Besorgt, gestresst, aber bereit für Veränderung
Studie zur Stimmungslage der 14-29-Jährigen in Österreich zeigt hohen Bedarf an gezielter Unterstützung.
Die Trend-Studie „Jugend in Österreich Sommer 2022“ über die aktuelle Stimmungslage der Österreicher:innen zwischen 14 und 29 Jahren zeigt deutlich: Jede:r Dritte:r ist unzufrieden mit seinem eigenen Leben. Die größten Sorgen sind Geld, die Gefahr eines Krieges in Europa, der Klimawandel, schlechte berufliche Aussichten und die eigene psychische Gesundheit. Österreichs Politiker:innen, Unternehmer:innen, Schul- und Universitätsleiter:innen, Familienmitglieder und Bürgermeister:innen sind dringend aufgefordert, die junge Generation bedarfsgerechter zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für ihre positive Entwicklung konsequent zu verbessern.
„Jetzt müssen wir uns bewusst um unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen kümmern!“
„Mit meiner neuen Studie möchte ich das Scheinwerferlicht auf die Sorgen und Bedürfnisse unserer jungen Generation werfen", erklärt Studien-Initiator Heinz Herczeg: "Während Corona standen verständlicherweise die Kranken und Alten im Mittelpunkt der Gesellschaft und Politik, aber jetzt ist es höchste Zeit, unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen bewusst zu unterstützen“. Die Studie alarmiere ihn insofern, als ein Drittel mit ihrem Leben generell unzufrieden und der Optimismus klein ist, dass sich in den nächsten zwei Jahren viel ändern wird. Nur 66 Prozent geben an, „mit ihrem eigenen Leben zufrieden zu sein“. 59 Prozent der österreichischen Jugend sind mit der finanziellen Lage „teilweise bis sehr unzufrieden“ und 39 Prozent „mit den beruflichen Chancen“. 60 Prozent der jungen Männer sind „mit ihrer psychischen Gesundheit zufrieden“, aber nur 50 Prozent der Frauen. 19 Prozent geben an, dass sie deswegen „Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen“. Ein besonders aufrüttelndes Studienergebnis ist, dass 7 Prozent „Suizidgedanken haben“, sogar 12 Prozent in Wien, im Vergleich zu 3 Prozent in Vorarlberg und Tirol. 15 Prozent „leiden unter Angstzuständen“. Gleichzeitig fordern drei Viertel der Zukunftsgenerationen tiefgreifende Veränderungen.
Junge Frauen sind besorgter und gestresster als junge Männer in Österreich
Zu den größten Belastungen der 14-29-jährigen Österreicher:innen zählen „Stress, Erschöpfung, Selbstzweifel und Antriebslosigkeit“. Bei den jungen Frauen liegen die Werte jeweils zwischen 15 und 20 Prozentpunkten höher als bei den Männern. „Keine Belastung“ fühlen 22 Prozent der befragten Männer, aber nur 15 Prozent der Frauen.
Die Psychotherapeutin und Ärztin Prof. Dr. Martina Leibovici-Mühlberger sieht die Gründe für die stärkere Sorgenlast der Frauen darin, „dass sich junge Frauen im dritten Lebensjahrzehnt beruflich wie privat in einer weichenstellenden Periode befinden, um auch einen späteren Kinder- und Familienwunsch zeitgerecht in geeignetes Fahrwasser zu steuern, während jungen Männern hier einige Jahre mehr zur Verfügung stehen. Die gravierenden Einschränkungen der Covid-Jahre haben damit mehr Wucht auf die weiblichen Vertreterinnen dieser Altersgruppe und die Entwicklung ihrer Lebenspläne entwickeln können.“ Weiters führt sie aus: „Frauen werden immer noch gesellschaftlich stark über ihre Körperlichkeit definiert. Die mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen haben sich vor allem für die Gruppe der jungen Mädchen besonders belastend im Hinblick auf die Ausbildung von Körperbildstörungen und Essstörungen ausgewirkt. In den Lockdown-Phasen kam es zu einer Überschwemmung von mit Photoshop konstruierten Idealimages bei gleichzeitigem Verlust eines ‚Realabgleichs‘ in Schule und Lehrbetrieb, was zahlreiche junge Mädchen in Selbstzweifel und manifeste Störungen getrieben hat.“
Chance für positive Veränderung
Unterstützung bei psychischen Problemen holen sich 31 Prozent der Jugendlichen „in Gesprächen mit Familien und Freunden“, gefolgt von „psychischer Behandlung“ mit 19 Prozent und „Yoga/Meditation“ mit 14 Prozent. „Schulische Betreuungsangebote“ oder „Telefonberatung“ nehmen nur 6 bis 7 Prozent wahr. Prof. Dr. Martina Leibovici-Mühlberger: „Diese Zahlen zeigen einmal mehr die Wichtigkeit des Gesprächs mit Familie und Freund:innen, etwa bei einem gemeinsamen Essen oder Spaziergang. Hier finden junge Menschen Sicherheit, Akzeptanz und Zugehörigkeit, was maßgeblich für die psychische Gesundheit und das Zufriedenheitsempfinden ist. Gleichzeitig wird an diesen Ergebnissen sichtbar, dass endlich ernsthafte Anstrengungen zu setzen sind, um schulische Betreuungsangebote für SchülerInnen auch attraktiv und tatsächlich unterstützend zu gestalten, denn Schule ist der Ort, an dem Zukunft gestaltet wird.“
So sind die Aussagen der Studie schlüssig, dass der größte Sinn im Leben (64 Prozent) „meine Familie“ ist, gefolgt von „Partnerschaft/Liebesbeziehung“ (54 Prozent), „Freundschaften pflegen“ (51 Prozent) und „Ziele im Leben“ (51 Prozent). Erst danach kommt „Ein Job, der mir Spaß macht“ mit 45 Prozent.
Teilzeit zu arbeiten, wird sich für viele nicht mehr ausgehen
Mag. Doris Palz, CEO von Great Place to Work Österreich, sieht in den Studienergebnissen auch Botschaften für Unternehmer:innen Österreichs: „Die Sorgen der Jugend über die hohe Inflation, Angst vor Armut gepaart mit Zukunftsängsten wie Klimawandel hinterlassen ihre Spuren. Erwartungen an eine:n Arbeitgeber:in sind daher naheliegend: faire Gehälter, gutes Betriebsklima und verantwortungsvolle, ökologische Unternehmensführung. Diese klare Priorisierung des Einkommens war vor und während Corona anders. Jetzt erfahren wir, dass sich die Bezahlung unmittelbar auf die Motivation für gute Leistung der jungen Menschen auswirkt: 48 Prozent nennen Geld an erster Stelle, danach kommt Spaß mit 32 Prozent. Für das Recruiting bedeutet dies, dass faire Gehaltsangebote gepaart mit sinnvoller Tätigkeit und vertrauensvolle Unternehmenskultur, Türöffner zu den Jungen sind.“
Dr. Johannes Kopf, AMS Vorstand, reflektiert die Ergebnisse so: „Arbeitgeber:innen sind gefordert, in Zukunft individualisierte Angebote bei der Mitarbeiter:innengewinnung und Mitarbeiter:innenbindung anzubieten. Es geht darum, die Motive der jungen Menschen ernst zu nehmen und entsprechend zu reagieren: Ein:e Teilzeit-Angestellte:r, der aufgrund der aktuellen Teuerungsrate mehr Geld benötigt, wird das Unternehmen verlassen, wenn die/der Arbeitgeber:in die Stundenerhöhung nicht ermöglicht. Die Teuerungen und hohe Inflation sind in der Tat besorgniserregend und ich verstehe die Sorgen der Jugend sehr gut. Teilzeit zu arbeiten, wird sich für viele in Zukunft nicht mehr ausgehen. Beim AMS spüren wir diese Umkehr zu mehr Vollzeit-Beschäftigung noch nicht. Aber ich sehe den Grund für die Unzufriedenheit der Jugend genau in diesem Widerspruch, mehr Freizeit haben zu wollen und gleichzeitig gut zu verdienen. Beides geht sich nicht aus. Umso wichtiger ist es, der Jugend dabei zu helfen, den richtigen Job zu finden, damit die Freude an der Arbeit wieder in den Vordergrund tritt.“
Bedarfsgerechte Unterstützung auf allen Gesellschafts-Ebenen ist jetzt gefragt
Österreichs junge Generation sieht ihre Lebenspläne durchkreuzt, so legen etwa 57 Prozent ihre Pläne für eine eigene oder größere Wohnung auf Eis, 56 Prozent wiederum überdenken die Entscheidung über ein neues Auto oder eine ausgedehnte Reise. Besonders hervorzuheben: Mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen, verhältnismäßig mit 60 Prozent noch mehr Frauen, sieht die Entscheidung über eigene Kinder mittlerweile kritisch.
Den größten Handlungsbedarf sehen die jungen Österreicher:innen bei „der Milderung der Auswirkungen durch die steigende Inflation“ mit 56 Prozent der Befragten. 43 Prozent wollen, „dass etwas gegen den Klimawandel unternommen wird“. Für rund 40 Prozent der Jugend in Österreich sind „die Wirtschaftskrise, die Armut oder der Wohlstandsverlust sowie die Auswirkungen des Ukraine-Krieges“, wichtige Handlungsfelder für die Verbesserung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation. Beinahe drei Viertel der Befragten wollen jetzt Taten sehen, statt nur durchzutauchen.
„Es ist bereits fünf vor zwölf. Wir müssen handeln und tiefgreifende Veränderungen in Kauf nehmen, um eine neue, lebenswertere Zukunft zu gestalten“, so der Initiator der Studie Heinz Herczeg. Die Forderung der österreichischen Jugend nach positiver Veränderung sei ihm zufolge groß. Er resümiert: „Jede Krise ist gleichzeitig eine Chance. Unternehmer:innen, Bürgermeister:innen, Politiker:innen, Schul- und Universitätsleiter:innen, Familienmitglieder und Privatpersonen sind dringend aufgefordert, sich mit unserer jungen Generation intensiv auszutauschen und zuzuhören, um sie bedarfsgerechter zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für ihre positive Entwicklung konsequent zu verbessern. Wir alle tragen Verantwortung für das ganzheitliche Wohlergehen der neuen Generation, denn diese ist ausschlaggebend für unser aller Zukunft.“
Vergleich mit Deutschland
Die deutsche Jugend fühlt sich weniger gestresst und blickt positiver in die Zukunft. Klaus Hurrelmann, Mit-Autor der Studie zur Jugend in Deutschland: „Während es bei den Sorgen der Jugend viele Parallelen zwischen Deutschland und Österreich gibt, ist es bei den politischen Verhältnissen anders: in Deutschland sind nur 34 Prozent der Jugend mit den politischen Verhältnissen unzufrieden, in Österreich aber 49 Prozent. Weiters gibt die deutsche Jugend an, weniger gestresst zu sein: in Deutschland fühlen sich 45 Prozent durch Stress belastet, in Österreich 54 Prozent. Ich denke, das liegt an der größeren Zufriedenheit mit den beruflichen Aussichten und der positiveren Erwartung an die Zukunft. Deutsche Jugendliche sehen laut unserer Studie eine bessere finanzielle Zukunft und sogar eine Verbesserung ihrer beruflichen Zukunft. Auch das Bildungssystem wird in Deutschland besser bewertet als in Österreich. Ich denke, dass unsere Jugend in beiden Ländern jetzt besonders Unterstützung dabei braucht, das wichtige Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben, wieder zu erlangen. Das schaffen wir, in dem wir ihnen helfen, die Selbstaktivität zu beleben, in den Schulen und Familien, in der Gemeinde und im sozialen Austausch. Der Bedarf an mehr und besserer professioneller Unterstützung im jeweiligen Umfeld der Jugendlichen ist sehr hoch. Hier kann noch viel Positives passieren.“