Da lern ich doch schneller Chinesisch
Deutsch zu lernen, war für mich eine echte Geduldprobe. In einer Geschichtsstunde lernte ich ein neues Wort: mundtot..
Unsere Geschichtelehrerin erklärte uns, was mundtot bedeutet. Nach der Stunde bin ich zu ihr gegangen und habe gesagt, ich fühle mich, als hätte mich wer mundtot gemacht. Und sie hat mich nicht verstanden. Ich erklärte ihr, ich will so vieles sagen, es kommt aber nichts raus. Ich hasse es, dass ich nicht Deutsch kann, ich hasse es, wenn ich nicht verstanden werde...und ich weinte. Diese Frau hatte eine ganz besondere Art und war, neben meinem Klassenvorstand die Lehrerin, die meinem Bruder und mir Deutsch beigebracht hat. Ihre Worte zählten. Sie sagte zu mir: „Ivana du wirst jeden Tag besser. Und ich - tief aus meinem ganzen Herzen - ich glaubte ihr nicht. Ich dachte, „des dalern i nie, die komische Sprache“ :-)
Wir hatten mittlerweile viele deutsche Bücher zuhause und ich erinnere mich daran, voller Schrecken die Seiten angeschaut zu haben, da lern ich doch Chinesisch zehnmal schneller... Im Unterricht sitzen und einzelne, bis keine Worte zu verstehen, das war nicht leicht.
Aber ich habe mitgeschrieben, nichts verstanden, aber nachgeschaut, nachgefragt und erklärt - mit Händen und Füßen im Einsatz. “Du wirst immer besser”. Kann ich ihr glauben? Wir mussten damals auch die österreichische Hymne auswendig lernen und ich konnte sie lange, bevor ich sie verstehen habe können. Ich lernte Lieder und übersetzte sie. Auf einmal schrieb ich eigene Lieder, und das auf Deutsch. Ohne es gemerkt zu haben, bin ich in diesen zwei Jahren viel gewachsen. Ohne es gemerkt zu haben, sprach ich auf einmal eine neue Sprache.
Auf meinem Weg, Deutsch zu lernen, hat mich niemand geprüft. Mich hat man nur unterstützt. Somit habe ich extrem viel Respekt für diese Schule, diesen Direktor, diese wundervollen Lehrer und Lehrerinnen entwickelt.
Wir erhielten hier eine allumfassende Bildung. Uns wurde was zugetraut: Wir schrieben Erörterungen über den Moscheenbau in Österreich oder über das Bettelverbot, im Alter zwischen 12 und 14 Jahren. Wie wurden vor Herausforderungen gestellt - wie zum Beispiel im Englischunterricht, als wir nicht nur offene Briefe geschrieben haben, sondern sie auch tatsächlich verschickt haben und zum großen Teil auch Antworten bekommen haben, von Organisationen wie UNICEF oder WWF.
Wir haben uns fächerübergreifend für eine Sache engagieren dürfen - in Deutsch und Werken hatten wir denselben Lehrer und durften einen Film drehen, mit welchem wir in Innsbruck beim REC’n’PLAY Film Festival den dritten Platz gewonnen haben. Wir hatten einen Jahresplan mit Projekten, teilweise mehrere in Monat. Mathe, Physik und Chemie hatten auch Platz.
Für mich hat diese Schule einen Geruch, den ich mit unbeschreiblichen Emotionen verbinde, Gefühle zwischen Geborgenheit, Sicherheit, Akzeptanz, Solidarität - auch diese Begriffe lernte ich an der NMS.
Mein Deutschlehrer hat mich bei Sag’s Multi, dem mehrsprachigen Redewettbewerb in Wien, angemeldet, hier durfte ich zwei Reden halten. Diesen Wettbewerb empfehle ich euch allen, der Verein Wirtschaft für Integration, der Sag’s Multi organisiert, setzt sich für nachhaltige Entwicklung in Bereichen Integration, Sprache, Bildung, Arbeitswelt, Vielfalt, ein und somit wirken sie in allen anderen Bereichen der nachhaltigen Entwicklung. Diesen Menschen bin ich für vieles dankbar. Was ich mit ihnen alles gelernt und von ihnen mitgenommen habe, ist unschätzbar. Mein Leben sowie meine schulische Laufbahn waren nicht geradlinig und die Erfahrungen, die ich dabei sammelte, haben mich sensibilisiert, meinen Horizont erweitert, was in damals naher Zukunft und je nachdem, wie man es betrachtet, nicht nur vorteilhaft war.
Ivana Vlahusic, 19, Rednerin/Referentin, Storytellerin/Erzählerin, Maturantin/Gymnasiastin, hat als Muttersprache Ungarisch Vatersprache Serbisch, Lieblingssprache Musik, komponiert Lieder auf Deutsch. Schreibt und liest außerdem alles mögliche, redet viel in unterschiedlichen Sprachen, reist und lernt gerne Neues kennen, neue Menschen... lebt für Begegnungen. Hier geht‘s zu ihrem Musikvideo.