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Die Zukunft des Abwassers

Goldgrube oder Sondermüll?

Ein Klärbecken aus der Vogelperspektive.
Foto: pexels / Sergio Souza

Rein ins Klo und weg damit – am liebsten entsorgen wir unser Abwasser so rasch als möglich. Immer lauter werden jedoch die Stimmen, die daraus wertvolle Ressourcen wie Stickstoff und Phosphor zurückgewinnen wollen. Wie sieht die Zukunft des Abwassers aus?

Stellen Sie sich den Stephansdom vor, der 1.025 Mal aufeinandergestapelt wird: Das ist die Menge an Abwasser, die wir Österreicher*innen jährlich produzieren – 1.094 Millionen Kubikmeter. Man will sich lieber nicht vorstellen, was wäre, käme diese Menge ungereinigt in unsere Flüsse. Europaweit ist das ein großes Problem – eine aktuelle Analyse der EU zeigt, dass sich der ökologische Zustand der europäischen Bäche (und kleinen Flüsse) mit einem höheren Anteil der kommunalen Abwassereinleitungen stetig verschlechtert.

Österreich ist dahingegen ganz gut unterwegs: 96 Prozent der Bevölkerung sind an eine Kläranlage angeschlossen, das sind 8,56 Millionen Einwohner*innen (2020). Interessant ist, dass nur 20 große Anlagen (ein Prozent aller Anlagen) fast die Hälfte des anfallenden Abwassers reinigen. Das Abwasser von 350.000 Einwohner*innen wird über private Klein- und Hauskläranlagen mit naturnahen oder technischen Verfahren (zum Beispiel bepflanzte Bodenfilter oder Belebungsanlagen) gereinigt oder in geschlossenen, abflusslosen Senkgruben gesammelt, von wo es in kommunale Kläranlagen transportiert oder in der Landwirtschaft ausgebracht wird.
 

Wie funktioniert eine Kläranlage?

Grafik: So funktioniert eine Kläranlage

In einer österreichischen Kläranlage durchläuft das Abwasser meist drei Stufen.

1. Stufe: Mechanische Reinigung
Größere Feststoffe wie Äste und Steine, jedoch vorwiegend Hygieneartikel wie Wattestäbchen, Feuchttücher, Windeln und Binden sowie über das WC entsorgter Müll – all diese groben Verschmutzungen werden von einem Rechen am Beginn der Kläranlage herausgefischt. Das schaut nicht nur grauslich aus. „Manche Sanitärartikel und insbesondere Damenstrumpfhosen sind ein großes Problem, weil sie sich nicht auflösen oder zerreißen lassen und daher Leitungen und Pumpen verstopfen können“, erklärt Ing. Michael Köstler, Experte für Anlagen- und Verfahrenstechnik, Hydro Ingenieure Umwelttechnik GmbH in Krems. Das kostet Zeit und Geld. Ins WC sollten daher grundsätzlich nur menschliche Ausscheidungen und Klopapier gelangen. Alles andere ist ein Fall für den Abfallkübel.
Ein eigener Sandfang entfernt mineralische Verunreinigungen wie Sand, feine Steine, Kies oder Glassplitter aus dem Abwasser. Oft ist der Sandfang auch mit einem Fettfang kombiniert.
Im anschließenden Vorklärbecken verringert sich die Fließgeschwindigkeit. Dadurch setzen sich Fäkalien und andere sedimentierbare Stoffe ab. Etwa 30 Prozent der organischen Stoffe können so aus dem Abwasser entfernt werden.

2. Stufe: Biologische Reinigung
Nach der Ruhe kommt der Sturm. Im Belebungsbecken wird fleißig gearbeitet: Mithilfe von Sauerstoff und speziellen Bakterien wird neben dem Abbau von Kohlenstoff auch Stickstoff umgewandelt und gelöst. Er kann in die Luft entweichen oder wird im Schlamm gebunden. Das ist wichtig, denn zu viel Stickstoff im Wasser führt in den Flüssen, je nach Art des Stickstoffes, zu Vergiftungen oder zumindest zur Überdüngung. Das wiederum würde die Algen freuen, die dann dem Wasser zu viel Sauerstoff entziehen und damit Fische und andere Wassertiere gefährden. Der Schlamm setzt sich im Nachklärbecken ab und wird teilweise wieder dem Belebungsbecken zugeführt. Der verbliebene Kohlenstoff im Überschussschlamm wird nach Eindickung oft zur Energiegewinnung genutzt.

3. Stufe: Chemische Reinigung
Ohne Chemie geht’s nicht: Phosphor, ebenfalls ein Dünger, wird mithilfe von Eisen- oder Aluminiumsalzen im Schlamm gebunden und kann so abgezogen werden. In Industriekläranlagen entfernt diese Reinigungsstufe auch problematische Stoffe wie Schwermetalle oder Salze.
In Österreich wird die aktuell gesetzlich geforderte Entfernungsrate für Nährstoffe (mindestens 75 Prozent für Stickstoff und Phosphor) erreicht. Für viele Gebiete ist der Eintrag der Nährstoffe in Flüsse oder andere Wasserkörper aber trotzdem zu hoch. Aktuell wird daher eine Anhebung auf 85 Prozent für Stickstoff bzw. 90 Prozent Phosphor für große und mittelgroße Kläranlagen diskutiert.

Alle 632 kommunale Kläranlagen, die das Abwasser von mindestens 2.000 Einwohner*innen reinigen, haben drei Klärstufen – das sind 34 Prozent aller Kläranlagen in Österreich, die jedoch auch den Großteil des Abwassers verarbeiten.

4. Stufe – im Planungsstadium
In unserem Abwasser befinden sich auch viele Mikroschadstoffe, wie Krankheitserreger, Rückstände von Medikamenten oder Mikroplastik. Sie haben nachgewiesene oder potenziell problematische Auswirkungen auf Menschen, Flora und Fauna. Diese Stoffe lassen sich nur mittels spezieller Verfahren wie Aktivkohle- oder Membranfilteranlagen mit nachgeschalteter Desinfektion entfernen. Diese Konzepte setzen erst ganz wenige Anlagen um. In der EU wird eine verpflichtende Regelung für große Kläranlagen bzw. empfindliche Gebiete diskutiert.

7 der 632 kommunalen Kläranlagen (ein Prozent) haben vier Reinigungsstufen.

Faultürme und Wärmepumpen

Im Klärschlamm ist viel Energie gebunden – sie wird in großen Kläranlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt, um zumindest Teile des hohen Energieaufwands der Kläranlage zurückzugewinnen. Der Schlamm wird eingedickt, auf 38 Grad Celsius erwärmt und in einen Faulbehälter geschickt. Unter Luftabschluss bauen Bakterien die organischen Inhaltsstoffe des Klärschlamms ab – es entsteht Klärgas, das zu zwei Dritteln aus dem energiereichen Methan (CH4) besteht.

30 %
DER ORGANISCHEN STOFFE
können in der mechanischen
Reinigung aus dem Abwasser
entfernt werden

Der ausgefaulte Schlamm wird aus den Faulbehältern abgezogen und weiterverarbeitet. In den kommunalen Kläranlagen Österreichs fallen jährlich etwa 228.000 Tonnen solchen Klärschlamms an. Davon werden aktuell 52 Prozent verbrannt und die Aschen im Anschluss deponiert. Zukünftig wird dieser Anteil stark steigen, da der Klärschlamm laut einer neuen Verordnung voraussichtlich bereits bei mittelgroßen Anlagen nicht mehr kompostiert oder auf landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht werden darf. Nur Bauern dürfen den Inhalt ihrer Senkgruben weiterhin auf Feldern ausbringen.

Ob das Verbot so sinnvoll ist, darf bezweifelt werden: Für die Eindickung, Trocknung und Verbrennung ist ein enorm hoher Energieeinsatz nötig, der verbleibende Kohlenstoff geht zur Gänze als CO2 wieder in die Atmosphäre und die Nährstoffe gehen für die Kreislaufwirtschaft verloren. Lediglich Phosphor soll rückgewonnen werden, was eine technische Herausforderung darstellt und nur in den größten Anlagen möglich sein wird.

Das Klärgas gelangt inzwischen über Filteranlagen zu Blockheizkraftwerken, die daraus erneuerbaren Strom und Wärme für Faulschlamm- und Gebäudeheizung sowie die Warmwasserbereitung erzeugt. So bringen es die Blockheizkraftwerke auf einen Gesamtwirkungsgrad von mehr als 80 Prozent. Durch zusätzliche Erzeugung von erneuerbarer Energie (hauptsächlich mittels Photovoltaik-Anlagen) soll ein Großteil der Kläranlagen energieautark werden.

Alles klar? Kläranlagen bereiten das Wasser über verschiedene Klärbecken mechanisch, biologisch und chemisch auf. Foto: unsplash / Getty Images

Auch aus dem geklärten Wasser kann noch Energie gewonnen werden. Köstler: „Es ist meist deutlich wärmer als das Wasser des Flusses, in den es geleitet wird. Das ist gerade in Zeiten der Klimaerwärmung zunehmend ein Problem für die Tiere und Pflanzen und darüber hinaus eine Verschwendung von Energie.“ Mit einer neuen Generation an Wasserwärmepumpen rechnet sich der Einsatz in großen Kläranlagen und dieses Energiepotenzial kann z. B. für ein Fernwärmenetz genutzt werden. Das Wasser wird durch die Energieentnahme um vier bis fünf Grad abgekühlt. „Das freut Biolog*innen und Natur.“

Problem Mikroplastik

Nicht nur das Abwasser aus Haushalten und kleinen Gewerbebetrieben wird in kommunale Kläranlagen eingeleitet, sondern teilweise auch Oberflächenwasser von Straßen und Dächern. Und das beinhaltet jede Menge Mikroplastik – 43 Prozent davon stammen aus dem Abrieb von Reifen. Ein Problem, sagt DI Johannes Kisser, Spezialist für Pflanzenkläranlagen bei alchemia-nova. „Alle anderen Stoffe bekommt man früher oder später raus aus dem Schlamm. Allein bei Mikroplastik ist das schwer möglich.“ Das Problem müsse an der Wurzel gepackt werden und Reifen in Zukunft anders konstruiert werden. Das wäre nicht nur für die Qualität des Klärschlamms, sondern auch ganz unmittelbar für uns Menschen gut. Denn das Mikroplastik befindet sich, vor allem entlang der Straßen, auch in der Luft und wird von uns täglich als Feinstaub eingeatmet.

Das Gold der Kläranlage

Ins Abwasser gelangen alle Nährstoffe nach der Verdauung: Makronährstoffe wie Stickstoff, Kalium und Phosphor, Mikronährstoffe wie Eisen, Zink und Kupfer. Anstelle diese immer neu aus Minen (wie Phosphor) oder unter Energieeinsatz aus der Luft (wie Stickstoff) zu gewinnen, könnten sie auch direkt wieder für die Landwirtschaft genutzt werden. Das gilt ganz besonders für Phosphor. Er ist ein essenzieller und nicht austauschbarer Dünger für die Landwirtschaft. In Österreich fallen im Klärschlamm etwa 6.600 Tonnen pro Jahr an. Zum Vergleich: Die Landwirtschaft in Österreich muss etwa 26.000 Tonnen Phosphor pro Jahr zukaufen, damit die Pflanzen gut wachsen können.

Das große Potenzial: Ressource statt Abfall

Es muss aber nicht immer eine klassische Kläranlage sein. Schauen wir nach Lesvos, Griechenland: Im Winter eine Gemeinde mit 300 Einwohner*innen, im Sommer sind es 3.000. Dann muss Frischwasser mit Schiffen importiert oder mithilfe von Benzingeneratoren aus Salzwasser produziert werden – um es eine Toilette hinunterzuspülen und ins Meer zu leiten.

In der Hochsaison noch dazu oft ungefiltert, da die Abwassersysteme für die hohen Belastungen einer Touristensaison nicht ausgelegt sind. Gleichzeitig vertrocknen die Inseln und ihre Landschaft.

Johannes Kisser und sein Team von alchemia-nova haben eine Anlage entwickelt, die das Abwasser reinigt und für die Bewässerung nutzbar macht. „Vertrocknete Gegenden können mit Abwasser Oasen schaffen und die ganze Gegend kann davon leben“, erklärt Kisser. Pflanzenkläranlagen seien in vielen Formen anwendbar. Sie können auf beweglichen Toiletten, als Grünwände, zur Nachreinigung von Kläranlagen oder anstelle dieser im Garten oder als Straßenablauf eingesetzt werden. „Auch im großen Maßstab sind sie einsetzbar, wenn genügend Fläche vorhanden ist. Vertikale Grünwände und Substrate können den Platzbedarf reduzieren.“

QUELLEN UND LINKS:

Grüner Bericht 2022 und
Lagebericht 2022 –
Kommunales Abwasser,
beides
Bundesministerium für Landwirtschaft,
Regionen und Tourismus.
info.bml.gv.at

Dashboard Abwasser. Umweltbundesamt.
umweltbundesamt.at/
dashboard-abwasser

Kläranlagen und die europäischen
Flüsse

EU-Umweltbüro, 15. Februar 2023

Links:
zerowastegreece.com/cups
hydrousa.org
houseful.eu
alchemia-nova.net
kreislaufwirtschaft.at
alchemia-nova.gr

In Lesvos wird das Abwasser heute über eine Biogasanlage und eine Pflanzenkläranlage für die Landwirtschaft genutzt. Der Wiedereinsatz des nährstoffreichen Wassers liefert dreimal höhere Ernteerträge. Ganz nebenbei: Das ist auch in Österreich möglich. In einem 70-Einwohner*innen-Gebäude in Fehring in der Steiermark wurde das Konzept ebenfalls erfolgreich angewendet. Dort wird das Abwasser über eine Grünwand (vertikale Pflanzenkläranlage) geleitet und so direkt wieder für die umliegenden landwirtschaftlichen Flächen nutzbar gemacht. Auch das Regenwasser des Gebäudes wird gesammelt, eine Biogasanlage mit Küchenabfällen betrieben und die Abwärme der Kompostierung wieder für das Gebäude genutzt.

Grundsätzlich brauche es eine Änderung unseres Mindsets, sagt Kisser: „Wenn wir beginnen, jedes Material als Ressource zu sehen, dann werden wir Lösungen finden, um damit arbeiten zu können. Sieht man es als Schadstoff, dann kann man es nur behandeln – es deponieren oder verbrennen –, man verringert seine Schädlichkeit. Denkt man es als Ressource, geht man hingegen in eine positive Richtung – wie kann es eingesetzt werden, damit es nicht nur ‚weniger schlecht‘, sondern ‚gut‘ ist. Das hat viel mehr Potenzial.“

Roswitha M. Reisinger