Jobplattform für Chancengleichheit
Gregor Demblin startete mit Career Moves die erste online Jobplattform, auf der sich Menschen mit Behinderung völlig chancengleich bewerben können.
Die schwierigste Hürde ist im Kopf
Gregor Demblin, 1977 in Wien geboren und aufgewachsen, ältester von drei Brüdern, führt ein ganz normales Leben bis zum Unfall auf der Maturareise. Ein übermütiger Sprung ins Wasser, zwei gebrochene Halswirbel und Demblin querschnittgelähmt. „Die schwierigste Hürde war in meinem Kopf, nach dem Umfall. Es dauert Monate bis Jahre, bis man wieder die Energie und das Selbstwertgefühl hat wie vorher. Man kommt sich minderwertig vor. Wichtig waren meine Freunde, die mir geholfen haben, die mich ganz normal – wie vorher behandelt haben.“
Der junge Mann, der mit 18 tun und lassen kann, was er will, der aktiv ist, ernst genommen wird, wird plötzlich als Mensch zweiter Klasse behandelt, mit viel Mitleid, manchmal sogar als nicht ganz zurechnungsfähig eingestuft. „Die Leute fragen nicht dich, sondern, den, der hinter dir steht“ erzählt Demblin. In der U-Bahn kriegt er Brezel, oder Leute streicheln ihm über den Kopf. „Ich verstehe ja, dass Leute unsicher sind, die meinen das nicht böse. Es ist trotzdem unangenehm, macht ärgerlich und wütend. Ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen.“
Geh ganz normal auf mich zu
Demblin kennt behinderte Menschen, die einen Beruf wählen – z.B. Grafiker – durch den sie nicht mehr vor die Tür gehen müssen. „Es ist eine große Überwindung, in die Öffentlichkeit zu gehen. Ich möchte, dass die Leute nicht über unsere Behinderung nachdenken, sondern, dass sie auf mich zugehen, wie auf jeden anderen Menschen auch.“ Kinder gingen ganz unbefangen damit um. „Die fragen ‚Warum sitzt der im Rollstuhl‘? Das sollten die Eltern erklären, wenn sie es wissen, oder dem Kind sagen ‚frag ihn‘. Noch richtiger und wichtiger seien Integrationsklassen und natürlich gemeinsames Arbeiten.
Chancen für behinderte Menschen, aber auch für die Wirtschaft
Aus diesen Erfahrungen entsteht Demblins Wunsch, dazu beizutragen, dass Menschen mit Behinderung „ganz normal behandelt werden.“ Nach dem Philosophie Studium stolpert er durch Zufall in seinen ersten Job bei einer PR- und Marketingfirma. Der Inhaber - Sepp Baldrian – erkennt das Potential des jungen Mitarbeiters und die Marktchance für Produkte und Dienstleistungen für behinderte Menschen, die immerhin zwischen 8 (EU Definition) und 15 Prozent (WHO Definition) der Bevölkerung ausmachen. Logische Folge ist die Gründung der Informationsplattform Motary: Mit Unternehmen wird an barrierefreien Häusern gearbeitet, an Autos, die mit den Händen gesteuert werden können, an eigenen Internet- und Versicherungstarifen für Menschen mit Bewegungseinschränkungen. Besonders wichtig ist Demblin, dass behinderte Menschen selbstständig leben können, und dass sie als Marktfaktor wahrgenommen werden. „Es geht nicht um weihnachtliche Romantik, darum, einmal im Jahr zu spenden. Es geht um die Chancen, die sich durch die Adaptierung der Produkte ergeben. Da haben alle was davon.“
Arbeitsplätze? Darüber haben wir noch nie nachgedacht
In Gesprächen mit CEOs taucht die Frage nach Arbeitsplätzen für behinderte Menschen in Unternehmen auf. „Darüber haben wir noch nie nachgedacht“ war deren Antwort. In Personalabteilungen war das Thema bekannt, wurde aber nicht aufgegriffen. Zu viele Ängste waren damit verbunden: Bringen behinderte Menschen die Leistung, die wir brauchen? Vielleicht sind sie die ganze Zeit krank? Was tun wir, wenn die Integration nicht funktioniert und gemobbt wird? Demblin dazu: „So viele Menschen sehen nur die Behinderung und bringen alles damit in Zusammenhang. Wenn jemand am Arbeitsplatz schwierig ist, dann ist das gleich wegen der Behinderung so. Dabei gibt es genauso viele Menschen ohne Behinderung, die schwierig sind. Nie würde man auf die Idee kommen, solche Vorurteile etwa mit der Haarfarbe in Zusammenhang zu bringen. Diese Vorurteile gilt es zu verändern.“
Jeder Mensch hat besondere Bedürfnisse
Rasch und konkret wollte Demblin eine andere Hürde angehen: Wo sollten behinderte Menschen einen Arbeitsplatz suchen bzw. Unternehmen einen passenden Job anbieten. Die Erstellung einer Internetplattform bot sich an, um beide zusammenzubringen. Gemeinsam mit Wolfgang Kowatsch von der Jobbörse careesma entwickelte Demblin Career Moves, die „Online-Jobinitiative für Menschen mit und ohne Einschränkung“: Unternehmen stellen Jobs hinein, bei denen eine Behinderung keine Rolle spielt. Demblin: „Man denkt automatisch immer an die Jobs, die mit dieser Einschränkung nicht möglich sind. Zum Beispiel, dass ein Rollstuhlfahrer kein Krankenpfleger sein kann, oder ein Gehörloser kein Callcenter-Mitarbeiter. Dabei geht es darum, an die Talente und Fähigkeiten zu denken. Ein Rollstuhlfahrer kann sehr wohl in einem Callcenter arbeiten, ein Gehörloser ohne Probleme in der Buchhaltung.“ Jeder Mitarbeiter habe besondere Bedürfnisse, ob er ein Rollstuhlfahrer oder ein Choleriker sei, oder Stress nicht gut vertrage.
Jeder Job verändert das Leben – positiv
Die Erfahrungen aus den Unternehmen sind überaus positiv: Es entsteht ein offeneres Klima, Teams halten besser zusammen und sind der Firma gegenüber loyaler. Negative Erfahrungen sind die Ausnahme. Demblin: „Jeder Job, den wir vermitteln ändert das Leben des behinderten Menschen, stärkt seinen Selbstwert, verbessert seine Lebensqualität und macht ihn unabhängiger. Er ändert auch das Leben der Kollegen. Sie erleben Behinderungen als normal in der Gesellschaft. Ein Rollstuhl soll irgendwann genauso normal sein wie eine Brille.“
Career Moves - seit 2018 myAbility.jobs
Career Moves wurde 2009 gegründet. 2018 wurde aus Career Moves myAbility.jobs.
Das Unternehmen hat - vor allem durch das Konzept, einen eigenen Markt für diese Zielgruppe aufzubauen -wichtige Preise gewonnen: Gregor Demblin wurde u.a. im November 2013 als ashoka fellow aufgenommen, Career Moves im Jänner 2014 sogar mit dem ersten European Award for Social Entrepreneurship and Disability ausgezeichnet, der vom European Network for Corporate Social Responsibility and Disabiliy in Kooperation mit der Europäischen Kommission vergeben wird. Viele Anfragen aus dem Ausland lassen Demblin an ein Social Franchise System denken. In Österreich wird an einer Ausweitung gearbeitet: Es braucht mehr Firmen, die sich engagieren, als Kunden, als Nutzer der Dienstleistungen, als Gestalter optimaler Arbeitsplätze. Große Unternehmen, die sich an der Entwicklung beteiligen wollen sind herzlich willkommen. >> www.myability.jobs
Bild: Marie Ringler (Ashoka), Gregor Demblin, László Andor (EU-Kommissar für Arbeit und Soziales) bei der Überreichung des 1st European Award for Social Entrepreneurship and Disability. (v.l.n.r.).
AUTORIN: Roswitha M. Reisinger