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Einsatz für die Vielfalt

Artenschutz in Niederösterreich bewahrt einen reichen Schatz und sichert unsere Lebensgrundlage. Aber wer legt fest, was geschützt wird, und was bringt das?

Ein Schmetterling mit gemusterten Flügeln in Orange, Gelb, Rot, Weiß und Schwarz sitzt auf einer lila-blau blühenden Wiesenblume. Im Hintergrund lässt verschwommenes Grün mit roten Flecken auf Mohnblumen schließen.
Foto: Engin Aktan / iStock

Die Artenvielfalt ist ein wichtiger Schatz, den es zu bewahren gilt: 54.000 Tierarten – davon 40.000 Insektenarten – sowie 3.462 Farne und Blütenpflanzen gibt es in Österreich. Fast 600 Tier- und rund 150 Pflanzenarten sind endemisch, sie kommen also nur in Österreich vor. An die 5.600 Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten sind als national oder europaweit gefährdet eingestuft. Sie zu schützen und ihr Vorkommen zu sichern, ist die Hauptaufgabe des Artenschutzes – denn die biologische Vielfalt ist die beste Versicherung, um weiterhin auf einem lebenswerten Planeten leben zu können.

Was ist eigentlich … eine „Rote Liste“?

Rote Listen sind Verzeichnisse ausgestorbener, verschollener und gefährdeter Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, Pflanzengesellschaften sowie Biotoptypen und Biotopkomplexe. Sie spiegeln den Einfluss des Menschen auf die biologische Vielfalt wider, bieten einen Überblick, wie gefährdet eine Art ist zu verschwinden, und müssen immer wieder überarbeitet werden. 

Große Vielfalt im Naturland

Von den Sanddünen im äußersten Osten bis zu den alpinen Lebensräumen im Alpenvorland, von den Hochmooren des Waldviertels und den Auwäldern entlang der Donau bis zu den Trockenrasen der Wachau und des Weinviertels: Das Naturland Niederösterreich ist aufgrund seiner vielfältigen Landschaftstypen überaus artenreich. Entsprechend groß ist die Verantwortung des Landes.

Die ersten Artenschutzprojekte gehen in Niederösterreich auf die 1980er Jahre und die maßgebliche Beteiligung des WWF Österreich zurück. Damals starteten erste Wiederansiedelungen für bedrohte und verschwundene Arten: Seit 1986 wurden im Nationalpark Hohe Tauern beispielsweise insgesamt 116 Bartgeier ausgewildert. Mittlerweile brüten bis zu drei Paare in den Zentralalpen. Eine Erfolgsgeschichte ist auch der Biber. Aus einer Handvoll ausgesetzter Paare hat sich in Niederösterreich ein Bestand mit rund 8.900 Tieren entwickelt. Nicht gelungen ist hingegen die Ansiedlung des Braunbären. Nur zeitweise halten sich Tiere aus Populationen in Slowenien oder dem Trentino bei uns auf.

Wer schützt Arten und Lebensräume?

Rund ein Drittel der Fläche Niederösterreichs ist als Schutzgebiet ausgewiesen – die Gebiete werden je nach Schutzzweck Kategorien zugeordnet. Das 2011 ausgearbeitete „Konzept zum Schutz von Lebensräumen und Arten“ legt dabei die Schwerpunkte des Naturschutzes fest: Es nennt 22 Handlungsfelder, die thematisch und räumlich abgegrenzt sind. Von dieser Schwerpunktsetzung profitieren 964 Arten und Lebensraumtypen, denen eine besondere Bedeutung zukommt. 188 davon sind als vorrangig eingestuft – sie haben bei zukünftigen Erhaltungsmaßnahmen Priorität. Ein Beispiel ist die grazile Sand-Schwertlilie, eine besondere Rarität, die österreichweit nur auf wenigen Trockenrasen im Weinviertel vorkommt – trockene und nährstoffarme Standorte, die besonders stark gefährdet sind und vielen seltenen Pflanzen und Tieren letzte Rückzugsräume bieten. Die Trockenraseninseln sind daher auch eines der 22 Handlungsfelder des Konzeptes. Ein weiteres sind die ungedüngten Wiesen des Waldviertels: Wirtschaftlich sind sie heute nicht mehr wichtig, die Reste der Magerrasen sind jedoch Hotspots für Tiere und Pflanzen, die gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern der Region durch sanfte Bewirtschaftung gesichert werden müssen.

Auf einer Wiese stehen hunderte hohe Blumen mit großen gelben Blüten. Dahinter Weingärten und ein Baum, an dem eine Leiter lehn.
Die Sand-Schwertlilie ist eine besondere Seltenheit, die österreichweit nur auf wenigen Trockenrasen vorkommt. Foto: Gabriele Bassler Binder

Der Schutz von Arten- und Lebensräumen ist auch auf europäischer Ebene ein zentrales Thema: Zwei EU-Richtlinien, die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) und die Vogelschutzrichtlinie, bilden die Grundlage für ein europaweites Netz besonders schützenswerter Gebiete, das unter dem Namen „Natura 2000“ bekannt ist. In Niederösterreich liegen 36 dieser Europaschutzgebiete. Sie werden von der Landesregierung per Verordnung festgelegt, für sie gelten bestimmte Schutzziele, Managementpläne und das so genannte Verschlechterungsverbot: Projekte, wie etwa große Bauvorhaben, müssen in Europaschutzgebieten geprüft werden, ob sie mit den Schutzzwecken vereinbar sind oder die Schutzgüter erheblich beeinträchtigen könnten.

EU-Richtlinien

Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie enthält artenschutzrechtliche Vorschriften für gefährdete Tier- und Pflanzenarten, die Vogelschutzrichtlinie für wildlebende heimische Vogelarten. Zentrale Aufgabe der Richtlinien sind Maßnahmen, die Lebensräume für seltene oder bedrohte Arten erhalten, wiederherstellen oder neu schaffen – zum Beispiel für das Ziesel, den Luchs, alle heimischen Fledermäuse, Reptilien und Amphibien. Umgesetzt werden die Vorgaben dieser beiden EU-Richtlinien im NÖ Naturschutzgesetz 2000. 

Um Lebensraum- und Artenschutzprojekte umsetzen zu können, ist auch das EU-Förderprogramm LIFE wichtig – es ermöglicht Großprojekte zum Schutz

einzigartiger Lebensräume und ihrer teilweise vom Aussterben bedrohten Arten. So konnte der grenzüberschreitende Schutz der Großtrappe den österreichischen Bestand in den letzten 15 Jahren von unter 100 auf fast 500 steigern. Auch die Wiederansiedlung des Huchens in den Voralpenflüssen wurde in einem LIFE-Projekt umgesetzt. Der Kaiseradler – er galt in Österreich als ausgestorben – konnte sich wieder bei uns ansiedeln, nachdem sich die Bestände in den östlichen Nachbarländern erholt hatten. 2003 wurde das erste Revier in Niederösterreich dokumentiert, 2019 ließen sich bereits 17 Brutpaare nachweisen.

Was ist eigentlich … eine Zielart, eine Schirmart?

Eine Zielart ist die Art, an der sich die Maßnahmen in einem Gebiet ausrichten und mithilfe derer ihre Wirksamkeit überprüft werden kann – sie dient dazu, konkrete, messbare Ziele festzulegen.

Eine Schirmart steht nicht nur für sich selbst: da sie sehr hohe Ansprüche an den Lebensraum stellt, garantiert sie auch das Überleben vieler anderer Arten. Erfüllt man die Bedürfnisse der Schirmart, erhält man somit auch gleich die Biodiversität.

Lebensraumschutz ist Artenschutz

Neben Maßnahmen für eine bestimmte Tierart ist der Erhalt von Lebensräumen ein wichtiger Bestandteil des Artenschutzes – wie könnte es Biber ohne Au-Gewässer, Luchse ohne naturbelassene Wälder, Flusskrebse ohne saubere Bäche oder Wildbienen ohne Trockenrasen geben? Nur wenn es hochwertige Naturräume gibt, können sensible Tier- und Pflanzenarten auch langfristig stabile Populationen aufbauen. Lebensraumschutz kann die Erhaltung von naturnahen Wäldern – das Belassen von Totholz und alten Bäumen –, der Schutz der letzten Moore oder die Pflege von Trockenstandorten sein. Ganz unterschiedliche Projekte, an denen nicht nur die niederösterreichische Schutzgebietsbetreuung und Fachleute, sondern auch Gemeinden und Freiwillige beteiligt sind. Sie leisten unbezahlbare Arbeit für den Naturschutz und sind eine unverzichtbare Stütze für den Arten- und Lebensraumschutz. Stellvertretend für die vielen Aktivitäten zum Schutz der heimischen Vielfalt stellen wir hier vier spannende Beispiele vor.

Ein Rind auf der Weide, dahinter ein großer Baum.
Die Beweidung durch Rinder, Wasserbüffel oder Pferde trägt zur Artenvielfalt bei - zum Beispiel in den Rabensburger Thaya-Auen. Foto: Tobias Schernhammer

Beweidung bringt Blumen

Ein Projekt in den Rabensburger Thaya-Auen zeigt, warum Bauernwiesen so besonders sind: Die Beweidung hilft der Natur, Pflanzen mit vielen Blüten hervorzubringen – für Wildbienen und Co überlebenswichtig. Und sie führt zu neuen Strukturen in der Landschaft: Kurzrasige Bereiche dienen als Nahrungsfläche für Vögel, höhergrasige Bereiche als Lebensraum für Insekten. Davon profitiert die Artenvielfalt: Auf den beweideten Flächen konnten mehr Arten und darunter ein besonders hoher Anteil an seltenen Arten festgestellt werden. Auch Dungkäfer kehren zurück, wie der Mondhornkäfer. Diese seltene Art kommt in Österreich nur noch an wenigen Standorten vor. Dungkäfer haben eine zentrale Schlüsselfunktion für die Biodiversität auf den Weideflächen: Sie schließen Nährstoffkreisläufe, vertragen Samen von Pflanzen und reduzieren klimaschädliche Gase im Dung. Dabei sind sie selbst begehrte Beutetiere für Fledermäuse und Vögel. Naturschutzkonforme Beweidung nimmt mittlerweile einen hohen Stellenwert im Naturraum- und Artenschutzmanagement ein. Auch in den Unteren Marchauen, an der Pielach, am Bisamberg und in den Hundsheimer Bergen tragen Rinder zur Förderung der Biodiversität bei. In der Lainsitzniederung sorgen Wasserbüffel für Lebensraumvielfalt und in den Sandtrockenrasen des Marchfeldes schafft Pferdebeweidung die Voraussetzungen für spezialisierte Lebensgemeinschaften.

Kopfweiden für die Vielfalt

Die Weide ist eng mit der Menschheitsgeschichte verwoben: Ihre Rinde enthält Salicin, den natürlichen Vorläufer von Aspirin. Ihre Zweige wurden viele Jahrhunderte unter anderem als Viehfutter, Flechtmaterial für Korbwaren und zum Binden der Weinreben verwendet. Durch den regelmäßigen Schnitt erreichen Weiden ein höheres Alter, gleichzeitig dringen dabei aber auch Pilze ein. Sie lassen Moderhöhlen entstehen, die die Baumstatik nicht stören, wenn die Weide gesund ist, aber gerne vom seltenen Eremiten bewohnt werden. Gemeint ist dabei nicht der Einsiedler in einer entlegenen Kartause, sondern der größte heimische Rosenkäfer. Hochgradig gefährdet braucht er alte Baumriesen – egal ob in naturnahen Wäldern, Parks, Alleen oder Obstgärten. Aber auch einige hundert Arten von Pilzen, Moosen und Flechten über Insekten bis zu Vögeln und Säugetieren finden in einer Kopfweide Wohnung oder Raststätte. Käuze, Siebenschläfer oder Fledermäuse zeigen sehr gut, dass die Pflege von Kopfweiden zur Erhaltung der Artenvielfalt beiträgt – zum Beispiel an der March, in den Zayawiesen oder in der Schmidaniederung.

Pflege der Heißländen in der Doislau

Bläuling: Schmetterling mit Augenmuster auf hellblauem Grund.
Schmetterlinge wie dieser Bläuling fühlen sich in den Heißländen im ehemaligen Ybbsflussverlauf wohl. Foto: Frank Harmetzky
Heißländen sind hochaufgeworfene Kiesbänke im ehemaligen Flussverlauf, die mit einer dünnen Schicht feiner Erde bedeckt und von Bäumen und Gebüsch umschlossen sind. Geschützt vor Wind, von der Sonne beschienen entstehen hier deutlich höhere Temperaturen als im Umland – ein besonders warmes und durch die wasserdurchlässigen Böden auch trockenes Mikroklima. Ideal für wärmeliebende Gewächse wie seltene Orchideen. Auch verschiedene Wildbienenarten und seltene Schmetterlinge kommen in der Doislau vor. Doch das Naturjuwel ist gefährdet. Eine dichte Grasnarbe und hineinwachsendes Gebüsch verdrängen die spezielle Artenvielfalt. Im Projekt zum Schutz und Management der Heißländen in der Doislau wird das dichte Buschwerk entfernt, um Trockenrasenflächen wieder mehr Raum zu geben, und die Heißländen werden gemäht. Anschließend wird das Mähgut entfernt, um eine Nährstoffanreicherung im Boden zu verhindern.

Schutz für den seltenen Goldkolben

Das einzige Vorkommen des sibirischen Goldkolbens in Mitteleuropa liegt im Grillenberger Tal in der Gemeinde Hernstein. Die ehemalige Streuwiese ist zwar als Naturdenkmal ausgewiesen, aber durch rasch wachsendes Schilf bedroht. Dieses wird daher seit 2017 regelmäßig entfernt. Der sibirische Goldkolben wurde erst 1957 erstmals in Österreich nachgewiesen und ist in Mitteleuropa nur sporadisch verbreitet. Die mannshohe Staude krönt von Mitte Juli bis in den August eine Blütentraube mit zahlreichen goldgelben Blüten. Bis heute ist nicht geklärt, ob das Vorkommen im Grillenberger Tal ein Relikt aus der Eiszeit oder eine Wiedereinbürgerung ist.

Michael Fusko

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