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Neurodermitis:
zum Aus-der-Haut-Fahren!

Der „kleine Bruder des Schmerzes“ – so wird Juckreiz oft bezeichnet. Tatsächlich stellen Hautprobleme einen hohen Belastungsfaktor für Körper und Seele dar. Neurodermitis zählt dabei zu den häufigsten dermatologischen Erkrankungen. Eine Heilung ist bis dato nicht möglich, wohl aber eine Linderung.

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Foto: Skynesher/Istockphoto.com Foto: Skynesher/Istockphoto.com

10 bis 20 Prozent der Kinder und 2 bis 3 Prozent der Erwachsenen leiden in den Industrieländern unter Neurodermitis. Die chronisch-entzündliche Hauterkrankung wird auch als atopisches oder endogenes Ekzem bezeichnet. „Atopisch“ bedeutet „überempfindlich“. Das Immunsystem sieht in an sich harmlosen Umweltstoffen eine gefährliche Wirkung, worauf das Abwehrsystem eine Entzündung veranlasst. Diese Reaktion irritiert wiederum kleinste Nervenfasern – eine zermürbende „Juck-Kratz-Spirale“ kann die Folge sein. „Innerliches Brennen“ lautet die Ableitung aus den lateinischen Begriffen „endogen“ und „Ekzem“. Treffender könnte das Krankheitsbild nicht umschrieben werden.

(K)eine Frage der Sauberkeit

Die Zahl der Neurodermitis-Erkrankungen hat sich in den letzten Jahrzehnten verdreifacht. Da drängt sich die Frage auf, inwieweit veränderte Lebensbedingungen als mögliche Ursache in Frage kommen. Im Vergleich zu früher haben sich hygienische Maßnahmen deutlich verbessert, was auch gut ist. Manchmal ist unsere Umgebung allerdings regelrecht steril geworden. Und das kann sich auch nachteilig auswirken, da von Bakterien ein gewisser Schutz ausgeht. Werden diese Bakterien durch übertriebene Sauberkeit künstlich eliminiert, geht die schützende Wirkung verloren. Das trifft auch auf Antibiotika – die „Putzmittel der Medizin“ – zu. Eine vom Henry Ford Hospital in Detroit durchgeführte Studie zeigt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder nach früher Antibiotikagabe eine Allergie entwickeln, ist um 1,5 Mal höher als bei jenen Sprösslingen, die keine Antibiotika erhielten.

Züricher Forscher gehen noch einen Schritt weiter. Sie haben herausgefunden, dass der Kontakt zu Tieren und zu Bakterienbestandteilen während der Schwangerschaft eine präventive Wirkung auf den Embryo hat. Die Wissenschaftler konnten bei den Kindern dieser Mütter zwei Gene identifizieren, die für die angeborene Immunität von Bedeutung sind und folglich das Risiko für Neurodermitis und Allergien senken.

Neurodermitis ist keine Nahrungsmittelallergie

Gene wirken bei der Entstehung von Neurodermitis mit. Forscher haben herausgefunden, dass eine Erbgutveränderung auf Chromosom 11 besonders signifikant ist. Und weil das auch bei der Entstehung von Morbus Chron, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, eine Rolle spielt, lohnt es sich, bei einer Neurodermitis den Blick auch auf den Darm zu richten. Ist dieser durch denaturierte Lebensmittel und/oder Medikamente geschädigt, kann das auf das Hautbild und somit auch auf den Krankheitsverlauf Einfluss haben.

Vorsicht ist jedoch bei „Neurodermitis-Diäten“ geboten. Experten raten dringend davon ab, bestimmte Lebensmittel auf Eigeninitiative wegzulassen. Besonders fatal wirken sich solche Eliminationsdiäten auf die Konstitution von Kindern aus: „Je mehr Nahrungsmittel oder sogar Nahrungsmittelgruppen aus der Kost weggelassen werden, desto einseitiger ist die Ernährung und umso größer ist das Risiko für eine mangelhafte Nährstoff- und Energieversorgung“, weist Diätologe Christian Schicker darauf hin, dass Neurodermitis nicht mit einer Lebensmittelallergie gleichzusetzen ist. „Richtig ist aber auch, dass zirka 30 Prozent der Kinder mit Neurodermitis zusätzlich eine Nahrungsmittelallergie aufweisen“, sagt Schricker und nennt Hühnerei, Kuhmilch, Erdnuss, Nüsse, Soja, Weizen und Fisch als die häufigsten Nahrungsmittelallergene. „Wenn gleichzeitig zur Neurodermitis eine Nahrungsmittelallergie vorliegt, muss ein Kompromiss zwischen einer vollwertigen Ernährung und der Vermeidung von Allergenen eingegangen werden“, meint der Experte und empfiehlt bei der Zusammenstellung der individuell passenden Ernährung einen Allergologen und/oder Diätologen zurate zu ziehen.

Die Haut – ein Spiegel der Seele?

Neurodermitis leitet sich von griechisch „neuron“ (Nerv) und „derma“ (Haut) ab. Ursprünglich ging man davon aus, dass es sich bei der Krankheit um eine reine Nervenstörung handelte. Heute weiß man, dass die Psyche bei Neurodermitis eine wesentliche Rolle spielt – sowohl im Sinne einer Trigger-Wirkung als auch hinsichtlich der Folgeerscheinungen. Die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie fand heraus, dass Kinder, deren Eltern sich scheiden ließen, dreimal so häufig unter Neurodermitis leiden wie Kinder aus anderen Familien. Den deutschen Forschern zufolge beeinflusst die psychische Belastung das kindliche Immunsystem in hohem Ausmaß.

Ähnliche Ergebnisse brachte eine Untersuchung, die nach dem schweren Erdbeben von Kobe im Jahre 1995 durchgeführt wurde. Japanische Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass sich die Krankheit bei fast 40 Prozent der rund 1.500 Neurodermitiker, die in der Region lebten, nach der Naturkatastrophe massiv verschlimmert hatte. Stress kommt zwar nicht als dezidierte Ursache für Neurodermitis in Frage, kann jedoch zum Auslöser für einen Krankheitsschub werden. Die Symptome wie starker Juckreiz bis hin zu deutlich sichtbaren Hautveränderungen beeinträchtigen das psychische Wohlbefinden noch weiter.

Was kann ich gegen Neurodermitis tun?

Neurodermitis beginnt meist im Kleinkindalter. Bei etwa 60 bis 80 Prozent der Betroffenen wird die Erkrankung im Laufe der ersten zwei Lebensjahrzehnte deutlich milder oder heilt ganz aus. Das bedeutet: Die charakteristischen Schübe, die mit Entzündungen und anschließender Verkrustung und Schuppung der Haut einhergehen, nehmen anzahlmäßig ab. Die Hautkrankheit kann sich im Alter jedoch auch verschlechtern.

Nachdem Neurodermitiker unter chronisch trockener Haut leiden, sollten die Pflegemaßnahmen unabhängig von der Jahreszeit erfolgen – nicht nur als Therapie, sondern auch zur Vorsorge. Sobald sich die Haut erholt hat, hören viele Patienten mit der Pflege auf. Das ist insofern fatal, als der Defekt in der Hautbarriere bestehen bleibt und die Haut empfänglicher für die Besiedlung mit Keimen und potenziellen Allergenen ist. Eine reichhaltige Pflege mit feuchtigkeitsspendenden Lotionen wirkt dem entgegen. Linderung gegen den Teufelskreislauf aus Infektion, Entzündung, Juckreiz und Kratzen können im Kühlschrank aufbewahrte Hautpflegeprodukte verschaffen, die beim Auftragen auf die Haut reizlindernd und kühlend wirken. Auch Ablenkung – etwa in Form von Bewegung oder durch ein Gespräch / ein Telefonat – kann den Impuls, sich zu kratzen unterbinden. Bei akuten Schüben werden meist schwach kortisonhaltige Salben verordnet, bei dauerhaft schweren Ekzemen kommen Medikamente, die das Immunsystem dämpfen, zum Einsatz.

Ein wichtiger Behandlungsbaustein bei Neurodermitis ist die Prävention. Neue Schübe sollen durch gezielte Maßnahmen verhindert werden, die einer Austrocknung der Haut vorbeugen. Dazu zählen vor allem eine luftdurchlässige Kleidung, keine überhitzten Räume und die Vermeidung von übermäßigem Schwitzen. Vollbäder sollen möglichst vermieden werden, nach dem Waschen die Haut nicht mit dem Handtuch reiben, sondern nur abtupfen und sofort eincremen. Mit kurz geschnittenen Fingernägeln kann man sich auch nicht so leicht kratzen.

Obwohl es keine allgemeingültigen Ernährungsempfehlungen für Menschen mit Neurodermitis gibt, fördert ein ausgewogener Speiseplan, auf dem vorwiegend pflanzliche sowie wenig tierische und verarbeitete Lebensmittel Platz finden, das Wohlbefinden der Patienten. Wichtig ist es auch, den Körper von innen mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen – je nach Aktivitätsausmaß und Temperatur dürfen es mindestens 1,5 Liter Flüssigkeit pro Tag sein.

Stress vermeiden tut der Seele – und offensichtlich auch der Haut – ganz gut. Die dadurch erworbene Gelassenheit reduziert nicht nur die Entzündungsanfälligkeit, sondern hilft auch selbstbewusster mit dem Krankheitsbild umzugehen.

Neben diesen allgemeinen Tipps zur Linderung und Behandlung in Eigenregie bleibt die Tatsache, dass Neurodermitis eine sehr individuelle Erkrankung ist und dass es daher auch keine Standardtherapie geben kann. Es ist wichtig, die Krankheitssymptome genau zu beobachten und idealerweise auch zu dokumentieren. Ein exaktes Juckreiz- und Lebensstil-Tagebuch, das mit dem behandelnden Arzt besprochen wird, gibt Aufschluss über mögliche Einflussfaktoren. Gemeinsam können Sie daraus Ihre individuelle Therapie entwickeln.

Sylvia Neubauer

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