Wo spielt das Leben?
Österreich braucht Projekte, die Biodiversität lebendig machen und ihre Bedeutung bei den Menschen verankern. So steht es um den Schutz der Vielfalt in Österreich.
Eine bunte Blumenwiese mitten im Sommer irgendwo in Österreich. Es summt und surrt rundherum, Heuschrecken zirpen und der Duft der Blumen in der Sonne ist überwältigend. Einfach schön. Doch werden wir nicht seltener von Vogelgezwitscher geweckt, sehen wir nicht weniger Blumen auf den Wiesen und hören wir nicht weniger Insekten rundherum?
Das ist nicht nur ein subjektiver Eindruck: Der letzte Report über den Erhaltungszustand von Arten und Lebensräumen der EU zeigte 2019, dass in Österreich acht von zehn Arten und Lebensraumtypen in einem ungünstigen Erhaltungszustand sind. Das heißt, dass die Schutzgüter ernsthaft gefährdet sind und es ganz konkrete Maßnahmen braucht, um sie zu erhalten. Vor allem Moore, Grasland und Süßwasserlebensräume schneiden sehr schlecht ab. Obwohl sich die Mitgliedsstaaten zum Schutz verpflichtet haben, verschlechtert sich die Lage in Österreich laufend. Hierzulande gelten bereits vier von zehn Arten als gefährdet.
Der Verlust von Biodiversität ist kein österreichisches Problem. Weltweit gehen so schnell wie noch nie Arten verloren. Ein Viertel aller Arten ist unmittelbar vom Aussterben bedroht, stellt der Weltbiodiversitätsrat in seinem globalen Biodiversitätsbericht fest.
Auf EU-Ebene soll die Biodiversitätsstrategie für 2030 die Biodiversität in Europa auf den Weg der Erholung bringen – durch zahlreiche Maßnahmen, wie die Einrichtung eines größeren EU-weiten Netzes der Schutzgebiete.
Auch in Österreich wird im Rahmen des Biodiversitätsdialogs 2030 an einer nationalen Biodiversitäts-Strategie gearbeitet, in der Ziele und konkrete Maßnahmen festgelegt werden und die sich an der EU-Strategie orientiert. Das interdisziplinäre Netzwerk Biodiversität Österreich, das sich als Sprachrohr zwischen Wissenschaft und Politik versteht, arbeitet ebenso daran, die Biodiversität in Österreich zu stärken, erklärt Dr. Nikolaus Szuscich, Koordinator der österreichweiten ABOL-Initiative für eine solide Datengrundlage zur österreichischen Artenvielfalt und Mitglied des Biodiversitätsrates. „Die Politik muss größere Schritte setzen, um eine echte Wirkung zu erzielen“, betont der Biologe.
Im Frühling dieses Jahres wird zudem die Weltbiodiversitätskonferenz (COP15) in Kunming, China über die Bühne gehen, bei der ein globales Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt verabschiedet werden soll.
Biodiversität in den Gemeinden
Setzen Gemeinden auf Biodiversität, erhöht das die Lebensqualität und stärkt das Image der Gemeinde als Wohnraum und Wirtschaftsstandort. Im Rahmen der österreichweiten Kampagne „vielfaltleben“ des Bundesministeriums für Klimaschutz hat sich ein Gemeindenetzwerk zu biodiversitätsfördernden Maßnahmen verpflichtet.
So zum Beispiel im vorarlbergerischen Rankweil. Hier verzichtet die Gemeinde seit 2011 auf künstlich angelegte Grünflächen und verwendet ausschließlich heimisches Saatgut, wodurch die Grünflächen deutlich weniger Pflege benötigen. Nicht nur Wiesen oder Betriebsgebiete werden naturnah gestaltet, selbst auf kleinen Verkehrsflächen am Straßenrand werden Magerblumenstreifen angelegt – es entstehen wertvolle Lebensräume für Tiere wie Wildbienen und Insekten. Der Erfolg gibt der Gemeinde recht. Insgesamt wurden bisher 1.762 Bienen bestimmt, die 94 Arten angehören.
Das – ebenso gemeindeübergreifende – Projekt „Aufladung Biodiversität“, dem die sieben Naturparke in der Steiermark angehören, hat es sich indessen zum Ziel gesetzt, die Biodiversitätsstrategie Österreich 2020+ umzusetzen. Als zentrales Element fungieren sieben Biodiversitäts-Expert*innen, die verschiedene Botschaftergruppen wie Gastgeber*innen, Schulen und Gemeinden in der Weiterentwicklung biodiverser Projekte unterstützen. Daraus entstanden 21 Projekte mit spannenden Namen wie „Der Naturpark geht an die Börse“ oder „Die wilden Hühner der Sölk“.
Lesenacht im Hochstand
Biodiversität im heimatlichen Lebensraum schon den Kleinsten näherzubringen, ist ein Anliegen der „Österreichischen Naturpark-Schulen“. In Österreich gibt es davon 147 sowie 67 Naturpark-Kindergärten und -Horte. Biologische Vielfalt vor der Haustüre erleben die Kinder hier von klein auf mit allen Sinnen, denn „nur was man kennt, kann man schätzen. Und nur was man schätzt, wird man schützen!“, wie Andrea Sedlatschek der ARGE Naturparke Burgenland betont. Bei einem aktuellen Projekt in den burgenländischen Naturparkschulen werden über 2.000 Kinder zu aktiven Klimaforscher*innen. Die Natur tut den Kindern gut – so die Beobachtung der Pädagog*innen und der Eltern. Da kann es schon sein, dass der Unterricht auch mal nach draußen verlegt wird oder die Lesenacht nicht im Turnsaal stattfindet, sondern am Hochstand mit Taschenlampe und Jäger*in.
„Pures Leben“ auf den Streuobstwiesen
„Im Frühjahr, wenn die Bäume zu blühen beginnen, die Vögel zwitschern und es wieder summt und brummt, dann spürt man in der Streuobstwiese das pure Leben.“ Wenn DI Rainer Silber, Geschäftsführer vom oberösterreichischen Naturpark Obst-Hügel-Land von den Streuobstwiesen erzählt, hört man die Begeisterung. Er hat sich zum Ziel gesetzt, Streuobstwiesen mit ihren 4.000 bis 5.000 Arten und ihre traditionellen Obstsorten wie den „Weberbartl-Apfel“ oder die „Schartnerkirsche“ zu erhalten.
Der ursprüngliche Sinn der Wiesen bestand darin, das Vieh mit Heu und die Menschen mit frischem Obst zu versorgen. Fast nebenbei entstanden die typischen Landschaftsbilder, mit den wunderschönen Obstbäumen inmitten blühender Wiesen, die als breiter Grüngürtel die Bauernhöfe und Ortschaften umgeben. Locker – wie zufällig verstreut – wachsen hier Obstbäume bunt gemischt in regionaltypischen Sorten: Apfelbäume gedeihen neben Birnen- und Zwetschkenbäumen, Nussbäume neben Kirschbäumen.
Streuobstwiesen zählen zu den artenreichsten Lebensräumen bei uns in Mitteleuropa. Sie sorgen für ein abwechslungsreiches Nahrungs- und Schlafangebot für Bienen, Schmetterlinge, Vögel, aber auch Igel. Durch Obstplantagen und Umwidmung in Bauland wurden diese Naturräume drastisch zurückgedrängt – Schätzungen zufolge zwischen 1965 und 2000 um 70 Prozent.
Für den Erhalt dieser Lebensräume kämpft auch eine Kooperation der Österreichischen Bundesforste mit dem Biosphärenpark Wienerwald. Sie möchte der Bevölkerung zeigen, wie wichtig diese Flächen sind, und betreut über 40 Streuobstwiesen, auf denen in den letzten Jahren rund 1.000 Obstbäume neu gepflanzt wurden. Damit es aber auch ein Mitmachprojekt wird, läuft seit 2020 das Citizen-Science-Projekt „ArtenReich Streuobstwiese“. Dreimal im Jahr machen sich um die 25 ehrenamtliche Laienforscher*innen auf, um die artenreiche Tierwelt zu erkunden und zu dokumentieren. So soll ein umfangreiches Bild über den Zustand dieses Ökosystems entstehen. Neue Laienforscher*innen sind herzlich willkommen.
Gemeinsam aktiv für die Insektenvielfalt
War die Windschutzscheibe nach einer längeren Autofahrt früher durch Insekten stark verschmutzt, bleibt sie heute sauber. Allein dieses Bild führt uns drastisch vor Augen, dass das Insektensterben stattfindet. Die Krefelder Studie aus dem Jahr 2017 brachte den Stein ins Rollen, denn sie zeigte, dass die Insektenbiomasse innerhalb von 25 Jahren um 75 Prozent zurückgegangen ist. Bedrohlich, da der Verlust der Insekten ganze Ökosysteme aufs Spiel setzt. Ohne Bestäuberinsekten steht zum Beispiel die gesamte Welternährung vor dem Kollaps. Das Projekt „Ins.ACT – gemeinsam aktiv für die Insektenvielfalt“ unterstützt Gemeinden und Schulen, biodiversitätsfördernde und insektenfreundliche Maßnahmen umzusetzen.
Biodiversität für alle
Auch wenn nicht jede*r von uns eine Streuobstwiese anlegen kann, gibt es doch für jede*n einzelne*n die Möglichkeit, Biodiversität im eigenen Garten zu fördern – indem wir etwas „Unordnung“ zulassen und dem Perfektionismus ein bisschen weniger Raum geben.
6 Tipps, was Sie für mehr Biodiversität tun können:
- Vielleicht gibt es in Ihrem Garten ein paar Quadratmeter Platz, wo Wildblumen gedeihen können.
- Totholz kann Lebensräume schaffen, Insektenhotels, Laub- und Holzhaufen bieten Schutz.
- Lassen Sie das Gras auch mal wachsen – vielleicht darf sogar etwas Klee oder Löwenzahn dabei sein.
- Setzen Sie auf alte Obstsorten und lassen Sie sich dazu gut beraten.
- Pflanzen Sie viel Blühendes und vor allem heimische Pflanzen. Sie locken Bienen, Schmetterlinge und nützliche Insekten an.
- Schneiden Sie die verblühten Büsche erst im Frühjahr zurück. Hier finden Wildbienen Unterschlupf für den Winter.
Astrid Laimighofer