Wenn der Rücken schmerzt
Rund 80 Prozent aller chronischen Schmerzen betreffen den Bewegungsapparat. Die Zahl der Menschen mit Rückenschmerzen hat im vergangenen Jahrzehnt um ein Drittel zugenommen. Wie kann man diesem Volksleiden vorbeugen?
Unsere Vorfahren hatten es leichter. Denn die Wirbelsäule war ursprünglich für vierfüßige Bewegungsabläufe konstruiert. Durch die Aufrichtung in eine Horizontallage wird sie anders belastet. Damit ist das Rückgrat anfälliger für Funktionsstörungen und Schmerzen. Obgleich Neandertaler, Australopithecus und Co das Dasein ebenfalls schon im aufrechten Gang fristeten, hatten Sie im Vergleich zum homo sapiens zwei entscheidende Vorteile: Zum Einen waren sie bei ihrer Jagd nach Säbelzahntigern um einiges aktiver, zum anderen hatten sie eine deutlich geringere Lebenserwartung. Der heutige Mensch bedient sich einer Reihe an industriellen Möglichkeiten, die seinen natürlichen Bewegungsumfang deutlich dezimieren. Die steigende Lebenserwartung begünstigt zudem natürliche Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule. Stress, Bewegungsarmut und Fehlbelastungen tun ihr übriges: De facto leiden in Österreich ca. zwei Millionen Menschen unter Rückenproblemen unterschiedlichen Schweregrades. Viele davon wären durchaus vermeidbar.
Bewegungsarmut gilt als Hauptrisikofaktor für Rückenschmerzen
Hand auf´s Herz: Ist es nicht unheimlich bequem, auch für kurze Distanzen das Auto zu benutzen? Ein sportives Training nach einem anstrengenden Arbeitstag absolvieren? Vielleicht morgen! Einer aktuellen Bewegungsstudie der Techniker-Krankenkasse Deutschland zufolge verbringen drei von zehn Menschen 9 Stunden pro Tag im Sitzen. Mehr als zwei Drittel bewegen sich innerhalb eines Tages nicht einmal eine Stunde. Zum Missfallen der menschlichen Wirbelsäule. Denn neben Wirbelsäulenverkrümmungen, Störungen des Wachstums und Fehlhaltungen zählt Bewegungsarmut zu den Hauptrisikofaktoren für Beschwerden im Bewegungsapparat.
Die rückenansässigen Muskeln erfüllen eine wesentliche Stütz- und Pufferpunktion. Sind sie unzureichend trainiert, können sich Verspannungen und Schmerzen manifestieren. Auch die Bandscheiben protestieren bei Fehlbelastungen und körperlicher Passivität. Dazu sollten Sie wissen: Die Bandscheibe ist auf ein Wechselspiel zwischen Be- und Entlastung angewiesen. Bei längerer Bewegungslosigkeit wird der Wasserein- und Wasserausstrom unterbunden. Die Folge: Die Bandscheiben hungern quasi aus. Sie bekommen zu wenig Nährstoffe und verlieren an Elastizität. Erhöhte Belastungswerte machen die Bandscheiben anfälliger für degenerative Erkrankungen. Das Gewebe verliert an Festigkeit, wodurch sich Spalte und Risse bilden und in weiterer Folge Bandscheibvorfälle entstehen können.
Die Wirbelsäule mag es ausgewogen!
Einseitige Belastungen in Beruf oder Freizeit wirken sich negativ auf die Wirbelsäule aus. Eine Krankenschwester, die ihre Patienten oft in ungünstigen Körperhaltungen drehen und heben muss, belastet ihren Rücken ebenso wie ein Gartenarbeiter, der mehrere Tage dieselbe, monotone Spatenstichbewegung ausführt. Durch die unsachgemäßen Bewegungsabläufe werden kleinste Wirbelgelenke überstrapaziert und abgenutzt. Um diesen degenerativen Prozessen entgegen zu wirken, sollten präventive Bewegungselemente in den Alltag integriert werden. „Es ist wichtig, das zu trainieren, was bei der Arbeit zu kurz kommt“, bringt es Dr. Joachim Mallwitz, Orthopäde im Rückenzentrum Hamburg auf den Punkt. Für jemanden, der den ganzen Tag über sitzt, ist ein gezieltes Krafttraining sinnvoll. Arbeitnehmer, die einen bewegungsintensiven Beruf ausüben wie Tischler oder Installateure sind mit ausgleichenden Dehnübungen und Ausdauersport gut beraten.
Tipps für einen starken Rücken
Kinder rückenfit machen: Prävention sollte bereits in jungen Jahren beginnen. Gudrun Weber, Sprecherin der Schulärzte ortet hier einen zu bemängelnden Nachholbedraf: „Die Schultaschen sind oft viel zu schwer und die Sitzmöbel in der Schule haben meist eine Höhe, die nicht der Größe des Kindes entspricht.“ Als Faustregel gilt: Eine Schultasche sollte nicht mehr als zehn bis zwölf Prozent des Körpergewichts wiegen, das Gewicht der Tasche muss auf beide Riemen verlagert sein.
Richtig sitzen: Wenn Sie berufsbedingt viel sitzen müssen, sollten Sie Ihren Rücken durch regelmäßiges Zurücklehnen entspannen. Ein Sessel mit einer geraden, leicht nach vorne gebeugten Sitzfläche ist ideal. Die Rückenlehne darf leicht nach hinten geneigt sein.
Richtig heben und tragen: Heben und tragen Sie Lasten körpernah. Gehen Sie beim Herunter- und Vorbeugen in die Knie und versuchen Sie, den Rücken möglichst nicht zu beugen.
Die passende Sportart wählen: Bewegung ist immer gut. Doch welche Sportarten fördern die Rückengesundheit? „Gut geeignete Sportarten sind Rudern, Klettern, Rückenschwimmen und Geräteturnen“, rät Dr. Andreas Stippler, Facharzt für Orthopädie in Krems. „Ebenso wichtig sind Koordination, Gleichgewicht und Statiktraining auf instabilen Systemen wie MFT-Platten und Sitzbällen.“
Mit gezieltem Muskeltraining Beschwerden vorbeugen und lindern: Eine besondere Bedeutung erfährt die sogenannte Tiefenmuskulatur. Diese feinen Muskeln liegen direkt auf der Wirbelsäule und bilden die Rückwand der Bauchmuskulatur. Yoga und Pilates trainiert diese Muskelregion und fördert nebenbei die körperliche und mentale Regeneration. Dazu Ingo Froböse, Leiter des Zentrums für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln: "Gerade für Menschen mit Rückenbeschwerden sind diese Übungen wichtig und sinnvoll. Bei gut 90 Prozent aller Betroffenen sind die Schmerzen auf eine schwache Muskulatur, schwache Bänder oder verkantete Wirbelgelenke zurückzuführen."
Autorin: SYLVIA NEUBAUER
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