"Sie haben mir einfach vertraut"
„Ich war immer schon ein bisschen anders“, so beschreibt sich Silvia Jölli, die Gründerin von heidenspass, einem Arbeitsprojekt für Jugendliche, in dem stylische Upcycling-Produkte hergestellt werden.
Silvia Jölli übersiedelte mit 10 Jahren mit ihrer Familie aus dem tiefsten Salzburger Bergland in die Steiermark. In der Schule fühlte sie sich nicht wohl. Stattdessen verfolgte sie unzählige andere Interessen, was ihr in der 6. Klasse eine unsanfte Entlassung aus dem Gymnasium bescherte.
Jölli lungerte in Parks herum, in Berlin und in Graz , wusste einfach nicht, was sie wollte. Mit kleinen Jobs – wie Leerflaschen zurückbringen für eine Dose Bohnen, denn die sättigen gut – hielt sie sich über Wasser. „Immerhin hatte ich immer ein Bett und etwas zu essen“.
Einer dieser Jobs änderte ihr Leben: sie sollte Plakate für die Grünen in Graz aufkleben. Das Punker-Outfit von Jölli war ihnen völlig egal. „Die haben nicht kontrolliert, ob wir das wirklich aufkleben sondern uns einfach vertraut, und bar auf die Hand bezahlt. Das hat mich sehr beeindruckt. Daher habe ich die Plakate nicht weggeworfen sondern alle ordentlich aufgeklebt“.
Damit war die unruhige (Pubertäts-) Phase von Jölli vorbei. „Ich habe erkannt, dass diese Art von Leben das Gegenteil von Freiheit ist.“ Sie begann eine Ausbildung zur Sozial- und Berufspädagogin, bekam ihr erstes Kind und arbeitete ein paar Jahre beim bfi und der Caritas.
Der Wunsch, jungen Leuten eine Chance zu geben, wurde aber immer stärker. 2006 gründete sie heidenspass, ein Arbeitsprojekt für junge Menschen, die aus der Spur geraten sind. Jölli konnte dabei auf all ihre Erfahrungen aufbauen: sie kannte das Gefühl, Außenseiterin zu sein; die Wichtigkeit einer unmittelbaren Bezahlung, die gleichzeitig nicht zu hoch sein darf, damit man den Umgang mit Geld lernen kann; die tägliche Möglichkeit zu entscheiden, ob man mitzuarbeiten will oder nicht; wie wichtig Begegnung auf Augenhöhe ist, und vor allem Respekt vor den jungen Menschen.
Ihre Familie und ihre Umgebung hielten sie für verrückt: Wie kann man nur einen sicheren Job aufgeben und sich selbstständig machen, mit so einem Wahnsinn? Jölli blieb dabei: „Ich wollte es wissen und glaubte an die Idee. Gerade weil ich selbst so weit draußen aus der Gesellschaft gestanden bin.“
Ihr Konzept ging auf: „Die schlimmen Punks waren jeden Tag pünktlich gestellt und haben mitgemacht.“ Natürlich sei auch der Zeitpunkt günstig gewesen. Die Steiermark hatte erstmals eine rote Landesregierung bekommen und die Politiker waren auf der Suche nach neuen Projekten. „Zudem waren wir echt emotional, mit Herz und Hirn wirklich dabei. Wir sind mit ganz wenig Geld ausgekommen.“ Und auch der Spirit der Gründung wirkte: „Nach einem Arbeitstag sind wir oft noch was trinken gegangen und haben die Idee weitergesponnen.“
Aber auch die Mühen der Ebene meistern Jölli und ihr Team „Am Anfang glaubt man, es wird irgendwann stabiler und einfacher. Aber das ist nicht so.“ Das Projekt wuchs kontinuierlich, man kennt nicht alle persönlich. „Aufpassen muss man auch, dass man nicht zu sehr in Distanz zur Gruppe kommt. Denn der Erfolg des Konzepts basiert auf der Nähe zu den Jugendlichen.“ Daher wurde ein gemeinsames Mittagessen etabliert.
Die Kunden wurden anspruchsvoller – und damit stiegen die Anforderungen an heidenspass. „Die Arbeit erfordert einerseits Kreativität, um mit den jungen Menschen erfolgreich arbeiten zu können. Andererseits sind wir erlösgetrieben. Das kann dazu führen, dass man Jugendliche ausgrenzt, die wenig Leistung bringen. Da kommt ein wirtschaftlich schöner Auftrag und du weißt, dass einige Jugendliche das nicht können.“ Um in diesem schwierigen Balanceakt nicht zerrieben zu werden gibt es heute eine kaufmännische und eine pädagogische Leitung, die diesen Konflikt ausbalanciert.
Die größte Belastung für das Team ist die permanente Unsicherheit. Die Verträge mit Fördergebern werden immer nur für ein Jahr unterschrieben. Jölli: „Wir sollen uns in unserer Arbeit auf Stabilität konzentrieren und wissen oft bei der Weihnachtsfeier noch nicht, ob es weiter geht. Das will ich ändern.“ Ein erster Schritt ist die Gründung einer gemeinnützen GmbH, die vom Verein getragen wird. Darüber hinaus soll die Finanzierung auf mehrere Standbeine ausgeweitet werden z.B. über Kooperationen mit Unternehmen. So sollen der Eigenerlös auf 50 % gesteigert werden. „Ich will aber sicher nicht mehr privat und weniger Staat. Unsere Jugendlichen sind alle benachteiligt. Sie sind nicht gleich leistungsfähig“ sieht Jölli nach wie vor eine große Verantwortung bei der öffentlichen Hand.
Ihr Tipp für ArbeitgeberInnen
„Arbeit soll den Menschen dienen und nicht die Menschen der Arbeit. Jeder Mensch ist einsetzbar. Man muss kreativ sein und die entsprechenden Rahmenbedingungen ändern. Drogenabhängige Menschen sind oft sehr gründliche Menschen und machen gerne genaue Arbeit, z.B. putzen. Da kann man sie gut einsetzen.“
Was empfiehlst du Eltern pubertierender Kinder?
„Durchatmen, cool bleiben, nicht zu viel dagegen reden. Denn das ist sinnlos. Man darf von jungen Menschen in der Pubertät nicht zu viel erwarten. Man muss sich freuen, sie halbwegs durchzubringen. Die meisten Dinge regeln sich durch Zeit. Wir haben viele Jugendliche, die nach dieser Phase wieder in die Schule zurückgehen. Eltern brauchen ein gutes Nervenkostüm und eine große Portion an Gelassenheit.“
Was empfiehlst du jungen Menschen, die mit sich und der Welt unzufrieden sind?
„Empfehlen geht nicht. Die Pubertät ist eine der schwierigsten Zeiten in einem Menschenleben. Es ändert sich alles im Körper und im Gehirn. Gleichzeitig sollst du dich orientieren und stehst vor unglaublich vielen Möglichkeiten. Das ist extrem schwierig. Ich denke, junge Menschen sollten einfach etwas anfangen und ausprobieren, und wenn es nicht passt, wieder ändern. Die Entscheidungen in dieser Zeit sind nicht endgültig, sie lassen sich wieder ändern. Runter vom Stress.“
AUTORIN: ROSWITHA M. REISINGER
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