Zuerst schießen, dann fragen? Von Schädlingen und Nützlingen
Leidvolle Erfahrungen mit der Spanischen Wegschnecke oder dem Buchsbaumzünsler haben dazu geführt, dass Gartenbesitzer ihnen unbekannte Insekten gleich als verdächtig ansehen.
„Wofür ist das Tier gut? Wie bekomme ich es weg?“ sind häufig gestellte Fragen im Berateralltag. Trotzdem empfiehlt es sich, die alte Weisheit walten zu lassen: zuerst fragen und dann schießen.
Feuerwanzen etwa treten speziell im Frühling nach der Winterstarre in großer Zahl auf, sind aber harmlos. Sie saugen an Lindennüsschen oder an Kadavern anderer Insekten. Es ist völlig sinnlos, sie mit Insektiziden zu vernichten – was aber leider manchmal aus Unkenntnis passiert und weil ihr plötzliches und zahlreiches Auftreten Ängste auslöst.
Für große Verwirrung sorgt seit kurzem auch der Asiatische Marienkäfer. Ein Gartenbesitzer hat mir sogar erzählt, er fresse seinen Schnittlauch auf. Im Gespräch konnten wir klären, dass es kein Marienkäfer ist, der da frisst, sondern das Lilienhähnchen, welches auch rot gefärbt ist. Durch diverse Medienberichte verunsichert, wollen manche Hausgärtner alle Marienkäfer bekämpfen, die nicht so aussehen wie der Siebenpunkt-Marienkäfer. Nur: es gibt auch zahlreiche heimische Marienkäferarten die nicht so aussehen wie der Siebenpunkt. Der Laie kann ihn schwer oder gar nicht von heimischen Arten unterscheiden. Es existiert auch keine biologische oder konventionelle Wunderwaffe, die chirurgisch präzise Schläge gegen diese Marienkäferart erlaubt, ohne Kollateralschäden an heimischen Arten zu verursachen.
Der blinde Hass gegen Schädlinge und die Hysterie vor „Aliens“ führt irgendwann zu der Mentalität „Nur tote Viecher sind gute Viecher“ (Will Smith in „Men in Black“, als er einen garstigen Außerirdischen mit der großen Strahlenkanone erledigt hat).
In einem Garten gibt es viel zu entdecken. Die Natur bietet jeden Tag etwas Neues, wenn man mit offenen Augen hinausgeht. Schlechte Erfahrungen mit Schädlingen sollten nicht dazu führen, jedes Tier und jede Pflanze unter dem Blickwinkel der potenziellen Schädlichkeit oder Nützlichkeit zu sehen.
Ist die Schwalbenschwanzraupe auf den Karotten oder der Petersilie ein Schädling oder ein Nützling? Den wunderschönen Schmetterling wird wohl jeder Gartenbesitzer herzlich willkommen heißen, und sich freuen, wenn er über das Blumenbeet flattert. Aber die Raupe, die ein paar Karottenblätter frisst, erntet wenig Sympathie. Doch ohne sie gibt es auch keinen Schmetterling.
Auch andere Tiere, wie die Ohrenschlüpfer oder Asseln, vereinen die Eigenschaften „schädlich“ und „nützlich“ quasi in Personalunion. Ersterer frisst kleine weichhäutige Insekten wie Läuse; Asseln fressen abgestorbene Pflanzenteile und sind somit wichtige Humusbildner. Beide neigen dazu, sich in vorgeschädigte Gemüse- oder Obstteile einzunisten und diese aufzufressen. Freund oder Feind? Töten oder nicht, das ist hier die Frage!
In der Natur gibt es die Einteilung in „Schädling“ oder „Nützling“ nicht. Jedes Tier und jede Pflanze hat einen Platz und eine Rolle im Ökosystem. Indem sich der Mensch zur „Krone der Schöpfung“ aufschwingt, maßt er sich an, Tieren und Pflanzen diese Attribute umzuhängen. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Ohne Blattläuse etwa haben Marienkäfer oder Schwebfliegen keine Nahrungsgrundlage und müssten verhungern. Wenn wir Blattläuse im gesamten Garten bekämpften und zur „blattlausfreien Zone“ erklärten, könnten sich auch keine Marienkäfer dauerhaft im Garten ansiedeln.
Wollen wir mit der Natur gärtnern oder gegen sie?
Jeder, der einen Garten besitzt, möchte damit wohl ein kleines Stück Natur vor seiner Haustüre haben. Wir sollten nicht versuchen, die Natur unserer Denkweise anzupassen, sondern umgekehrt. Der Garten ist kein Wohnzimmer, wo immer alles aufgeräumt ist und hunderprozentig kontrollierbare Bedingungen herrschen. Natur bedeutet auch Veränderung und Einflüsse, die wir nicht kontrollieren können.
Ein Garten, in dem keine Kräuter wie Gänseblümchen oder Löwenzahn im Rasen wachsen sollen und Regenwurmhäufchen die Ordnung im perfekten Rasen stören, in dem es Blumenrabatten mit Tagetes (Lieblingsfutter von Schnecken) gibt oder Moorbeetpflanzen, ist nur durch massive Eingriffe mit Herbiziden, Pestiziden, Bodenaustausch und Arbeitsaufwand aufrecht zu erhalten. Doch wie sinnvoll ist das?
Warum jedes Jahr Tagetes auspflanzen, wo sie doch ohnedies nur ein Raub der Schnecken werden oder nur durch massiven Einsatz von Schneckengift überleben? Robuste Staudenpflanzungen wären hier eine sinnvolle Alternative. Warum sich über Klee, Gänseblümchen oder Kriechenden Günsel im Rasen ärgern und diese mit Unkrautvernichtungsmittel abtöten? Insekten wie Bienen oder Hummeln brauchen Blütenstaub und Nektar um zu überleben. Ein steriler Golfrasen ist biologisch gesehen eine Wüste.
Keine Frage: Manche Tiere und Krankheiten SIND eine Plage und SIND lästig. Ein verantwortungsvoller Gartenbesitzer sollte aber, bevor er Maßnahmen setzt, wissen was er bekämpft, wie er es bekämpft und womit. Löcher in Blättern von Obstbäumen etwa können von Insekten verursacht werden, aber auch von manchen Pilzen. Durch Unwissenheit werden auf diese Weise manchmal Insektizide angewendet, obwohl die Schadensursache ein Pilz ist und umgekehrt. Abgesehen davon gibt es für die meisten Probleme umweltverträgliche Lösungen oder simple Vorbeugemaßnahmen wie Sortenwahl, Fruchtfolge, Mischkultur oder durchdachte Planungen bei der Anlage von Beeten.
Aufgrund solcher Missverständnisse und Unsicherheiten wurde in Niederösterreich „Natur im Garten“ ins Leben gerufen. Die Initiative bietet Beratungen, Vorträge und Seminare. „Natur im Garten“-Telefon: 02742/74333 bzw. www.naturimgarten.at.
Autor: Mag. Bernhard Haidler, Berater bei Natur im Garten.