Der Förster, der die Brombeeren liebt
„Eichelhäher, Eichhörnchen und Brombeeren sind meine wichtigsten Mitarbeiter“, sagt Herbert Schmid, Forstdirektor des Benediktinerstiftes Altenburg, und zeigt einer staunenden Fachwelt, wie sich der Wald selbst helfen kann, wenn man ihn nur lässt.
Als Herbert Schmid als Praktikant ans Stift kam, gab es drei Förster und einen Forstmeister. „Mit jedem, der in Pension gegangen ist, sind wir weniger geworden. Ich musste daher versuchen, mit möglichst wenig Aufwand den größtmöglichen Erfolg zu erzielen.“ So hat er sich neue „Mitarbeiter“ geholt: Tiere und Pflanzen. „Es ist sehenswert, wie sich die Natur hilft. Man muss es einfach nur zulassen und warten können“, sagt der heutige Forstdirektor. „1995 hat ein heftiger Schneebruch im Stiftswald bei Sachsendorf große Kahlflächen hinterlassen. Weil jahrelang niemand die Zeit hatte, sich um den Wald zu kümmern, waren zwei bis drei Meter hohe Brombeerstauden gewachsen, ein Albtraum für jede*n Waldbesitzer*in. Brombeeren werden üblicherweise mit dem Mulcher ausgerissen und womöglich noch mit Herbiziden bekämpft, wenn man neu aufforsten möchte.“
Ursprünglicher Mischwald
Doch im Sachsendorfer Wald haben sich unter den Brombeeren Tannen, Eichen, Buchen und andere Baumarten wunderbar entwickelt, natürlich und geschützt vor Wildverbiss. Daraus ist ein gesunder, geschlossener Wald mit unterschiedlich hohen Bäumen und großer Vielfalt entstanden. „Das entspricht genau dem Waldbestand, der wahrscheinlich hier bis ins 17. Jahrhundert gegeben war. Zu diesen ursprünglichen, stabilen Mischwäldern wollen wir wieder hin“, so Schmids Ziel.
Die wichtigsten Mitarbeiter des Forstdirektors bei der Verjüngung der Wälder sind aber eindeutig die Eichelhäher. In einem 300 Hektar großen Fichten-Kiefern-Wald hat Schmid hundert kleine Tische aufstellen lassen, die im Herbst mit Eicheln und Bucheckern, großteils aus dem eigenen Wald, gefüllt werden. Die Eichelhäher und Eichhörnchen holen sich das Futter und vergraben alles, was sie nicht sofort fressen. Was sie vergessen, wächst zu neuen Eichen und Buchen heran und hilft so, den Nadelwald in einen robusten Laubmischwald umzubauen.
Damit die kleinen Pflanzen aus der Kinderstube rauswachsen können, spielt vor allem die Balance zwischen Wald und Wild eine entscheidende Rolle. Schmid plädiert in solchen sensiblen Zonen für eine intensive Zusammenarbeit von Jägern und Förstern. „Nach einem Kahlschlag sind die ersten vier bis fünf Jahre entscheidend. In dieser Übergangsphase muss die Abschussquote auf die jeweilige Fläche angepasst werden. Danach sind die Bäume groß genug und es können wieder mehr Rehe durch ihr neues Revier streifen.“
Klimawandel: Die Fichten und ihre Käfer
Der Klimawandel ist eine noch viel größere Herausforderung. Bäume wären eigentlich unsere wichtigsten Verbündeten. Sie holen CO2 aus der Luft und speichern es für viele Jahrzehnte. Gleichzeitig machen höhere Temperaturen und lange Trockenphasen unseren Wäldern Stress. Vor allem die Fichten können sich nicht mehr gegen den Borkenkäfer wehren. Bei einem gesunden Baum wird ein Käfer, der sich durch die Rinde bohrt, vom ausfließenden Harz erstickt. Wenn die Fichte zu wenig Wasser bekommt, kann sie nicht genug Harz produzieren. Der Käfer kann seine Eier unter der Rinde ablegen, die Larven fressen den wasserführenden Bast und schwächen den Baum noch mehr, bis er stirbt.
Da rächen sich heute die Bewirtschaftungsmethoden aus dem vorigen Jahrhundert. Wald wurde komplett geschlägert, der Boden wie ein Acker umgebrochen, dann wurden Fichten in Reih und Glied gepflanzt, damit sie nach etwa hundert Jahren wieder geschnitten und als Bauholz verkauft werden können. „Mir hat schon in der Praktikumszeit widerstrebt, dass man Eichen umschneidet und dort dann Fichten aufforstet, weil das nicht natürlich ist. Solange es genug Niederschläge gab, mag die Fichte ja gute Dienste geleistet haben, aber jetzt fällt die Fichte wegen Hitze und Trockenheit plötzlich großflächig aus.“
Auch die Altenburger Stiftswälder sind massiv betroffen. „2015 war die größte Kahlfläche in unserem 2.800 Hektar Stiftswäldern gerade einmal einen halben Hektar groß, heute sind es 180 Hektar und wir wissen jetzt schon, wohin sich der Käfer in den nächsten Jahren weiter ausbreitet.“
Totholz schenkt Leben
Waldbesitzer*innen müssen laut Forstgesetz von Borkenkäfer befallene Bäume so rasch wie möglich fällen und aus dem Wald abtransportieren. Riesige Forstmaschinen, so genannte Harvester, fressen sich vielerorts durch die Wälder, verdichten den Boden und hinterlassen eine kahle Steppe, auf der für viele Jahre nichts anwachsen kann: Neu ausgepflanzte Bäume finden in ihr keinen Schutz und vor allem viel zu wenig Wasser. Herbert Schmid hat deshalb mit der Forstbehörde vereinbart, dass Bäume, bei denen die Rinde bereits abgefallen und der Borkenkäfer bereits ausgeflogen ist, im Wald bleiben dürfen. „Wenn wir alles rausnehmen, brennt die Sonne die Böden aus. Die kaputten Fichten, die wirtschaftlich nicht verwertbar sind, bieten im Verbund mit einzelnen Laubbäumen doch etwas Schatten. Wenn sie dann nach einigen Jahren wie Mikadostäbchen umfallen, entsteht ein fast undurchdringliches Gewirr an Ästen und Baumstämmen. Ich nenne diese Landschaft ‚Verjüngungsigel‘, weil die jungen Bäume in diesem Durcheinander geschützt vor Wildverbiss heranwachsen können.“
Bäume mit größerem Umfang sind im unteren Bereich im Kern häufig vom Rotfäulepilz befallen. Diese werden in einer Höhe von drei bis vier Meter abgeschnitten, der hohle Stumpf bleibt im Wald – so entsteht über die Jahre ein sogenanntes Trittsteinsystem von totem Holz auf der gesamten Waldfläche. Das Totholz wird zu einem wertvollen Lebensraum. Spechte, Ameisen, Wildbienen und viele weitere Waldbewohner finden hier ihr Zuhause, sogar der wunderschöne Alpenbockkäfer wurde hier erstmals nördlich der Donau in Österreich gesichtet.
Weil diese Art der Waldbewirtschaftung optisch absolut nicht zu unseren Normvorstellungen passt, wie ein Wald auszusehen hat, hat Schmid entlang der Wege Schilder aufstellen lassen. Darauf finden Spaziergänger*innen alle Informationen, warum Totholz für den Wald wichtig ist.
Gesunder Boden
Ein ganz wesentlicher Faktor für eine nachhaltige, naturnahe Waldbewirtschaftung ist auch der Boden, denn dort spielt sich das eigentliche Leben des Waldes ab. Unzählige Lebewesen verwandeln die Blätter, Nadeln und Äste zu wertvollem Humus. Das ist Nahrung, die von den Wurzeln der Bäume wieder aufgenommen werden kann. Im Wald des Stiftes Altenburg wird nach dem Prinzip des Dauerwaldes gearbeitet, es werden also grundsätzlich nur einzelne Bäume geerntet und es wird nicht flächig geschlägert. Wenn möglich, werden die Baumstämme sogar mit Pferden zur Forststraße gezogen, um den Boden zu schonen. Ist die Arbeit mit dem Harvester notwendig, dann erfolgt sie so schonend wie nur möglich: Abgeschnittene Wipfel und Reisig werden zu Matten aufgelegt, über die die schweren Maschinen fahren, damit der Waldboden nicht zu sehr verdichtet wird.
Entlang der Forststraßen und Wege hat Schmid breite Streifen angelegt, auf denen keine Bäume, sondern viele bunte Blühpflanzen wachsen. Sie liefern Futter für Bienen und Schmetterlinge, bieten Raum für lichthungrige Waldrand-Pflanzen, die die Rehe von den Jungbäumen weglocken, und dienen als Lagerplatz für geerntetes Holz. Gemäht werden die Flächen erst dann, wenn die Pflanzen verblüht sind. Danach wachsen hier frisches Gras und viele Kräuter, eine wertvolle Nahrungsquelle für das Wild. 40 Hektar dieser „Multifunktionsstreifen“ sind so im Laufe der Zeit entstanden. Und darüber freuen sich auch die Imker*innen, die ihre Bienenkästen hier aufstellen und köstlichen Waldhonig ernten – den gibt es im Klosterladen des Stiftes zu kaufen.
Sonja Bettel, Christian Brandstätter
Dieser Beitrag ist in der LEBENSART Naturland Niederösterreich erschienen.
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