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Vier Generationen, viele Traditionen

Weihnachten bei Familie Zusag

Familie Zusag: Papa Patrik und Mama Jasinta mit ihren Kindern Livi und Kian auf dem Schoß. Die 4 sitzen zusammen am Boden zwischen künstlich beschneiten und beleuchteten Christbäumen und weiterer weihnachtlicher Deko in kühlen Weiß-, Gold- und Brauntönen.
Familie Zusag: Papa Patrik und Mama Jasinta mit ihren Kindern Livi und Kian. Foto: Familie Zusag

Weihnachtsmannüberraschung im Pyjama, Verwandtenchaos hoch drei, berufliches Sektgeproste, Friedenslicht holen, Christkindlläuten. Und am Dreikönigstag wird dann noch Burek geschlemmt. Zu Weihnachten vermischen sich bei Familie Zusag Traditionen aus vier Generationen und verschiedenen Kulturen.

Der Wecker muss heute nicht läuten, Livi (3) und Kian (7) Zusag springen ganz von alleine aus ihren Betten. Es ist der 24. Dezember und der Weihnachtsmann war da. Freude funkelt aus ihren Augen, als sie das Wohnzimmer betreten. Unzählige Packerl, darüber ein gestylter Christbaum. „Mir ist es wichtig, dass alles perfekt ist. Baum und Deko sollen farblich aufeinander abgestimmt sein und es müssen ganz viele Geschenke her – wie in amerikanischen Kitschfilmen“, erzählt Mama Jasinta Zusag (36), die einen Instagram-Account sowie eine Werbeagentur betreibt und eine Zeitschrift herausgibt. Papa Patrik Zusag (32) ist Gastronom mit Leib und Seele und hat vier große Unternehmen zu führen: „Der Dezember ist bei uns beruflich sehr fordernd. Daher haben wir beschlossen, manches anders zu machen, als wir es aus unserer Kindheit kennen.“
 

Gemeinsames Aufputzen

So wird etwa die Weihnachtstanne bereits am ersten Adventwochenende gemeinsam mit den Kindern ausgesucht, zusammen aufgestellt und aufgeputzt. Trotz durchgeplanten Farbschemas dürfen sechs besondere Schmuckstücke niemals fehlen, erzählt Mama Jasinta: „Jeder von uns hat eine Weihnachtskugel mit seinem Namen. Außerdem durfte Kian sich und seiner Schwester, als sie noch in meinem Bauch war, eine weitere Kugel aussuchen.“

Vater und Sohn in Winterkleidung gehen durch einen Christbaumwald.
Der Weihnachtsbaum wird am ersten Adventwochenende gemeinsam ausgesucht. Foto: Familie Zusag
In einer Schuhschachtel liegen auf Holzwolle Christbaumkugeln, 4 davon sind weiß und tragen einen Namen in schwarzer Schrift.
Sechs besondere Kugeln schmücken den Baum bei Familie Zusag. Foto: Familie Zusag

Das private Weihnachtsfest in die Morgenstunden zu verlegen, war eine bewusste Entscheidung, denn so könne die kostbare „Viersamkeit“ in Ruhe genossen werden. Während die Kinder ihre Geschenke bestaunen, läuft besinnliche Musik im Hintergrund und am selbstgesteckten Adventkranz flackert die vierte Kerze. Gemütlich, unkompliziert, familiär.

Weniger ist mehr?

Lediglich beim Thema Schenken sind sich die Eltern uneinig. Patrik ist ein praktisch denkender Mensch: „Ich finde, dass unsere Kinder ein tolles Geschenk bekommen sollten. Das würde genügen. Dass sich Erwachsene etwas schenken, sollte auch nicht mit Zwang verbunden sein. Wenn ich meiner Frau eine Freude machen kann, dann tue ich das, es muss aber nichts Teures sein.“

In Jasintas Augen soll der Geschenkeberg üppig gestaltet sein, der Grund ist vermutlich in ihrer Vergangenheit zu finden: Im Alter von zwei Jahren kam sie mit ihrer damals vierjährigen Schwester und ihren Eltern aus Albanien nach Österreich in das Flüchtlingslager Traiskirchen. Nach einem Jahr zog die Familie in ein Einzimmerapartment nach Baden. Jasintas Eltern (damals erst Anfang 20) kannten bis dato keinerlei Weihnachtsbräuche und ihren am Papier eingetragenen Religionen (griechisch-orthodox und islamisch) wurde im kommunistisch geprägten Albanien kaum Bedeutung beigemessen.

Wer Weihnachten nicht kennt

Zwei Mädchen präsentieren stolz ihre Weihnachtsgeschenke vor dem geschmückten Christbaum.
Jasinta mit ihrer Schwester, 1994. Foto: Familie Zusag

Die zauberhaft anmutende österreichische Weihnachtszeit und die Idee, einer Person mit einem Geschenk eine Freude zu machen, haben bei Mazllem (59) und Suzana (58), die selbst eine mit Trauer und Armut geprägte Kindheit erlebt hatten, schnell Eindruck hinterlassen. Aufgrund der Sprachbarriere erfuhr das albanische Ehepaar jedoch nicht viel über das „klassische“ Brauchtum, sondern sah in amerikanischen Filmen, dass wohl der Weihnachtsmann in der Nacht auf den 25. Dezember Geschenke bringt und ein geschmückter Baum im Mittelpunkt des Geschehens steht.

Wenn Papa durchs Fenster stolpert

„Ich muss drei oder vier Jahre alt gewesen sein. Meine Schwester und ich schliefen, da weckte uns plötzlich ein Geräusch. Verwundert sahen wir, wie unser Papa durch das Fenster hereinstolperte – wir wohnten damals im Erdgeschoß. Schnell meinte er: Schaut, der Weihnachtsmann war da“, erinnert sich die 36-Jährige.

Und da waren sie, die Geschenke – eingewickelt in Alufolie auf einem kahlen Laubbaum im Innenhof. Es waren eine Füllfeder und eine billige, barbieähnliche Puppe, die Jasinta vom Baum pflücken durfte. Sie weiß heute noch, wie sie sich damals gefühlt hat: „Ich war das glücklichste Kind auf Erden. Obwohl meine Eltern so wenig hatten, haben sie immer alles für mich und meine Geschwister getan.“

Weihnachten heute

Zurück im Hier und Jetzt endet bei Familie Zusag am 24. Dezember gegen 11 Uhr die bislang so ruhige Viersamkeit. Dann kommen Jasintas Geschwister mit ihren Familien zum Brunch. Es wird geschlemmt, gespielt, getobt. Nach ein paar Stunden wird vorübergehend Abschied genommen, denn nun müssen Jasinta und Patrik ihren Unternehmen Aufmerksamkeit schenken. Jasinta postet kurze Storys vom weihnachtlichen Privatleben, im eigenen Kaffeehaus wird mit Gästen und Geschäftspartner*innen mit Sekt angestoßen. 

Friedenslicht und Engelshaare

Zwei Jungen im Volksschulalter, beide in Bluejeans und hellem Strickpulli gekleidet, stehen vor einer weißen Zimmertür und versuchen, durch das Schlüsselloch zu spähen.
Die Zwillingsbrüder Patrik und Dominik, 1996. Foto: Familie Zusag

Parallel genießen Livi und Kian Zeit mit Patriks Eltern – Oma Martina (58) und Opa Franz (67) – und holen mit ihnen gemeinsam das Friedenslicht aus der Kirche. „Meine Eltern feiern das Weihnachtsfest sehr traditionell. Die Vorbereitung im Advent spielt eine wesentliche Rolle. Als ich ein Kind war, hat meine Mama mit meinem Zwillingsbruder und mir immer unfassbar viel gebastelt und gebacken. Das macht sie heute mit unseren Kindern“, so Patrik. Besonders die Details gestalteten die Geheimniskrämerei rund um den Heiligen Abend noch fantasiereicher. Da lagen auch schon mal Engelshaare am Boden und das Fenster war gekippt, nachdem der Wunschbrief verschwunden war.

Das Glöckchen klingelt

Bei Oma Martina und Opa Franz kommt am Heiligen Abend also das Christkind. Sobald Mama Jasinta und Papa Patrik von ihren unternehmerischen Pflichten zurück sind, wird Raclette gegessen. Immer wieder spähen die Enkelkinder neugierig durch das Schlüsselloch (etwas, das Patrik und sein Bruder auch vor 30 Jahren getan haben) des Raumes, der bereits den ganzen Tag verschlossen ist. Bis?

Ja, bis plötzlich ein Glöckchen ertönt. Die Kinder merken gar nicht, dass der Ton von Opas Handy kommt. Die Zimmertür wird aufgesperrt und da steht er, der Weihnachtsbaum mit einzelnen, sorgfältig ausgewählten Geschenken darunter – natürlich alles von Engerln herbeigezaubert.

Weihnachten vor 50 Jahren

Schwarz-weiß-Foto von Opa Zusag zu Weihnachten 1958: Der kleine Junge sitzt auf einem Schaukelpferd vor dem geschmückten Christbaum.
Opa Zusag, 1958. Foto: Familie Zusag

Wenn sich Oma Martina und Opa Franz an ihre eigene Kindheit zurückerinnern, war der Kirchenbesuch am Heiligabend Pflicht. Der Weihnachtsbaum reichte bis zur Zimmerdecke, reichhaltig dekoriert mit Kugeln und Lametta, Schokolade und Zuckerkringel.

So manche Geschenke blieben unvergessen, wie Puppenwagen, Trittroller oder die Eisenbahn, die jedes Jahr aufgebaut und erweitert wurde. Ganz wichtig war: Vor dem Dreikönigstag durfte nichts vom Christbaum genascht werden. Das ist jetzt anders – da stibitzen sich die Enkerl gleich mal einen Schokoschirm von einem Zweig.

Besinnlich versus Chaos

Die Besinnlichkeit während des Geschenkeauspackens ist den Zusag-Großeltern jedoch ein großes Anliegen. Nur nacheinander darf sich jede*r das Päckchen suchen, auf dem der eigene Name steht. Während eine Person auspackt, schauen alle anderen in Stille zu.

So gesittet gehe es bei Jasintas Eltern – bei „Pabo“ (Opa Mazllem) und „Pabo-Oma“ (Oma Suzana) nicht zu. Gegen 20 Uhr trifft dort die gesamte Familie von Jasinta nochmals aufeinander. Es ist laut, es herrscht ein Durcheinander. „Es ist einfach schön“, meint Jasinta.

Packerl-Schlacht um Mitternacht

Bis Mitternacht müssen nun alle warten, erst dann ist Bescherung. Diese Tradition hat Jasintas Vater eingeführt, als seine eigenen Töchter noch Jugendliche waren, aus Sorge, dass sie sich nur rasch ihre Geschenke schnappen und den Heiligen Abend möglicherweise mit Freund*innen verbringen würden.

Punkt null Uhr geht es also auf in die Geschenkeschlacht. Wild reißen die Kinder das Papier von den Päckchen. „Wir Erwachsenen wichteln – lustigerweise ziehe ich meistens Patrik“, berichtet Jasinta schmunzelnd.

Zu Besuch bei den Urlis

Am folgenden Christtag werden noch Patriks Großeltern, Uroma Stefanie (87) und Uropa Franz (90) besucht und mit Patriks erweiterter Familie beim Heurigen in Lichtenwörth zu Mittag gegessen. Dort finden alle der Zugasschen Großfamilie Platz.

Wenn sich Uroma und Uropa dabei das Weihnachtsfest ihrer Kindheit ins Gedächtnis rufen, wird es mit Liebe und Dankbarkeit verbunden. Der Weihnachtsbaum war eine duftende Fichte aus dem Wald, geschmückt mit Äpfeln, Orangen und Zuckerwürfeln. Letztere wurden in Stanniolpapier gehüllt, das ursprünglich das Verpackungsmaterial der „1-Schilling-Bensdorp-Schokolade“ war und ein Jahr lang gesammelt wurde.

"Bitte einmal Burek mit Münze"

Und dann, wenn der Christbaum längstens aus den meisten Häusern verschwunden ist und Livi und Kian den letzten Ferientag genießen, meldet sich nochmals die „Pabo-Oma“ mit einem Anruf: „Kommt ihr eh? Ihr wisst ja, heute ist Weihnachten.“

Viele orthodoxe Christen feiern nämlich am 6. Jänner Weihnachten, so auch Jasintas Mama. Geschenke gibt es jetzt keine mehr, dafür wird Burek mit einer eingebackenen Münze aufgetischt. Jene Person, die diese in ihrem Stück findet, soll das kommende Jahr von Glück gesegnet sein. Diese Tradition hat Suzanna als junges Mädchen von ihrer Adoptivmama kennengelernt und gibt diese nun an die vierte Generation weiter.

Lisa Strebinger

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