Mut machen oder Mut nehmen?
Wenn ich durch die Schule gehe, sehe ich überall Fragezeichen: sie hängen an der Decke, sitzen am Tisch und verstecken sich unter Stühlen ... doch irgendwie übersieht sie jeder.
Und, warum eigentlich bekommen nur wir Schüler eine Verhaltensnote?
Ich bin 19 Jahre alt, stelle gerne Fragen, gehe in die Maturaklasse eines Gymnasiums und musste lernen, dass das System, dessen “funktionierender Teil” ich bin, mit einem Vogelkäfig vergleichbar ist: Ein Vogel im Käfig fühlt sich wohl, weil er Futter bekommt; Sein Leben ist bequem. Er darf aber seine Flügel nicht benutzen. Und kein Vogel, der fliegen könnte, aber das nicht darf, kann sich frei nennen. Doch in diesem Käfig darf man singen und dieser Gesang heißt Meinungsfreiheit. Ich, in meinem Käfig, habe oft zu laut gesungen. Das war nicht normal.
Im Käfig lernen wir, was normal ist, was wird von uns erwartet, was ist verboten? Das wissen wir alles. In so einem System sind wir gefesselt und in so einem System lernen wir, dass alle Menschen gleich sind. Und dass manche Menschen weniger gleich sind, als andere, das merken wir, sobald wir einmal “lauter gesungen haben”, sobald überall Fragezeichen auftauchen und wir die Normen, die unser Käfig uns vorgibt, hinterfragen.
Aufgewachsen bin ich mit zwei komplett unterschiedlichen Kulturen. Seit meiner Geburt hält mich die jugoslawische, serbische Kultur an der rechten und die ungarische Kultur an der linken Hand. Meine Mutter ist Ungarin, mein Vater Serbe. Meine Geschwister und ich sind mit Serbisch und Ungarisch aufgewachsen, ich bin das älteste von fünf Kindern, habe zwei Schulsysteme, mindestens vier Schultypen und wie jede/jeder andere unendlich viele Erziehungsformen erlebt, bin mit zwei Religionen aufgewachsen und vor fünf Jahren wurde auch die österreichische Kultur zum großen Teil unseres Lebens, als Österreich unser Lebensmittelpunkt wurde.
2013 kam ich an die Neue Mittelschule und konnte kein Wort Deutsch. An dieser Schule lernte ich nicht nur eine neue Sprache, ich erlebte auch das, was ich mir für jedes Kind und jeden Menschen wünsche: Freiräume, in denen ich mich so entfalten konnte, wie das für mich genau richtig war. Und ich konnte sehen, wie andere das auch tun. Doch das war nicht nur in Österreich so. Diese Freiheit erlebte ich bereits in der Volksschule in Serbien. Ich sage immer wieder gerne, ich hatte eine Lehrerin, die mir meine Flügel nicht gebrochen hat - deswegen fliege ich immer noch. Nach der Volksschule kam ich an eine große, strenge Schule doch auch hier hatte ich das Glück, von einer Lehrerin unterrichtet zu werden, die nicht nur Divna heißt, was die Wundervolle bedeutet, sondern auch so ist… Und immer war.
Neben meinen Eltern waren es immer die Lehrer, die mein Leben in eine bestimmte Richtung lenken konnten. Dadurch, dass eine geradlinige Schulbildung aufgrund vieler Umstände in meinem Leben nicht möglich war, lernte ich, dass Bildung nicht konventionell und geradlinig sein muss, um eine gute zu sein. Auch lernte ich, dass die Welt nicht in Fächern funktioniert und wenn die Schulglocke läutet, läutet sie nicht für mich und für niemanden. Die Stunde endet nie.
Ich lernte, dass Lehrerinnen und Lehrer die Menschen sind, die dem Kind neben seinen Eltern und Erziehern am ehesten Mut machen können, oder eben gar keinen Mut machen oder sogar den Mut wegnehmen. Ich wünsche mir eine Schule, die vom Kind zumindest genauso viel lernt, wie das Kind von der Schule. Um es gleich vorweg zu sagen: Das ist meine Sonntagspredigt: Ich wünsche mir Stärkung und Mobilisierung und die passiert dann am besten, wenn sich jedes beteiligte Individuum respektiert fühlt. Denn wir alle besitzen Fähigkeiten, mit welchen wir Großes für eine bessere Zukunft leisten können.
Ivana Vlahusic, 19, Rednerin/Referentin, Storytellerin/Erzählerin, Maturantin/Gymnasiastin, hat als Muttersprache Ungarisch, Vatersprache Serbisch, Lieblingssprache Musik, komponiert Lieder auf Deutsch. Schreibt und liest außerdem alles mögliche, redet viel in unterschiedlichen Sprachen, reist und lernt gerne Neues kennen, neue Menschen... lebt für Begegnungen. Hier geht‘s zu ihrem Musikvideo.