Das Smartphone als Fluchtbegleiter
Navigation, Fakten-Check und Verbindung nach Hause – das Smartphone half vielen syrischen Flüchtlingen bei der gefährlichen Flucht nach Europa.
Welche Rolle das Smartphone genau spielte, hat die ÖAW-Kommunikationswissenschaftlerin Katja Kaufmann erstmals erforscht.
Ein Selfie am Strand von Griechenland. „Für viele war das eine Möglichkeit, um ihrer Familie mitzuteilen, dass sie die Seereise lebend überstanden hatten“, erzählt die Kommunikationswissenschaftlerin Katja Kaufmann vom Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Kaufmann hat in Forschungsprojekten untersucht, wie Geflüchtete ihre Smartphones nutzen und warum diese ein entscheidender Fluchtbegleiter sind.
Im Interview beschreibt die junge Wissenschaftlerin nicht nur, welche Smartphone-Funktionen auf der Flucht besonders wichtig waren, sondern berichtet auch, wie Geflohene heute das Smartphone in ihrem neuen Alltag verwenden und warum die Öffi-App "quando Wien" nicht wegzudenken ist. Unterstützt wird Kaufmann bei ihrer Forschungsarbeit von Mouhamad Alhassan. Der junge Syrer und studierte Betriebswirt musste selbst aus seinem Heimatland flüchten und stieß über die ÖAW-Flüchtlingsinitiative „Flüchtlinge fördern, Flucht erforschen“ als Praktikant zum Smartphone-Projekt.
Mouhamad Alhassan, Sie sind aus Syrien geflohen. Welche Rolle hat dabei das Smartphone für Sie gespielt?
Mouhamad Alhassan: Ich bin über die Balkanroute nach Österreich gekommen. Dabei war das Smartphone sehr hilfreich, denn nur so wusste ich, was in Europa vor sich ging und welche Route ich nehmen musste. Die Informationen und Tipps bezog ich vor allem über Facebook, wo Freunde und Bekannte, die es bereits nach Europa geschafft hatten, ihre Erfahrungen teilten. Ich war also gut vorbereitet.
Deckt sich die Erfahrung von Herrn Alhassan mit den Erzählungen der anderen Befragten, Frau Kaufmann?
Katja Kaufmann: Absolut. Darüber hinaus haben viele berichtet, dass GPS enorm relevant war: Beispielsweise konnten sie so mitverfolgen, ob die Schlepper sie mit dem Boot auch tatsächlich nach Griechenland brachten und nicht einfach nur eine Runde vor der türkischen Küste drehten. Am Festland wurde die Funktion wiederum genutzt, um bestimmte Routen zu finden. Die Wegbeschreibungen dafür wurden vor allem in speziellen Facebook-Gruppen hochgeladen – zum Teil waren das händisch ergänzte Screenshots aus Google Maps sowie ausführliche Erfahrungsberichte.
Die persönliche Kommunikation lief derweil über WhatsApp. Zum Beispiel haben Flüchtlinge, die bereits an der nächsten Grenze angekommen waren, die Nachfolgenden über die aktuelle Lage informiert. Natürlich aber wurden diese Kanäle auch für die Kommunikation mit Angehörigen genutzt.
Wie oft schlichen sich hier auch falsche Informationen ein?
Kaufmann: Das Problem wurde immer wieder angesprochen. Vor allem Facebook standen die meisten Befragten grundsätzlich skeptisch gegenüber. Man wusste, dass manche Schlepper diese Plattformen auch nutzten, um Panik oder Werbung zu machen.
Alhassan: Sie schrieben dann zum Beispiel, dass die Route zwischen Griechenland und Serbien geschlossen war und dass man eine bessere Route mit einem bestimmten Schlepper nehmen sollte. Im Zweifel habe ich mich immer auf meine Freunde und Bekannten verlassen, die zuvor bestimmte Routen genommen hatten.
Kaufmann: Manche hatten zudem befürchtet, dass sie über Skype und andere Kommunikationsdienste überwacht werden und so ihre Familien in Gefahr bringen könnten. Der positive Aspekt überwog aber in diesen Fällen, weshalb sie trotzdem Plattformen wie Facebook nutzten.
In einer weiteren Befragung, die Sie Ende 2016 starteten, gingen Sie vor allem der Frage nach, wie das Smartphone nun hier in Österreich bzw. in Wien verwendet wird. Haben Sie schon Ergebnisse?
Kaufmann: Wir sind gerade dabei, die Gespräche auszuwerten. Es zeigt sich aber, dass sich der Nutzen zum Teil geändert hat. Jetzt versucht man beispielsweise, sich via Google Maps oder qando Wien zu orientieren. Das trifft insbesondere auf Wien als Großstadt zu, in überschaubaren Städten wie Klagenfurt ist das natürlich anders. Zudem wird das Smartphone auch als Online-Wörterbuch oder für Sprach-Tutorials auf Youtube genutzt.
Abgesehen von der Kommunikation mit Freunden und Verwandten, die teilweise auf unterschiedliche Länder verstreut leben, tauschen sich viele mittlerweile auch mit Österreichern aus. Diese helfen ihnen zum Beispiel, wenn sie einen Amtsbrief nicht verstehen oder dergleichen. Das fand ich sehr interessant. Abgesehen davon konsumieren viele syrische Musik und Serien. Auf der Flucht war für solche Unterhaltungs-Funktionen kein Raum.
Welche Rolle spielte das Smartphone im Alltag in Syrien, Herr Alhassan?
Alhassan: In Syrien habe ich es nicht viel gebraucht. Meine Freunde waren in der Nähe, ich wusste, wo was war etc. Die meiste Zeit habe ich damit Musik gehört. Hier in Wien hat sich das geändert. Wien ist groß und so brauche ich es oft, um mich zurechtzufinden. Alles ist mit Nummern unterteilt, die Straßen, die Bezirke, die U-Bahnen und Busse – das ist ungewohnt.
War es leicht, Studienteilnehmer/innen zu finden?
Kaufmann: Tatsächlich war die Rekrutierung anfangs unheimlich schwer. Wir wollten ursprünglich Menschen an den Bahnhöfen befragen. Von dieser Idee sind wir schnell abgekommen, weil hier niemand den Nerv für ein ausführliches Gespräch gehabt hätte. Das „Problem“ war zudem, dass wir konkret syrische Flüchtlinge suchten, die gut Englisch sprachen und eigenständig ein Smartphone auf der Flucht benutzt hatten. Über eine Kollegin haben wir nach langem Suchen zwei Interessierte gefunden. Erst als Mouhamad eingestiegen ist und die Rekrutierung übernommen hat, wurde es leichter.