Wasserkraft: massiver Ausbau als größtes Öko-Desaster?
Die Tiroler Landesregierung hat sich zum massiven Ausbau der Wasserkraft im Oberland bekannt. "Energiepolitisch veraltet, ökologisch desaströs und rechtich fragwürdig" so die Umweltschutz-organisationen dazu.
Derzeit liegt der „Wasserwirtschaftliche Rahmenplan“ der TIWAG (Tiroler Wasserkraft AG) für die Errichtung von sechs naturzerstörerischen Mega-Kraftwerken zur öffentlichen Einsicht auf. Der WWF und GLOBAL 2000, Greenpeace und das ÖKOBÜRO analysieren diesen TIWAG-Plan als energiepolitisch veraltet, ökologisch desaströs, rechtlich fragwürdig und demokratiepolitisch bedenklich.
Viele der vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen zur angeblichen Reduktion der vielfältigen Umweltschäden, die durch die Wasserkraftwerke entstehen würden, seien vielfach bestenfalls als Kosmetik zu bezeichnen und naturschutzfachlich nicht nachvollziehbar. „Wir erwarten uns von der Tiroler Landesregierung und ganz besonders von den Grünen bis zum 8. September eine negative Stellungnahme zu den Ausbauplänen der TIWAG bei Umweltminister Andrä Rupprechter – zum Schutz der Umwelt und der SteuerzahlerInnen“, fordern die NGOs. Am 8. 9. 2014 endet die Stellungnahmefrist beim Umweltminister.
Ihre Kritik am „Wasserwirtschaftlichen Rahmenplan Großwasserkraftwerksvorhaben Tiroler Oberland“, die sie heute in Innsbruck vorstellten, stützen der WWF und eine breite Allianz der Umwelt-NGOs auf eine gründliche Erstanalyse des 800-Seiten-Werkes der TIWAG.
Im Rahmenplan listet die TIWAG die Umweltauswirkungen der jeweiligen Kraftwerksstandorte auf und beurteilt diese tabellarisch. So soll die Zerstörung von 17 Hektar jahrhundertealter, einmaliger Moorflächen im Platzer- und Längental wettgemacht werden, indem in den Staubecken von Inn-Kraftwerken künstliche Ersatzlebensräume angelegt werden. „Das ist, als würde man dem Goldenen Dachl die wertvollsten Schindeln entreißen und die entstandenen Löcher mit goldenem Bonbonpapier kaschieren“, veranschaulicht Christoph Walder vom WWF. Insgesamt sollen den TIWAG-Kraftwerken 180 Hektar Feuchtgebiete, Moore, Trockenrasen und einzigartige Flüsse, Bäche und Auen geopfert werden – wertvollste Natur und Habitate für bedrohte Arten. „Dabei stehen im Oberinntal bereits 300 Kraftwerke – damit hat die Region ihren Beitrag zum Wasserkraftausbau wohl schon geleistet“, rechnet DI Thomas Diem vom WWF vor.
Nicht nur die Umweltverbände, sondern sogar die TIWAG selbst rechnet mit negativen oder erheblich negativen ökologischen Auswirkungen ihrer Vorhaben auf die Tiroler Natur. Im Wasserwirtschaftsplan schätzt der Energiekonzern die eigenen Kraftwerke mittels einer Art Checkliste anhand von 16 Themenfeldern in Punkto Umweltauswirkungen ein. Demnach rechnet man für die Speicherkraftwerke in über 60 Prozent der untersuchten Themenbereiche mit negativen Folgewirkungen auf Landschaft, Tourismus, Lebensräume von Tieren und Pflanzen und andere Bereiche. Es sei jedoch, heißt es in dem Papier, „davon auszugehen“, dass sämtliche negativen Auswirkungen durch Ausgleichsmaßnahmen auf ein „vertretbares Maß“ reduziert werden können und somit voraussichtlich vertretbar oder vernachlässigbar seien - ein Ausgleichsmaßnahmensystem, das für die Umwelt-NGOs fachlich nicht nachvollziehbar ist und deshalb von ihnen abgelehnt wird.
Dr. Reinhard Uhrig, Energieexperte der Umweltorganisation GLOBAL 2000, gibt zu bedenken, dass die von der TIWAG vorgeschlagenen Kraftwerksprojekte aus der Zeit vor dem Atom-Ausstieg Deutschlands nach der Fukushima-Katastrophe 2011 stammen. Basierend auf einem ersten Entwurf aus dem Jahr 2008, muss der Rahmenplan der TIWAG mittlerweile in weiten Teilen als überholt bezeichnet werden. Er entspricht nicht mehr den aktuellen Anforderungen und Erkenntnissen der massiv an Fahrt gewonnenen Energiewende. Konnten vor wenigen Jahren noch mit dem Preisunterschied zwischen billigem Nacht-Pumpstrom und teuer verkauftem Mittags-Wasserkraft-Strom gute Gewinne mit Pumpspeicherkraftwerken erzielt werden, ist die Situation nach dem massiven Ausbau der Sonnenkraftwerke auf über 36 000 Megawatt installierte Leistung in Deutschland völlig anders: Die ehemals einträgliche Mittags-Spitze ist zur Delle im Strompreis geworden, weshalb das bisherige Hauptgeschäft der Pumpspeicherbetreiber verloren gehen wird. Mit der Erweiterung der Pumpspeicher im Kaunertal bzw. im Kühtai drohe Tirol demnach eine Naturzerstörung riesigen Ausmaßes ohne energiewirtschaftliche Notwendigkeit.
In einer aktuellen Untersuchung des renommierten Fraunhofer Instituts in Deutschland wird festgestellt, dass für die Versorgungssicherheit keine neuen Stromspeicher gebraucht werden, weil Europa die schwankende Stromerzeugung durch Sonne und Wind aufgrund der Flexibilisierung des Strommarktes ausgleichen kann. Auch die E-Control als oberster Energieregulator Österreichs stellte im Juni 2014 klar, dass Österreich keine zusätzlichen Kraftwerke benötigt. Demnach verbraucht Österreich an kalten Wintertagen etwa 10.000 Megawatt an Spitzenleistung; kann aber auf Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von etwa 23.000 Megawatt zurückgreifen. „Wir sehen die realistische Gefahr, dass neben grober Umweltzerstörung zum Bau von einigen wenigen Megawatt auch noch die Tiroler SteuerzahlerInnen in eine Schulden-Lawine gesteuert werden“, warnt Uhrig. „Eine verantwortliche Landesregierung als Alleinbesitzer des Projektwerbers TIWAG muss hier die ökonomische und ökologische Notbremse ziehen.“
Für die Umweltorganisationen wiegt außerdem besonders schwer, dass der TIWAG-Plan keiner frühzeitigen und effektiven Bürgerbeteiligung unterzogen wurde. „Der Öffentlichkeit wurde erst Ende Juli – mitten in der Urlaubszeit – der im Wesentlichen fertige Plan vorgelegt“, kritisiert Mag. Thomas Alge, Geschäftsführer des ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung. „Das steht im Widerspruch zum europäischen Recht, wonach die Öffentlichkeit zu einem Zeitpunkt einbezogen werden muss, an dem noch alle Optionen offen sind – auch die Null-Option“, so der Umweltjurist.
Schon allein deshalb sei ein Festhalten der Tiroler Landesregierung am TIWAG-Plan inakzeptabel. Alge unterstreicht: „Österreich wurde erst unlängst von der EU-Kommission wegen fehlender Einbindung der Öffentlichkeit in Umweltverfahren gerügt und ein Beschwerdeverfahren gegen die Republik eröffnet. Ich glaube nicht, dass das Land Tirol dafür verantwortlich sein will, wenn Österreich deswegen von der EU verurteilt wird.“
WWF, GLOBAL 2000, Greenpeace und das ÖKOBÜRO erwarten sich deshalb, dass die Tiroler Landesregierung die Notbremse beim vorliegenden TIWAG-Rahmenplan zieht. „Niemand, dem die Ökologie und der Naturschutz ein Anliegen sind, kann diesen Rahmenplan unterstützen oder dulden. Die Tiroler Landesregierung darf diesem Öko-Desaster kein schwarz-grünes Licht erteilen und sich nicht zum Handlanger der TIWAG machen“, stellen die NGOs klar. Auch wirtschaftlich dürfe die TIWAG keine Hypothek für das Land werden.