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Styroporitis

„Verdämmt nochmal“ titelte ein Artikel in der Kronen Zeitung. Die EU, die Dämmstoffindustrie im Allgemeinen und Polystyrol (EPS) - besser bekannt unter dem Markennamen Styropor - im Besonderen werden darin zum Inbegriff des Bösen stilisiert. Was ist dran an den Vorwürfen?

Zentraler Kritikpunkt des Artikels ist die Gesundheitsgefährdung. „Styropor ist wegen der aggressiven Chemie gefährlich für Babys“, ist zu lesen, und „Pestizide werden aus der Fassade ausgeschwemmt und landen im eigenen Garten bei den spielenden Kindern.“ Konkret gemeint ist vermutlich das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD), das von der europäischen Chemikalienrichtlinie REACH als gefährlich eingestuft wird und ab August 2015 EU-weit verboten ist.

Die Hersteller von Polystyrol-Dämmstoffen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, trotz des Wissens um die Gefährlichkeit nicht schon früher auf alternative Flammschutzmittel umgestellt und die mehrjährige Umstellungsfrist fast zur Gänze ausgereizt zu haben. LEBENSART hat schon 2013 bei einigen Herstellern nachgefragt und erfahren, dass es gesundheitlich unbedenkliche Alternativen gibt. Auf Anfrage könne man solche Platten bekommen, hieß es damals, man könne aber nicht die gesamte Produktion umstellen, da die Alternativen nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung stünden.

Dem Reich der Phantasie entspringt der Hinweis, dass die spielenden Kinder im Garten unmittelbar gefährdet sind. Weit bedenklicher ist die Tatsache, dass HBCD seit den 1980er Jahren auch in Polstermöbeln, Teppichböden, Vorhängen, Zeltplanen ja sogar in der Bettwäsche als Brandhemmer eingesetzt wurde, wo eine unmittelbare Gefährdung viel eher gegeben wäre, als bei einem verputzen Dämmstoff.

Völlig absurd ist die Behauptung, dass Styropor „giftige Kondensationen und Schimmelbildung in Innenräumen fördern kann“. Es bewirkt – so wie jeder ordnungsgemäß angebrachte Vollwärmeschutz - genau das Gegenteil. Die ganz normale – völlig ungiftige! – Feuchtigkeit, die in der Wohnung beim Atmen, Duschen, Kochen usw. entsteht, legt sich an kalten Wänden an. Das nennt man „Kondensation“. An diesen feuchten Wänden kann sich Schimmel bilden. Wird jetzt die Außenwand samt Fensterlaibung gedämmt, gibt es keine kalten Wände, an denen das Wasser kondensiert und daher auch weniger Schimmelprobleme.

„Diese Panikmache untergräbt unsere Bestrebungen für Klimaschutz und führt zu Verunsicherung in der Bevölkerung, die gebrachten Argumente sind so nicht haltbar“, reagierte DI Johannes Fechner, Bildungskoordinator der Initiative klimaaktiv des Umweltministeriums auf den Artikel.

Aus wirtschaftlicher Sicht rechne sich eine Dämmung ohnehin nicht, heißt es im Artikel weiter, da sie sich erst in 51 Jahren amortisiere. „Die Angabe einer allgemein gültigen Amortisationsdauer ist unsinnig“, entgegnet Fechner. „Das kommt auf die jeweilige Ausgangsbasis an, etwa wie hoch die aktuellen Heizkosten sind und dann auf den konkreten Umfang der Sanierungsmaßnahmen.“ Richtig ist, dass eine thermische Sanierung kein schnelles Geld bringt, egal womit gedämmt wird. Erfahrungen zeigen, dass es – je nach Zustand des Gebäudes und Höhe des Energiepreises – 20 bis 25 Jahre dauert, bis die niedrigeren Heizkosten die Investition zurückspielen. Gibt es Förderungen, rechnet sich die Sanierung finanziell schon früher. Wärmedämmung ist vielleicht vergleichbar mit dem Pflanzen von Bäumen im Wald – die Ernte ist hier auch für die nächste oder übernächste Generation angelegt. Nachhaltig eben! Vom Wohnkomfort betrachtet rechnet sich die Dämmung bereits ab dem ersten Tag, weil das Raumklima zwischen warmen Wänden im Winter wesentlich angenehmer ist.

Die ökologische Variante der Fassadendämmung ist zweifellos die Mineralschaumplatte oder ein Wärmedämm-Verbundsystem mit nachwachsenden Rohstoffen wie Hanf, Schafwolle, Zellulose, usw. Polystyrol ist ein Erdölprodukt und wird vor allem deshalb besonders häufig verwendet, weil es billig und leicht ist. Der Preis spielt bei der Sanierung immer eine große Rolle und das geringe Gewicht ermöglicht aus statischer Sicht, ziemlich dicke Platten an die Fassade zu dübeln.

In der Kronen Zeitung wird ein nicht genannter „heimischer Experte“ wie folgt zitiert: „Wer dämmt, fördert die Ausbeutung fossiler Ressourcen, die ja nicht unbedingt umweltfreundlich erfolgt.“ Hier hält die Güteschutzgemeinschaft Polystyrol-Hartschaum (GPH) dagegen, dass „über die Lebensdauer des Produktes betrachtet mit jedem Liter Erdöl, aus dem Styropor zur Dämmung von Gebäuden hergestellt wird, bis zu 200 Liter Heizöl eingespart werden können.“ „In einer Gesamtbetrachtung überwiegen die Vorteile“, bestätigt auch Fechner. „Jene Energie, die zur Herstellung und zum Transport von Dämmstoffen nötig ist, erspart man sich bereits durch den geringeren Heizenergieverbrauch in den ersten Monaten nach der Dämmung.“

Und dann kommt zuletzt noch das leidige Thema Entsorgung. „Möglicherweise löst es sich nach Jahrzehnten ja auf und bröselt von den Wänden“ wird ein „renommierter Wiener Immobilienmakler und Hausbesitzer, der aus naheliegenden Gründen anonym bleiben will“ zitiert. Die Fachliteratur sagt dazu, dass die Dämmung 30 bis 40 Jahre hält. „Unsere EPS Fassade im 2. Wiener Bezirk ist 32 Jahre alt und bröselt keineswegs“, berichtet Fechner aus eigener Erfahrung. „Man könnte bei Bedarf auch die Deckschicht erneuern, manchmal wird noch eine Schicht aufgedoppelt.“

Richtig ist aber auch, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem die neue Fassade wieder abgetragen werden muss. Polystyrol-Dämmstoffe sind wiederverwertbar, sofern sie bei den Abbrucharbeiten vom Mauerwerk getrennt entsorgt werden. Gemahlenes Styropor ist laut GPH als Zuschlagstoff für Leichtbeton und Dämmputze sowie als Porenbildner in der Ziegelindustrie begehrt, es kann auch in Verbrennungsanlagen zur Wärmegewinnung verwendet werden. Der Heizwert entspricht in etwa dem von Heizöl.

Und die Moral von der Geschicht‘: Es ist unter Abwägung aller Vor- und Nachteile immer besser zu dämmen, statt Geldbörse und Umwelt durch vermeidbares Heizen zu belasten. Im Innenbereich hat EPS nichts verloren. Für die Außenwand gibt es ebenfalls hervorragende ökologische Alternativen. Wer jedoch mit Polystyrol dämmt, braucht sich nicht zu fürchten, dass er/sie oder die Kinder dadurch vergiftet werden.

Die bösen Lobbyisten! Was steckt dahinter?

Hinter diesem „Dämmstoffwahn“ und der „Propaganda“ steckt „eine milliardenschwere Industrie mit entsprechenden Lobbyisten in Brüssel“, wird in der Kronen Zeitung ein nicht näher genannter „Kritiker“ zitiert. Könnte es nicht auch sein, dass Lobbyisten mit gegenteiligen Interessen beim Journalisten der Kronen Zeitung am Werk waren?

Konkret dürfte die von Österreich und allen anderen Mitgliedsstaaten der EU im Jahr 2010 beschlossene Gebäuderichtlinie der Grund für die Verteufelung des Dämmstoffes gewesen sein. Darin ist festgeschrieben, dass ab 2020 nur mehr Wohnbauten errichtet werden dürfen, die dem Niedrigstenergie- oder Passivhausstandard entsprechen. Für öffentliche Gebäude gelten diese Kriterien schon ab 2018.

Dagegen laufen Teile der Baubranche Sturm, denen die Verordnung nicht schmeckt, weil sie Einbußen befürchten. Auch die Wohnbauträger jammern bei jeder Gelegenheit, dass die Auflagen zu höheren Baukosten führten und dass das Wohnen bald nicht mehr leistbar sei.

Im April 2012 berichtetet die Süddeutschen Zeitung aus geleakten Unterlagen einer deutschen PR-Agentur, dass es bereits Konzepte gäbe, „bei politischen Entscheidern ein Umdenken hervorzurufen.“ Dabei sollten auch „professionelle Multiplikatoren“, wie Journalisten angesprochen werden. Die zentrale Botschaft müsse sein, dass Wärmedämmverbundsysteme „Umwelt und Gesundheit“ gefährden und „ein nachhaltiges Entsorgungsproblem für kommende Generationen“ darstellen. Die Agentur wurde zwar laut SZ nie mit der Umsetzung des Konzeptes beauftragt, die Inhalte haben offensichtlich auch so ihren Weg in manche Redaktionsstube gefunden.

Autor: Christian Brandstätter

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