Fachkräfte der Zukunft
Diana Reuter, rundumblick e.U., und Gregor Wimmer, HERZBLUAT, erzählen wie mehr Nachhaltigkeit in die Lehrlingsausbildung kommt und was entsteht wenn diese für Unternehmen Visionen entwickeln.
LEBENSART: Wie kam es zur nachhaltigen Lehre?
Diana Reuter: Ich gebe schon einige Jahre Schulungen zum Thema Nachhaltigkeit – es ist ein so gutes Thema und es ist so wichtig bei Lehrlingen zu beginnen, da sie die Fachkräfte von morgen sind. Deshalb habe ich begonnen, meine ursprünglich internen Nachhaltigkeitsworkshops in anderen Unternehmen zu geben – dies wollte ich dann noch interaktiver und ansprechender für Jugendliche gestalten. So ist Gregor mit an Bord gekommen.
Gregor Wimmer: Wir haben wir uns für die Konzeption wirklich Zeit genommen, weil die Teilnehmer*innen unterschiedliches Know-How und unterschiedliche Interessen haben – auch sind die jüngsten Teilnehmer*innen bei uns noch nicht ganz 15, die älteste bisher 29 mit fixfertigem Verfahrenstechnologiestudium.
LEBENSART: Was ist das Wichtigste, um die Teilnehmer*innen zu erreichen?
Diana: Dass die Workshops didaktisch auf Jugendliche ausgelegt sind, dass sie die Gelegenheit haben, aktiv mitzuarbeiten, zu verstehen, was die Hintergründe sind, wo – in der doch auch manchmal verworrenen Nachhaltigkeitswelt – ihre eigene Rolle ist und wie sie zukünftig an Lösungen mitarbeiten können.
Gregor: Das Wichtigste ist, nicht mit dem Zeigefinger zu kommen - nicht zu sagen, was sie machen oder nicht machen dürfen, sondern Nachhaltigkeit mit all ihren Aspekten vorzustellen – vom Klimaschutz über Mülltrennen, Ressourcenmanagement, über unterschiedliche Arbeitszeitmodelle oder Einsatz von Digitalisierung am Arbeitsplatz und im täglichen Leben. Wo sind die kleinen Stellrädchen, die eine große Wirkung haben? Wo kann ich anpacken und wie geht es, ohne dass ich mein Leben komplett umkremple? Das ist gerade bei Jugendlichen das große Thema – lass bitte die Jugendlichen Jugendliche sein.
Diana: Mit dem Wissen können sie die eine oder andere Entscheidung in ihrem Leben oder Berufsalltag bewusster treffen.
Gregor: Es geht nicht darum, fixfertige CSR-Expert*innen zu produzieren, sondern sensibilisierte und begeisterte Jugendliche zu (verspricht sich) provozieren. (lacht) Ja, hin und wieder braucht es ein bisschen Provokation, um die monodirektionale Denkweise aufzubrechen.
LEBENSART: Was sind die spannendsten Momente in euren Workshops?
Gregor: Die Berechnung des persönlichen Fußabdrucks löst zum Beispiel oft Aha-Momente aus: „Ich habe gar nicht gewusst, dass mein Arbeitsweg so reinhämmert, dass die Art und Weise, mich zu ernähren, dass mein Konsum so eine Auswirkung hat.“ Ähnlich ist es beim Klima-Puzzle: Dabei werden 42 Kärtchen so aneinander gelegt, dass das Ganze Sinn ergibt. Das eröffnet neue Perspektiven - dass sich eine Kleinigkeit auf das Klima und ein Kärtchen weiter vielleicht sogar gesellschaftspolitisch auswirken kann.
Diana: Es zeigt Ursache, Wirkung und Wirkungsketten. Wenn ich diese bildlich vor mir habe, wird mir klarer, wie die Dinge zusammen spielen.
Gregor: Eine weitere Methode ist eine Art Escape Spiel: Ich muss Aufgaben lösen, um Vorhängeschlösser zu öffnen.
Diana: Das ist vor allem lustig, wenn die Jugendlichen eine Schlosserlehre machen.
Gregor: Die knacken die Schlösser, ohne die Aufgaben zu lösen. (lacht) Da muss man mit Humor reagieren, so ergibt sich aber auch eine Verbindung zu den Jugendlichen.
Am Nachmittag geht es dann in die Vision 2050: Wie schaut unsere Dienstleistung, unser Produkt, unser Gebäude im Jahr 2050 aus? Was haben wir jetzt und was können wir verändern? Als Antwort bauen die Jugendlichen mit Lego Serious die fantastischsten Sachen – aber alle mit einem großen Realitätsbezug. Was dabei entsteht, ist zukunftsweisend. Wir hatten zum Beispiel bei einem großen Bauunternehmen die Frage, wie die Baustelle 2050 ausschaut. Da ist das Thema Diversität aufgekommen: Weil Tätigkeiten in Zukunft immer mehr automatisiert und somit körperlich leichter werden, werden wahrscheinlich auch mehr Frauen in den Beruf einsteigen. Was bedeutet das für den Bedarf an mobilen Kindergärten auf der Baustelle? Natürlich müssen die Mitarbeitenden auf der Baustelle den Nachwuchs auch heute schon betreut wissen – warum unterstützt man das nicht?
Ein Thema, das immer wieder kommt, ist witzigerweise der Müll – wie getrennt wird, wie sich die Entsorgungskette verändert und wie das optimiert werden könnte. Gleichzeitig ist zum Beispiel das Wissen über Urban Mining schon sehr fortgeschritten – dass Baustellen Ressourcenquellen sind. Dieser unterschiedliche Wissensstand spiegelt wieder, wie die Unternehmen darüber kommunizieren und wie es in der Unternehmenskultur verankert ist. Das entscheidet, ob etwas in Fleisch und Blut übergeht.
LEBENSART: Was ist euch im Kurs wichtig?
Gregor: Auf einer Ebene mit den Jugendlichen zu sein. Bei der Begrüßung sind die Verantwortlichen der Unternehmen dabei – dann müssen sie gehen. Das ist ein geschützter Raum, da dürfen die Jugendlichen auch freiheraus sprechen. Wir fragen sie zu Beginn und zum Schluss, was sie an Nachhaltigkeit super finden und was ihnen auf die Nerven geht. Es ist witzig zu sehen, wie sich das Mindset ändert – auch für die Jugendlichen selbst. Zu Beginn sieht man, dass das, was oft frustriert, der fehlende Zugang ist – und das genau das ist, was zum Schluss begeistert.
Diana: Und uns ist auch der ganzheitliche Blick auf Nachhaltigkeit wichtig: Wir haben in den Medien oft eine reine Klimadiskussion. Es geht aber auch um Ressourcen, Biodiversität, Soziales und Digitalisierung. Digitalisierung und Nachhaltigkeit hängen untrennbar zusammen.
Gregor: Das beginnt mit dem Energie- und Ressourcenverbrauch. Die Hardware baut sich nicht von allein, sie hat einen Wasser- und CO2-Fußabdruck und braucht Rohstoffe, die endend-wollend sind. Und der Bedarf wird immer größer. Auf der anderen Seite kann ich verschiedenste Prozesse durch die Digitalisierung vereinfachen und automatisieren. Das ist super, aber die Gefahr ist, dass die Ökologie auf der Strecke bleibt. Oder der soziale Aspekt: Wie gehen die Leute damit um? Welche Richtlinien braucht es? Was ist vertretbar, was nicht? Auch Speicherplatzverwendung bzw. -verschwendung sind ein Thema.
Diana: Es geht nicht nur darum, wofür ich die Digitalisierung brauche, sondern auch darum, darüber nachzudenken, wo sie nicht eingesetzt werden muss. ChatGPT ist beliebt, aber ein durchschnittliches Gespräch verbraucht etwa zwei Liter Wasser. Wir klären drüber auf, nicht um es zu verbieten, sondern um eine bewusste Entscheidung treffen zu können.
In der Vision 2050 arbeiten wir auch zu Motivation und Kommunikation: Wie kann ich, wenn ich mein Thema gefunden habe, andere motivieren? Wie kann man es im Unternehmen kommunizieren, so dass sich alle Mitarbeiter*innen abgeholt und eingebunden fühlen?
LEBENSART: Was bringt die nachhaltige Lehre den Lehrlingen und den Unternehmen?
Gregor: Unternehmen können ihre Themen einbringen und bearbeitet wissen.
Diana: Manche Unternehmen sind in den Vorgesprächen extrem kritisch, haben aber trotzdem den Mut, es auszuprobieren. Sie sehen dann, dass wir uns für die Lehrlinge wirklich etwas einfallen lassen, das auch auf den Betrieb zugeschnitten ist. Das überzeugt.
Gregor: Wir fragen vorher die Unternehmen, was aktuell bei ihnen Thema ist. Und es kommt auch auf die Gruppenzusammensetzung an: Nächste Woche machen wir einen Workshop mit einem großen, europaweiten Unternehmen. Da haben wir drei Lehrlinge und 11 Teilnehmer*innen aus dem Management Board und der Geschäftsführung – da machen wir die Lehrlinge zu den Chefs der Chefs, weil die Jugend einfach viel visionärer, frecher und weniger von der eigenen Lebenshistorie vorbelastet ist.
Gregor: Die Workshops stärken die Sozialkompetenz und tragen zum Teambuilding bei, dazu sich im Unternehmen zu vernetzen und zusammenzuarbeiten, was sowohl für das Unternehmen, aber auch für die Lehrlinge spannend ist – in unseren Kursen können Straßenbahnmechanikerinnen, Fernmeldetechniker und Bürolehrlinge genauso zusammenkommen wie Netzwerktechniker und Verfahrenstechnologinnen. Es ist auch ein Benefit für Unternehmen, wenn die Jugendlichen zum Beispiel Informationen über Arbeitszeitmodelle erhalten.
Diana: Dass die Arbeitsbedingungen, wie es mir bei der Arbeit geht, mit Nachhaltigkeit zu tun haben – das ist für viele neu. Wenn meine Mitarbeiter*innen diese Zusammenhänge kennen, hilft mir das im Unternehmen. In der Mitarbeiterbindung, weil sich die Teilnehmer*innen mehr mit ihrem Unternehmen identifizieren, aber auch, weil sie ihr Unternehmen analysieren, bevor sie dafür eine Vision dafür entwickeln. Das bekommen die Unternehmen anonymisiert zurückgespielt und sehen dadurch, was die eigenen Mitarbeiter*innen von dem, was sie machen, mitbekommen.
Gregor: Das können sie dann auch in die Berichterstattung mit einfließen lassen …
Diana: … oder in der internen Unternehmenskommunikation aufgreifen.
Gregor: Die Lehrlinge haben in weiterer Folge mehr Chancen am Arbeitsmarkt, weil sie einfach ein bisschen besser ausgebildet sind. Und sie werden ernst genommen. Ihre Themen finden bei uns einen sicheren Hafen, wo sie bearbeitet werden.
Diana: Das ist auch in den Unternehmen so – dass das, was die Jugendlichen ausgearbeitet haben, weiterverfolgt wird und eine Gruppe die Themen in die Umsetzung bringt.
Gregor: Es ist ein Empowerment. Und eine Möglichkeit neue Blickwinkel zu finden.
LEBENSART: Was ist eure Version 2050?
Gregor: Eine weiterentwickelte nachhaltige Lehre, die immer am Puls der Zeit ist. Dass viele Unternehmen uns die Möglichkeit geben, Jugendliche zu erreichen und zu sensibilisieren. Wir möchten unser Konzept auch für andere Altersgruppen weiterentwickeln – es wird eine nachhaltige Lehre „Professional“ geben. Und wahrscheinlich auch etwas in Schulen – je jünger wir Menschen erwischen, desto mehr können wir erreichen.
Diana: Und 2050 – dass die Welt durch uns, durch die nachhaltige Lehre, ein Stück nachhaltiger geworden ist – ein bisschen bewusster denkt und handelt.
Gregor: Wobei, wenn wir ganz ehrlich sind, 2050 – da sind wir beide schon in Pension.
Diana: Da sitzen wir dann auf einer Bank, philosophieren, was wir so gemacht haben, schauen zurück und freuen uns, dass unsere Vision vielleicht wahr geworden ist.
Das Interview führte Michaela R. Reisinger.
Nachhaltige Lehre bietet praxisnahe Workshops zu nachhaltigem Wirtschaften und Leben. Das Bildungsangebot verbindet praxisorientiertes Lernen mit zukunftsfähigen Lösungen und ist für alle Unternehmen offen – pro Kurs braucht es mindestens drei Lehrlinge, die auch unterschiedliche Lehrberufe erlernen können.
Der Basiskurs wirft einen Blick auf die Dimensionen von Nachhaltigkeit, wie diese zusammenhängen und vermittelt Grundwissen – in den Spezialkursen geht es tiefer in einzelne Aspekte.
Derzeit gibt es eine 75-prozentige Förderung, der Eigenanteil beträgt somit nur 100 Euro pro Lehrling. Die Unternehmen müssen die Lehrlinge für einen Tag freistellen.