Vienna Hobby Lobby
Wenn Kinder ihre Freizeit nicht sinnvoll nutzen können fehlt die Begeisterung für das Leben. Interview mit Rosa Haltmeyer.
Rosa Haltmeyer unterrichtete als Teach-for-Austria-Lehrerin an einer Neuen Mittelschule in Wien. Und erlebte Seltsames: Edina, ihre Schülerin, blieb auch nach Unterrichtsende bei ihr in der Schule.
LEBENSART: Wieso blieb Edina auch am Nachmittag in der Schule?
ROSA: Sie wollte nicht allein zu Hause sein oder wie viele andere Kinder im Shoppingcenter oder im Park herumhängen. Ihre Eltern waren in der Arbeit, ein Nachmittagsprogramm konnten sie sich nicht leisten. Und so geht es vielen Schüler*innen. Denn die meisten Freizeitaktivitäten kosten Geld, egal, ob es ein Tanzkurs, ein Fußballtraining oder Klavierspielen ist.
Was unternehmt ihr mit den jungen Menschen?
Im ersten Semester haben wir einen Schwimmkurs, Roboterbauen, Videoclip- Dancing, Kung Fu, Yoga, Street Art und Laufen angeboten. Wichtig ist uns, dass wir ganz stark darauf hören, was die Kinder möchten: Street Art zum Beispiel ist eine Technik, die für sie cool und hip ist. Die Kinder lernen die Techniken am Papier und natürlich gehen wir auch hinaus und sprühen auf Wände – dort, wo man darf. So lernen die Kids nicht nur die Skills, sondern auch die Mentalität, die Regeln, die man beachten muss.
Wie gut sind eure Kursleiter*innen ausgebildet?
Die meisten haben bereits mit Jugendlichen gearbeitet oder bringen eine pädagogische oder eine Trainerausbildung mit. Und natürlich müssen alle unseren Verhaltenskodex zum Jugendschutz unterschreiben. Darüber hinaus kommen sie aus den unterschiedlichsten Kulturen; viele von ihnen haben einen Fluchthintergrund. Das Engagement bei uns ist für sie auch eine großartige Möglichkeit, sich weiterzubilden. Darüber hinaus sind die Mehrsprachigkeit und die Multikulturalität ein großer Benefit für die Jugendlichen.
Wieso brauchen Kinder Betreuung und nicht Bespaßung?
In Österreich ist Freizeitgestaltung ein Privileg. Wenn man benachteiligte Familien fragt, was sie am meisten brauchen, sagen sie: „Eine gute Betreuung für die Kinder.“ Und zwar keine „Bespaßung“, sondern eine Betreuung, wo die Kinder auch etwas lernen können. Schulkinder haben so unglaublich viel Freizeit. Wenn sie diese nicht sinnvoll nutzen, sind sie extrem einsam und es fehlt zudem die Begeisterung für andere Aspekte des Lebens. Es ist wichtig, dass Kinder ihre Potenziale entdecken und verwirklichen können. Gerade in der Freizeit passiert sozial so viel. 90 Prozent unserer Kinder sagen, dass sie durch unsere Kurse neue Freund*innen gefunden haben. In Österreich versteht man unter Bildung vor allem die Vermittlung von Wissen. Aber Bildung geht darüber hinaus – es geht auch darum, soziale Kompetenzen aufzubauen. Und das gelingt nur, wenn Kinder tatsächlich unterstützt werden. Kinder, die nicht die Möglichkeit haben, ihre Talente weiterzuentwickeln, verpassen den Anschluss. Das möchte ich ändern.
Als Social Entrepreneur sollst du professionell arbeiten und dich so rasch wie möglich finanzieren können. Gelingt das?
Es ist mit begrenzten Ressourcen schwer zu schaffen. Zudem wollen so viele Kinder teilnehmen – wir werden richtiggehend überrannt. Es gibt Phasen, in denen man zweifelt, ob wir uns schnell genug finanzieren können. Denn langfristig können wir die Hobby Lobby nur anbieten, wenn wir ausreichend Mittel erwirtschaften. Das ist schon frustrierend. Wenn man – so wie wir – mit einer Idee so mitschwingt, muss man auf seine psychische Gesundheit stark achten, sonst rutscht man rasch ins Burn-out.
Woher kommt das Geld für eure Arbeit?
Wir haben von Soziale Innovation Wien eine Förderung erhalten. Darüber hin- aus erhalten wir Spenden von Privatpersonen, gewinnen Preise und versuchen Unternehmenspatenschaften zu bekommen. Damit können wir derzeit drei geringfügige Beschäftigungen finanzieren und eine kleine Aufwandsentschädigung für die Kursleiter*innen bezahlen. Alle anderen arbeiten ehrenamtlich. Ich hoffe, dass wir im nächsten Jahr eine Vollzeitanstellung finanzieren können.
Ihr seid ja sehr erfolgreich – alle wollen mitmachen
Werbung brauchen wir keine, weil wir allein über die Mundpropaganda überrannt werden. 90 Prozent der Kursleiter*innen vom letzten Jahr wollen heuer wieder einen Kurs geben. So gut wie alle Kinder aus dem letzten Jahr sind ebenfalls wieder mit dabei. Zwei Bezirke haben angefragt, ob wir nicht auch bei ihnen etwas anbieten können. Auch Unternehmen interessieren sich für unsere Arbeit, weil wir einen anderen Zugang zu Kindern haben. Und wir werden eingeladen, bei Wettbewerben mitzumachen. Das ist schon ein großes Zeichen von Wertschätzung. Neben den Patenschaften und Unternehmenskooperationen wollen wir eine Ausbildung für Kursleiter*innen und Student*innen anbieten, die Zusatzqualifikationen erwerben wollen.
Ihr geht dorthin, wo es Schwierigkeiten gibt?
Unser Angebot gibt es derzeit nur im 10. Bezirk. Wir wollen es um vier Standorte erweitern, in Simmering, Brigittenau, Ottakring und Favoriten. Dort gibt es viele Neue Mittelschulen und viele Konfliktfelder und deshalb macht unser Angebot dort besonders viel Sinn.
Was wünscht du dir für eine gute Zukunft?
Wichtig ist mir, dass die Kids, wenn sie rausgehen, wissen, was sie in ihrer Freizeit machen können und auch andere neugierig machen können. Und ich wünsche mir, dass sich unser Schulsystem verändert, dass die kreativen Fächer wieder einen höheren Stellenwert bekommen und wir so auf eine gesunde und ausgeglichene Lebensweise achten können.
Das Interview führte Roswitha M. Reisinger.
INFOS: Die Vienna Hobby Lobby Mit einem kostenlosen Kursangebot unterstützt die Vienna Hobby Lobby seit 2019 Jugendliche in Wien, damit sie ihr volles Potenzial entfalten können. Von sportlichen Kursen wie Basketball über Kickboxen bis hin zu kreativen Kursen wie Street Art ist alles dabei. www.viennahobbylobby.com