Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung
Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung kann soziale Barrieren schaffen oder zu einer besseren Kommunikation für alle führen. Ein Kommentar von Günter Horniak.
Ganz gleich ob man von Leben ohne Internet, vom Zwang zur Digitalisierung oder vom Recht auf ein analoges Leben sprechen möchte: Das Thema ist relevant, nicht nur in Wahlkampfzeiten. Die Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung im öffentlichen (Geschäfts-)Leben bietet, sind enorm und werden noch anwachsen. Künstliche Intelligenz wird dazu auch beitragen. Dabei wird oft vergessen, dass Digitalisierung nur ein Instrument ist, welches gestaltbar ist. Ein damit verbundener Zwang oder die Darstellung als Alternativlosigkeit ist genauso „menschgemacht“ wie der Ausschluss von Teilen der Gesellschaft.
Denn ohne Zugang zum Internet stößt man immer häufiger auf Schwierigkeiten – im Zuge der (natürlich auch oft positiven) fortschreitenden Digitalisierung zeigen sich auch damit verbundene gesellschaftliche Probleme. Private Unternehmen versprechen durch digitalisierte Prozesse mehr Kund*innenfreundlichkeit, aber optimieren im Wesentlichen nur interne Abläufe und Schnittstellen, auch um Mitarbeiter*innenressourcen einzusparen. Das zeigt sich mittlerweile oft daran, dass Informationen und Serviceleistungen nur noch online zugänglich sind und es nahezu unmöglich ist, mit einem menschlichen Mitarbeiter in Kontakt zu treten. Oder dass manche Leistungen ausschließlich über das Internet bezogen werden können, oder es nur dann reduzierte Preise gibt (z. B. Eintrittskarten). Menschen so auszuschließen, könnte man noch als in der Entscheidung und Verantwortung dieser privaten Unternehmen liegend, abtun. Ginge die öffentliche Verwaltung auch diesen Weg, wäre das aber nicht akzeptabel.
Schon jetzt sind manche Dienstleistungen in der öffentlichen Verwaltung (wie Handwerkerbonus oder Bundesschatzscheine), nur noch digital abrufbar. Damit werden Teile der Gesellschaft ausgeschlossen. In den aktuellen Diskussionen werden damit zumeist ältere Menschen angesprochen, denen generell unterstellt wird, dass sie den Übergang einer analogen Sozialisierung in eine digitale Welt nicht bewältigt haben. Das es aber auch an der Komplexität der digitalen Lösungen und nicht an Kompetenzen liegen könnte, weil Anwender*innen in die Entwicklung selten bis nie einbezogen werden, wird nicht bedacht. Dass bei der Geschwindigkeit der Digitalisierung dann auch jetzt noch „junge“ Menschen im Alter betroffen sein könnten, schon gar nicht. Gängig ist auch der realitätsfremde Hinweis, ältere Menschen sollen sich von Freunden oder ihren Kindern helfen lassen. Nicht alle haben Kinder, wollen anderen Zugangsdaten und Passwörter verraten (was man ja auch nicht tun sollte) sondern hingegen ein selbstbestimmtes Leben führen.
Auch sind nicht nur ältere Menschen betroffen, auch Menschen mit Beeinträchtigungen (und mit fortschreitendem Alter wächst auch diese Gruppe in der Bevölkerung), Menschen ohne finanzielle Mittel für Smartphone und Internetanschluss, obdachlose Menschen oder jene Menschen, die kein Vertrauen in die digitale Sicherheit und die Kontrollierbarkeit der Technik haben (z. B. wenn angenommen wird, dass KI das digitale Formular bearbeitet und darüber entscheidet), wird der Zugang zu Leistungen erschwert oder verunmöglicht, wenn diese nur noch digital angeboten werden. Daher sind hier verschiedene Unterstützungsleistungen nötig, damit ein analoger Zugang erhalten bleibt. Das können klassische Zugänge wie Formulare auf Papier zur Übermittlung am Postweg sein, aber auch z. B. Berater*innen auf Gemeindeämtern, die bei Onlineanträgen etc. unterstützen. Auch die Vermittlung von Vertrauen in das digitale Angebot (Sicherheit) sowie digitaler Kompetenzen wäre ein Teil der Lösung, aber nicht die Lösung selbst.
Bei der Digitalisierung der Dienstleistungen der Verwaltung (die aus Steuergeldern finanziert wird) muss es um die Schaffung eines digitalen Angebots gehen, welches alle Bürger*innen umfasst und jene nicht ausschließt, die diese Angebote nicht nutzen können. Nur dann können die Ziele wie verwaltungsinterne Effizienzgewinne mit der Vereinfachung der Kommunikation, Zeit- und Ortsunabhängigkeit des Zugangs zur Verwaltung aber auch die Unterstützung eines selbstständigen Lebens für alle vereint werden. Die bloße Verlagerung von analogen Behördenwegen auf digitale, ohne Mehrgewinn oder gar Ausschluss für bzw. von Bürger*innen, darf nicht das Ziel der Verwaltung sein.
Digitalisierung ist kein Selbstzweck und keine Unausweichbarkeit, sondern ist gestaltbar. Teilhabe, Inklusion und Antidiskriminierung sind Voraussetzungen für Demokratie, Partizipation und gelungene Digitalisierung. Wenn in diesem Sinn das Recht auf analoges Leben also das Recht auf Nicht-Diskriminierung von Seiten der Verwaltung nicht mit bedacht wird, ist es mit Gesetzen zu garantieren. Und wir dürfen nicht vergessen: das wahre Leben ist das analoge Leben.