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Recht auf ein analoges Leben?

Eine juristische und ethische Bestandsaufnahme - ein Kommentar von Marlon Possard.

Ein digitales Modell einer Waage, wie sie genutzt wird um Recht zu symbolisieren. Daneben ein Paragraphenzeichen.
Foto: Conny Schneider/Unsplash

Ein Gesetz in Bezug auf ein „Recht auf ein Leben ohne Internet“, wie aktuell von einigen politischen Verantwortungsträger*innen gefordert, gibt es in Österreich in dieser Form (noch) nicht. Eine ausdrückliche Pflicht für den Staat, seinen Bürger*innen analogen Alternativen bereit zu stellen, existiert gegenwärtig ebenfalls nicht. Die rechtliche Situation muss daher von unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen abgeleitet werden.

Aus rechtlicher Perspektive gibt es in Österreich einige gesetzliche Regelungen, die sowohl dem digitalen Fortschritt als auch einem analogen Leben ohne jegliche technologisierten Zugänge (wie etwa ohne den behördlichen Identitätsausweis „ID Austria“) gerecht zu werden versuchen:

  • Das Bundesgesetz über Regelungen zur Erleichterung des elektronischen Verkehrs mit öffentlichen Stellen (E-GovG) regelt den technologisierten Kontakt zwischen Bürger*innen und der öffentlichen Verwaltung. Der Gesetzgeber normiert in diesem Zusammenhang ausdrücklich eine Wahlfreiheit für die Bürger*innen im Kontext des (digitalen) Kontakts zu Verwaltung und Behörden auf Bundesebene: Bürger*innen wird einerseits ein Recht auf digitalen Verkehr eingeräumt (§ 1a Abs. 1 E-GovG), andererseits werden auch andere Kommunikationsarten mit öffentlichen Einrichtungen explizit für zulässig erklärt (§ 1a Abs. 3 E-GovG). Diese anderen Arten können im Rahmen des Behördenkontakts dementsprechend eingefordert werden. Zudem wird ein Schutz vor diversen Benachteiligungen festgelegt (§ 1a Abs. 3 E-GovG) – Bürger*innen, die sich für klassische Wege der Kommunikation mit Behörden entscheiden (z. B. schriftliche Anfragen, Abwicklung von Verwaltungsakten vor Ort in der Behörde) dürfen aufgrund dessen nicht diskriminiert werden dürfen. Nur zwischen den Behörden selbst besteht auf Bundesebene die Verpflichtung zum digitalen Austausch, sofern keine Ausnahmen hierfür vorliegen (§ 1c E-GovG).

Neben den soeben skizzierten verwaltungsrechtlichen Aspekten, können für eine juristische Einordnung darüber hinaus sowohl datenschutzrechtliche als auch verfassungsrechtliche Bestimmungen prioritär sein:

  • In datenschutzrechtlicher Hinsicht kann das Recht auf Selbstbestimmung im Sinne der Datenverarbeitung angeführt werden. Dieses Recht umfasst, dass das Individuum selbst bestimmen kann, welche Daten technologisiert (weiter)verarbeitet werden. Die Art. 6 und 7 DSG-VO (Einwilligung) sollten hier unbedingt Beachtung finden, vor allem im Hinblick darauf, welche und wie viele Daten und ob welchen Umstands diese preisgegeben werden. Auch hier besteht ein Konnex zu Fragen des Rechts auf ein analoges Leben, denn ein gänzlicher Online-Verkehr steht unter anderem im Widerspruch zu geltenden datenschutzrechtlichen Normierungen und würde in weiterer Folge zu einer mittelbaren Diskriminierung für eine bestimmte Gruppierung von Bürger*innen, aufgrund der beschränkten Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen, führen. Auf europäischer Ebene garantiert zudem die Charta der Europäischen Union (GRCh) mit Art. 8 den Schutz personenbezogener Daten und somit des Privatlebens der Bürger*innen.
  • Aus Sicht des Verfassungsrechts kann Art. 7 B-VG und der damit verbundene Schutz vor Diskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz genannt werden. Menschen, die mit dem digitalen Fortschritt nicht mithalten können oder sich aus anderen Gründen der Benützung des Internets entziehen, dürfen demgemäß keine Nachteile erfahren. Weiters kann aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) abgeleitet werden, dass auch ein Leben ohne Internet im Sinne des allgemeinen Persönlichkeitsrechts respektiert werden muss, da Art. 8 EMRK auch die freie Gestaltung des eigenen Lebens umfasst. Diesen Umständen tritt der österreichische Gesetzgeber zumindest auf verwaltungsrechtlicher Ebene mit dem bereits erwähnten § 1a Abs. 3 E-GovG (Wahlfreiheit) entgegen, um mögliche Diskriminierungen zu verhindern.

Zukünftig werden sich, neben juristischen Komplexitäten, auch einige philosophische Problemfelder hinsichtlich einer verstärkten Implementierung von KI und digitalisierter Technologie eröffnen. Als Beispiele können hier sensible ethische Fragestellungen angeführt werden (z. B. in Zusammenhang mit Gesichtserkennungen, Datenschutz, Privatsphäre). Ebenso stellt sich die Frage, wie viel „digitalen Zwang“ eine Gesellschaft überhaupt verträgt. Wenn Behördentermine nur mehr online vereinbart werden können und eine gewisse Gruppe von Bürger*innen– bspw. aufgrund des hohen Alters oder mangels finanzieller Möglichkeiten –  keine digitalen Zugänge aufweist, so werden hier soziale Barrieren eröffnet, die sowohl gegen geltendes Recht verstoßen als auch aus ethischer Sicht unbedingt hinterfragt werden müssen. Die Aufgabe der philosophischen Ethik ist es, das Leben jener Menschen, die ohne Digitalisierungsanwendungen auskommen (müssen), als legitime Lebensart zu analysieren und die verschiedenen Werte einer Gesellschaft zu beleuchten. Diese Bereiche stehen in enger Verbindung zu Fragen der menschlichen Selbstbestimmung und der Balance zwischen individueller Freiheit und technologisierten Behördenverfahren. Dadurch wird auch der enge Konnex zwischen Fragen des Rechts (z. B. die Sicherstellung von Fairness und Gerechtigkeit) und der Ethik (z. B. das Hinterfragen von gesellschaftlichen Überzeugungen und Werten) deutlich.

Ein Mann im blauen Sakko, Hemd und Krawatte blickt mit verschränkten Armen in die Kamera.
Mag. Dr. Marlon Possard, MSc, MA, Foto: Privat
 

Mag. Dr. Marlon Possard, MSc, MA ist Habilitand am Department für Verwaltung, Wirtschaft, Sicherheit und Politik und am Research Center Administrative Sciences (RCAS) an der FH Campus Wien - University of Applied Sciences.