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Grow together

Dr. Katharina Kruppa und ihr Team von Grow Together begleiten junge Eltern, die Traumata erfahren haben und ihren eigenen Kindern einen besseren Start ins Leben ermöglichen wollen. Ein Angebot, das wirkt.

Eine Illustration: Eine Familie spaziert, dabei wird sie von einem Schirm von oben und von einer haltenden Hand von unten geschützt.
Illustration: Nuthawut Somsuk, iStock

Welche Gefühle spüren Sie, wenn Sie an Ihre Kindheit zurückdenken? Geborgenheit, Unbeschwertheit und Spaß? Oder Angst, Einsamkeit und Verzweiflung? Das, was Kinder erleben, geben sie in vielen Fällen als Erwachsene an die nächste Generation weiter. Dr. Katharina Kruppa und ihr Team von Grow Together helfen dabei mit Respekt und Wertschätzung Wunden zu heilen.

LEBENSART: Sie begleiten junge Menschen, die in ihrer Geschichte Traumata erfahren haben, wenn sie selbst Eltern werden. Wie groß ist das Problem?

Dr. Katharina Kruppa: Der Bedarf ist wirklich groß, ich würde in Wien von 400 bis 500 hochbelasteten Familien ausgehen. Traumata haben sehr, sehr viel mehr Menschen in ihrer Kindheit erlebt. Wir arbeiten mit jungen Müttern und Vätern, die schwere Traumatisierungen in der eigenen Kindheit erfahren haben und wollen, dass es ihren Kindern besser geht. Sie wollen es besser machen als ihre Eltern. Sie entscheiden sich ganz bewusst für unser Programm. Das ist auch notwendig. Denn es bedeutet viel Aufwand für sie – drei Jahre –, da müssen sie schon viel Kraft und Energie aufbringen.

Viele werden vom Jugendamt geschickt oder auch von Schwangerschaftsberatungsstellen und Kliniken. Einige kommen auch von sich aus, melden sich bei uns.

Wenn die Eltern zu Ihnen geschickt werden – kann da eine Zusammenarbeit gelingen?

Wir schließen mit ihnen ein gegenseitiges Abkommen. Das funktioniert ganz gut. Die meisten sind dankbar, dass sie Hilfe bekommen. Aber es ist eben auch die Kooperation mit dem Jugendamt notwendig.

Wie kann man sich die Kindheit dieser jungen Mütter und Väter vorstellen?

Sie haben von frühester Kindheit an furchtbare Dinge erlebt – vor allem Gewalt, Misshandlung und Missbrauch. Oft ist die Familie zerbrochen, es gab keine konstante liebevolle Bezugsperson in ihrem Umfeld. So konnten sie keine positive Eltern-Kind-Beziehung entwickeln. Gleichzeitig haben oft keine guten Erfahrungen mit Hilfeleistungen von anderen gemacht.

Was ist wesentlich, damit die jungen Eltern aus ihren negativen Beziehungsmustern herauskommen können?

Es geht ganz stark um Beziehung, um eine haltbare Beziehung, und um Wertschätzung. Sie haben ein ganz feines Sensorium dafür, ob sie wirklich ernst genommen und respektiert werden.

Wenn es gelingt, eine ehrliche wertschätzende Beziehung aufzubauen, kann Vertrauen wachsen. Wir begleiten die Familien über drei Jahre, weil in den ersten drei Jahren die Basis für die Entwicklung eines Kindes gelegt wird, auch neurobiologisch. Das Minimum sind zwei Jahre.

Wenn dieser Beziehungsaufbau gelingt, können viele nach unserem Programm selbstständig weitermachen.

Was sind die größten Herausforderungen?

Der Vertrauensaufbau. Die Menschen haben viele Jahre gelernt, dass man besser nicht vertrauen sollte. Und das zweite ist, dass sie Hilfe annehmen. Das gelingt nur, wenn sie merken, dass die Hilfe ernst gemeint ist.

Der Kinderschutz steht im Mittelpunkt. Und gleichzeitig sind wir unterstützend und liebevoll an der Seite der Eltern.

Was sind für Sie die schwierigsten Erfahrungen?

Wenn wir merken, dass sich Eltern sehr bemühen, dass eine Beziehung da ist, viel gutes Wollen. Und trotzdem das frühe Defizit so groß ist, dass es sich für die Kinder einfach nicht ausgeht und es zu einer Fremdunterbringung kommt. Manche Eltern erkennen auch, dass ihr Kind mehr braucht, als sie ihm bieten können, und dass es woanders besser aufgehoben ist. Dann ist es leichter.

Ich habe noch nie Eltern erlebt, die nicht das Bestmögliche für ihre Kinder wollen. Never ever. Aber um ein Kind gut zu unterstützen, braucht es eine Grundfähigkeit, mit dem anderen mitschwingen zu können. Das haben die meisten Menschen instinktiv, aber man kann es auch lernen. Es braucht die Bereitschaft und Fähigkeit, die Bedürfnisse der Kinder erfüllen zu wollen und zu können.

Aber wenn man da immer wieder rauskippt, wird es schwierig. Ein Anzeichen dafür ist meist die eigene schwere Vernachlässigung, wenn die Eltern nicht einmal auf sich selbst achten können. Denn man kann nur gut auf die Kinder schauen, wenn man auf sich selbst achten kann und sich dann in den anderen hineindenken kann, wahrnehmen kann, wie es dem Kind geht.

Klar ist für uns: Der Kinderschutz steht im Mittelpunkt. Und gleichzeitig sind wir unterstützend und liebevoll an der Seite der Eltern.

Wie gelingt es, aus destruktiven Mustern auszusteigen?

Es braucht die Möglichkeit, sich in den anderen hineinzudenken und innerlich „Stop“ sagen zu können. Es geht auch darum, die Relation zu erkennen: „Das ist ein Kind und ich bin erwachsen.“ Dafür ist es aber ganz wichtig, dass man das selbst auch erleben darf. Dass jemand sich in mich hineinversetzt, mich versteht. Aus diesem eigenen Erleben kommt dann die Fähigkeit, es bei den eigenen Kindern zu können.

Das erleben ja alle Eltern, dass einem die 3-Jährige mit ihrem Trotzanfall oder der 13-Jährige in der Pubertät zur Verzweiflung bringt.

Genau. Da kommt die Wut – und es geht darum, in dieser Situation auszusteigen zu können. Einmal durchatmen, rausgehen – und dann wieder in Kontakt treten.

Wenn ich Alleinerzieherin in einer kleinen Wohnung bin, ist das natürlich unglaublich schwieriger, als wenn ich aus der Familie oder durch Freunde Unterstützung habe.

Für Menschen, die Traumata erlebt haben, ist wichtig, dass sie sich immer wieder bewusst sind, dass Gewalt destruktiv ist. Nicht nur kognitiv, sondern als ganzer Mensch: „Das, was ich erlebt habe, hat mir echt nicht gutgetan“, und sich nicht sagen: „Ich habe es auch überlebt.“ Das Zweite ist, sich selbst und die Kinder dabei zu unterstützen, das Positive wachsen zu lassen.

Wie können Freunde oder Nachbarn helfen?

Sie können schon lange, bevor eine Situation eskaliert, helfen. Und zwar nicht, indem sie in Konfrontation gehen, sondern indem sie sich an die Seite der Menschen stellen und Hilfe anbieten. Zum Beispiel: „Kann ich Ihnen helfen, den Kinderwagen hineinzuheben?“ oder einfach fragen: „Wie kann ich Sie unterstützen?“

Diese Menschen erleben in unserer Gesellschaft eine unglaubliche Abwertung, weil man ihnen die Traumatisierung auch ansieht. In der U-Bahn erleben sie abwertende Blicke, Menschen wechseln den Platz, weichen zurück oder sind aggressiv. Oder am Spielplatz. Mit wem setzen wir uns auf die Bank? Mit wem sprechen wir? Sprechen wir respektvoll, auf Augenhöhe? Das würde ganz viel gesellschaftlich verändern. „Social Parenting“ nenne ich das: Wir alle sind verantwortlich für die Kinder, als Unterstützung.

Braucht es eine professionelle Begleitung oder geht es auch ohne?

Es gibt welche, die es schaffen, aber wenige. Ein Punkt ist die unglaubliche Einsamkeit, in der sich diese Menschen befinden. Sie erleben Beziehungen, die in schwierigen Situationen nicht halten, sie haben destruktive Freunde. Das macht mich sehr betroffen.

Menschen, die eine Bindungsstörung ganz früh erlebt haben, die reagieren auch so, als ob das bei allen Menschen so wäre. Die Muster dieser Menschen haben einen Sog. Es braucht sehr viel Standfestigkeit, um sich dem zu entziehen und dranzubleiben. Nicht bedürftig zu sein, aber trotzdem in Beziehung zu gehen, trotzdem dranbleiben – diese Professionalität hat man als Privatmensch nicht.

Welche Angebote braucht es, um diese jungen Eltern zu unterstützen?

Zusätzlich zu dieser respektvollen Begleitung wäre für diese Kinder und ihre Eltern eine qualitativ hochwertige familienergänzende Betreuung ideal, weil sie die Eltern entlastet, Berufstätigkeit ermöglicht und dem Kind die Möglichkeit bietet, zusätzliche stabile, fördernde Beziehungen aufzubauen. Es gibt auch Angebote für Kleinkinder mit einem Betreuungsschlüssel von 1 : 3. Aber: Da müssten die Eltern erst lernen, wie sie sich in Gruppen bewegen sollen, sie haben nicht das Know-how, um so einen Platz zu bekommen, geschweige denn die finanziellen Möglichkeiten.

Wie sind Sie dazu gekommen, Grow together zu gründen?

Aus meiner Arbeit im Spital als Kinderärztin. Da erlebe ich so viele belastete Familien und Kinder, die vernachlässigt werden, obwohl die Eltern motiviert wären, weil einfach die Hilfsangebote fehlen. Und gleichzeitig weiß ich aus der Forschung, dass so frühe Unterstützung wirklich einen Unterschied machen kann.  

Was war ein schönstes Erlebnis?

Da gibt es ganz viele Momente, aber es sind diese kleinen Begegnungen, wenn ich die Kinder sehe, die freudig und liebevoll von ihren Eltern betreut werden, wenn die Eltern ein Strahlen im Gesicht haben, wenn ihr Kind auf sie zuläuft, wenn ich einfach spüren kann, dass trotz aller Belastung die Liebe zwischen Eltern und Kinder tragfähig ist.

Wie hat sich die Situation der jungen Familien in den letzten Jahren, speziell im letzten Jahr verändert?

Die Einsamkeit ist noch größer geworden, so viele Gruppenangebote konnten nicht stattfinden und der gesellschaftliche Druck wird immer größer. Angst ist auch ein großes Thema.

Katharina Kruppe hat ihre dunkelblonden Haare zusammengebunden und lächelt in die Kamera.
Dr. med. Katharina Kruppa, Vorstand Verein Grow Together Foto: Irene Kernthaler-Moser

Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?

Auch bei uns ist der Druck immer größer geworden, wir sind sowieso sehr flexibel in der Arbeit, aber wenn die Gruppenangebote nicht stattfinden, müssen wir noch viel mehr kompensieren durch Einzelarbeit. Und letztendlich sind auch wir, so wie alle, durch diese Pandemie mit allen Einschränkungen sehr belastet. Da ist dann die Frage, wie man unterstützt, wenn man selbst unter Druck steht. Dafür brauchen wir einander, als Team, sehr.

Was haben Sie als Nächstes vor?

Wir sind gerade dabei, eine Akademie zu gründen, in der wir weitergeben, wie wir arbeiten, unsere Methode und die Haltung, die ganz viel mit Würde, Respekt und auch Freude zu tun hat. Denn letztendlich macht uns unsere Arbeit mit diesen großartigen Menschen wirklich sehr viel Freude!

www.growtogether.at

Das Interview führte Roswitha M. Reisinger

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