Frau, wo man weiß, dass oft Sklavenarbeit dahintersteht.
Es ist ein Statement, was wir tragen. Wir könnten mit einem ökologischen Stoff zum Schneider gehen, und uns ein Outfit nähen lassen. Diese Konsequenz muss vorgelebt werden, zum Beispiel von Politiker*innen. Auch die Besteuerung müsste den Müll und die ökologische Auswirkung miteinberechnen. Magazine sollten andere Produktionsweisen zeigen. Und wir müssen die Kreativität der Kinder fördern. Egal welche Form von Kunst oder Kreativität – das ist auch in jungen Jahren wichtig und sollte einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft haben.
LEBENSART: Was bedeutet Friede für dich?
Susanne: In einer gewissen Zentriertheit und Sicherheit sein zu dürfen, mit einem guten Herzensgefühl, ohne Angst um den Job, das Kind, das Weltgeschehen. In sich ein Vertrauen und Fundament zu haben, um selbst friedvoll sein zu können, und in dem man auf Dinge, die von außen kommen, anders reagieren kann, als jemand, der mit sich selbst in einem Kriegszustand steht. Da gehört dazu, das tun zu dürfen, was in einem selbst drinnen ist, das Talent leben zu dürfen, das man ins Herz eingeschrieben bekommen hat.
Das Interview führte Michaela R. Reisinger.