Gespensterstädte und gelebte Langsamkeit
Verwaiste Innenstädte und trostlose Ortskerne führen zu Abwanderung und Überalterung. Viele kleine und mittlere Städte sind davon betroffen. Kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden?
Der Murradweg ist unter Radwanderern längst kein Geheimtipp mehr. Die erste Etappe führt nach Murau, einem malerischen kleinen Städtchen, in dem sich mittelalterliche Häuser entlang des Flussufers drängen, überragt von einem Renaissance-Schloss. Hier ist es gut, eine Rast einzulegen. Nur: Wer in der Altstadt nach einem Bäcker oder einem Greisler sucht, bleibt hungrig. In der Anna-Neumann-Straße, einst Lebensader und Hauptgeschäftsstraße, reihen sich leere Auslagenscheiben aneinander. Auf dem Hauptplatz ein ähnliches Bild: Autos parken in undurchschaubarer Ordnung rund um die Pestsäule. Einheimische sieht man wenige. Zum Einkaufen fährt man an den Stadtrand. Hier, auf der grünen Wiese, wurden in den letzten Jahren Supermärkte hochgezogen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. Parkplätze gibt es hier genug und kaum jemand hat noch das Bedürfnis, das Ortszentrum zu besuchen.
Sperrstunde ...
Murau ist kein Einzelfall. Viele Orte leiden an verwaisten Ortszentren, Abwanderung und Überalterung. Oft sind es Orte an der Peripherie mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und hoher Arbeitslosigkeit. Es ist eine Henne-Ei-Problematik, welche zu einer Abwärts-Spirale führt: Junge, ehrgeizige Menschen verlassen ihren Heimatort, damit geht auch ihr (wirtschaftliches und gesellschaftliches) Potenzial verloren. Zurück bleiben Menschen, die sich am Ende ihrer beruflichen Laufbahn befinden. Wie kann man diese Entwicklung aufhalten? Radikaler gefragt: Ist es überhaupt sinnvoll, etwas dagegen zu unternehmen?
Immer mit der Ruhe! Eine Stadt entdeckt die Langsamkeit
Die oberösterreichischen Stadt Enns setzte im Jahr 2007 einen Schritt zur Altstadtbelebung, der bis dahin in Österreich einmalig war. Enns verschrieb sich der Entschleunigung und wurde zur ersten „Cittaslow“ Österreichs. „Cittaslow“ ist eine Vereinigung, die von der Slow-Food-Bewegung inspiriert wurde. Wie diese hat sie ihren Ursprung in Italien, die vier Gründungsstädte waren Greve, Orvieto, Bra und Positano. Sie beschlossen einen Kriterienkatalog, anhand dessen sich Städte unter 50.000 Einwohner als „Cittaslow“ (ein italienisch-englisches Kunstwort für „langsame Stadt“) zertifizieren können. Die Idee dahinter war, die Entschleunigung auf historische Städte anzuwenden und dadurch den Bewohnern mehr Lebensqualität zu bieten. Dies würde, nach Ansicht der Cittaslow-Bewegung, die Abwanderung abschwächen und neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen. Erreicht werden sollte dies durch eine Besinnung auf das, was eine Stadt unverwechselbar macht: Regionale Wirtschaftskreisläufe, lokale Produkte und Traditionen und nicht zuletzt eine nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung.
Autor: Hartmut Schnedl