Qualifizierte Zuwanderer zählen
Bevölkerungsschwund und Abwanderung aus ländlichen Regionen waren Thema beim Wirtschaftsforum der Europäischen Toleranzgespräche. Wie kann man dem entgegenwirken?
Europäischen Toleranzgespräche in Fresach: Die zentralen Themen waren demografische Veränderungen wie Bevölkerungsschwund, Abwanderung und Ressourcenabfluss. Bei der Suche nach geeigneten Antworten und Gegenrezepten waren sich die Referenten einig: Der ländliche Raum kann für Einheimische nur attraktiv bleiben, wenn es ausreichend Ausbildungsmöglichkeiten, technische Infrastruktur und adäquate Arbeitsplätze gibt. Darüber hinaus nimmt der Personalmangel weiter zu. Deshalb braucht es Zuwanderer aus anderen europäischen Ländern ebenso wie von außerhalb, die bestimmte Qualifikationen mitbringen. Speziell im Tourismus und in der Landwirtschaft, aber auch in technischen Disziplinen sei der Bedarf an Fachkräften enorm. Der werde so schnell nicht mehr aus Einheimischen gedeckt werden können.
Es fehlt der "European Drem", der gut gebildete Menschen anlocken könnte
Migrationsforscher und EU-Kommissionsberater Rainer Münz gab zu bedenken, dass es schwer sei, qualifizierte Zuwanderer nach Europa zu locken. "Menschen mit Expertise - vor allem aus dem asiatischen Raum - wandern eher in die USA ab, trotz der aktuellen US-Abschottungspolitik. Sie glauben immer noch an den 'American Dream'. Der fehlt in Europa. Leider gebe es keinen wirklichen 'European Dream'. Die Leute kommen nicht hierher, um das ganz große Glück zu finden, sondern um vom Sozialsystem zu profitieren und ein bisschen Geld nach Hause schicken zu können", erklärte Münz. Die Probleme der Region seien nicht durch mehr Menschen zu lösen, sondern durch mehr Qualifikation. Daher müssten jene, die hier herkommen, "nachgeschult" werden.
Region attraktiver machen
Margit Heissenberger vom Carinthian Welcome Center sagte, oberste Priorität sei, die einheimische Jugend in der Region zu behalten. "In Kärnten ziehen die Jungen momentan in Massen weg, weil sie glauben, sie würden außerhalb eine bessere Ausbildung oder Arbeit bekommen. Dabei wissen sie nicht, wie viel Kärnten zu bieten hat. Vor allem im Hightech-Bereich können die Jungen hier Karriere machen. Aber auch um die Abgewanderten muss man sich mehr bemühen und ihre Bindung zu Kärnten aufrechterhalten", betonte Heissenberger.
Heissenberger sieht aber auch Bedarf an Fachkräften aus dem Ausland: "Vor allem im Tourismus mangelt es an Personal. Wir müssen daher auch junge Leute aus Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit zu uns holen, die sich ein besseres Leben erhoffen. Das heißt auch, dass wir sie hier ausbilden müssen. Genau das kann eine Region wie Kärnten attraktiver machen, wenn sie zu einer begehrten Lehrwerkstätte für ganz Europa wird."
Intellektuelle ins Land lassen
Helmuth A. Niederle, Präsident des PEN-Club Österreich, warnte vor allem vor der intellektuellen Ausdünnung des ländlichen Raums. "Die großen Denker werden nur zurückkehren, wenn sie Lust dazu haben. Bei vielen bezweifle ich, dass sie das tun werden." Niederle forderte die Politik auf, Intellektuelle ins Land zu lassen, wenn diese in ihrer Heimat Verfolgung und Unterdrückung ausgesetzt sind. "Leider ist es in Österreich fast unmöglich, ein Visum für Journalisten und Autoren zu bekommen - selbst dann wenn sie in ihrer Heimat bereits bekannt sind. Hier muss es mehr Offenheit geben."
Tourismus hat seinen Preis
Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit und Tourismusforschung in Wien, zeigte sich überzeugt, dass gerade der Tourismus die größten Chancen für die Region bietet. In Österreich würden viele das gewaltige Potenzial der Freizeitindustrie nicht erkennen. "Als Gastgeberland sind wir Tourismusweltmeister. Extrem viele Arbeitsplätze sind mit dem Tourismusgewerbe verbunden. Für die Region ist der Tourismus extrem wichtig, denn dadurch bleiben Arbeitsplätze im Land", meinte Zellmann.
Dem entgegnete Rainer Münz, dass es nicht nur Vorteile bringt, wenn der ländliche Raum touristisch geprägt ist. "Natürlich handelt es sich hier um eine gute Möglichkeit, um in der Peripherie Arbeitsplätze zu schaffen, aber das hat auch seinen Preis, nämlich die radikale Transformation der Gesellschaft." Einheimische in Tourismusorten müssten sich immer mehr an die Gäste anpassen. "Die Gastgeber müssen sich dann entscheiden, ob sie lieber selbst abwandern oder unter einer dominanten Gruppe von Fremden (Gästen) leben wollen. Eine dritte Option wurde hier noch nicht gefunden", diagnostizierte der Demografie-Experte.
Quelle: pte/pts