"Ich hab einfach eine Riesenfreude am Gelingen"
Ich erreiche Toni Innauer, gut erholt und gelaunt trotz Zahnschmerzen, am ersten Tag nach seinem Urlaub. Unsere Rubrik „ArtistInnen“ gefällt ihm, sie erinnere ihn an den Zirkus. Dort, wie in der Kunst oder im Sport gehe es darum, schwierige Dinge zu erlernen, und unter Druck vorzuführen. „Sonst kanns eh jeder“ meint er.
Sie waren Olympiasieger, erfolgreicher Trainer und Sportmanager. Wie haben Sie so viel erreicht?
Dazu braucht es sicher Talent, das richtige Umfeld, die richtige Einstellung und Glück – alle vier Bereiche überlappen sich im besten Fall. Ich hatte das Glück, meistens an die richtigen Leute zu kommen. Ich bin in einem Berggasthaus aufgewachsen. Dort zählt, wenn jemand etwas kann, wenn man sich bemüht. Tüchtigkeit hat einen hohen Stellenwert. Am Berg kann man sich nicht alles kaufen, dort musst du Einfallsreichtum entwickeln, dir Dinge vorstellen können, bodenständig kreativ sein. Ich habe mir schon als Kind mit Heu Hochsprungmatten gebastelt, ein eigenes Turn-Reck aus einem Brunnenrohr. Dieses Erforschen, Verfeinern und Wachsen hat mich nie wirklich losgelassen, die körperliche und geistige Elastizität sind mir wichtig.
Wie haben Sie Schispringen als Ihr Talent entdeckt?
Das war Zufall. Das Schispringen hat mich beim Zusehen schon immer fasziniert. Schließlich hat mich ein Schulfreund zum Springen mitgenommen. An meinem ersten Tag auf einer genormten Schanze habe ich gefühlt, dass ich weit springen kann: 30 Meter habe ich gesagt. Da haben alle gelacht. Und ich bin die 30 Meter gesprungen.
Zu dieser Zeit wurde das Schigymnasium Stams neu gegründet, der junge, studierte Trainer – Baldur Preiml – kam mit großen Ambitionen, mit viel Knowhow, Charisma und pädagogischen Fähigkeiten. Er hatte den Ehrgeiz, etwas Besonderes aufzubauen, es entstand eine besondere Konstellation des „Über-sich-Hinauswachsens“. Wir spürten; es liegt Entwicklung in der Luft, der Erfolg wird kommen.
Sie mussten als Sportler verletzungsbedingt früh aufhören. Wie ist Ihnen der Einstieg in ein normales Berufsleben gelungen?
Ich hatte das Glück studieren zu können. Mit dieser Mischung aus theoretischer und praktischer Erfahrung konnte ich mir die Basis für meine heutigen Aufgaben legen.
Würden Sie in der Rückblende etwas anders machen?
Ja, da und dort. Ich würde mit mir selbst behutsamer umgehen. Mein Wille und mein Ehrgeiz setzen ständig wieder mein Gefühl und meine Sensitivität unter Druck. Vielfach haben die beiden ersten gewonnen. Das war ein Grund, warum ich mich oft verletzt habe. Wenn es gelungen ist, alle vier zu verbinden, dann lief es am besten.
Ob ein Weg ohne Verletzungen erfüllender gewesen wäre? Ich hätte noch einige Medaillen gemacht, ich hätte aber dann auch sicher nicht studiert und das macht mich heute aus.
Was raten Sie jungen SportlerInnen? Wie gelingt ein guter Überstieg?
Das ist je nach Lebensphase und Alter sehr unterschiedlich. Aber junge Sportler sollen es nicht tragisch nehmen, wenn es mit 18 nicht reicht. Sie haben noch keine Zeit verloren – sie können studieren, eine Ausbildung machen. Später – die Verlockung ist groß, weil man von der Sportförderung gut leben kann – bleiben viele zu lange dabei. Sie verdienen nicht genug um auch danach davon leben zu können. Zudem fehlt Ihnen die Qualifikation für einen guten Job. Wenn sie parallel zum Sport eine Zusatzausbildung gemacht haben, können sie als Trainer oder als Techniker arbeiten. Natürlich hat man ein gutes Netzwerk und einen guten Namen. Letzterer kann aber auch zur Belastung werden, wenn Kompetenzen fehlen.
Was machen Sie heute?
Ich habe vor sechs Jahren meine Agentur Innauer facts, gegründet und biete viele unterschiedliche Leistungen an. Der gemeinsame Nenner: Sport, Psychologie und Leistung. Zum Beispiel habe ich ein Mental-Trainingskonzept für das Schweizer Schiteam implementiert, ich berate im Tourismus wenn es um Sport und Bewegung geht, ich habe zwei Bücher geschrieben und bin internationaler Keynotspeaker in der Wirtschaft. Und ich bin auch Unternehmer. Ich bin Werbeträger und Gesellschafter bei der Firma eines Freundes, der das hochwertige und vegane Getränk IXSO produziert und unterstütze die Gemeinwohlökonomie. Mir ist wichtig, dass Hersteller, Mitarbeiter und Kunden von Produkten etwas haben. Auch die Einkommensschere soll nicht noch weiter auseinander gehen.
Als der Schiverband Anfang 2016 eine Frauenbeauftragte installiert fordern Sie einen Männerbeauftragten. Wieso?
Ja, ich habe – ohne Hoffnung auf Erfüllung – einen internationalen Männerbeauftragten gefordert, der das testosteronreichere Geschlecht vor sich selbst und seinen „hell of a ride“-Mythen schützt. Gefährlich ist es immer nur für die Fahrer. Gelebt und zelebriert wird der übersteigerte Männlichkeitswahn aber vom ganzen Umfeld. In der hochgefahrenen Stimmung scheint die verwegene Tollkühnheit der Rennfahrer auf alle Beteiligten überzuschwappen. Ergraute Funktionsträger und Zuschauer fühlen sich angesichts der kraftstrotzend dampfenden Abfahrer wie in einem Jungbrunnen der Männlichkeit. Das sind keine optimalen Voraussetzungen, um die Sicherheit der Athleten zu gewährleisten und wenn notwendig, unpopulär aber richtig zu entscheiden. Der Zwang, auf keinen Fall für ein Weichei gehalten zu werden und unter allen Umständen die Pose des kühnen Cowboys beibehalten zu müssen, spaltet Männer von ihrem Gefühl ab und lässt sie schlechte oder zu späte Entscheidungen treffen. Das gleicht gibt es ja auch in der Wirtschaft: Männer meinen Macher sein zu müssen, ihr Gefühl wegdrücken zu müssen, und einer fragwürdigen Sache dienen zu müssen. Dieses anstrengende Rollenbild beeinflusst unsere Gesellschaft nachhaltig schlecht.
Sie haben einmal gesagt: „Nicht das Leistungsprinzip verdirbt den Menschen sondern umgekehrt.“ Was läuft falsch?
Das ist ein geborgter Ausspruch von Hans Lenk, dem deutschen Olympiasieger im Rudern, der als Philosoph eine große Karriere gemacht hat. Das Leistungsprinzip ist kulturfördernd, aber es braucht klare Spielregeln, die geschätzt und geschützt werden. Ich verwende ganz bewusst das Wort „Leistungsgesellschaft“, nicht „Erfolgsgesellschaft“. Vieles ist erfolgreich, auch ohne Leistung. Leistung ist gut messbar und erspürbar. Und sie wird vielfach nicht gut honoriert. Viele Musiker üben unendlich lange und beherrschen Unglaubliches – sie müssten viel besser bezahlt sein. Wenn der Sport gut geregelt ist, und die Regeln exekutiert werden, kann man persönlich viel lernen und entwickeln. Der Sport wird immer schon für politische Zwecke ausgebeutet, wie man in Sotschi in Russland sehen konnte. Gewinnen wird zum gnadenlosen Erfolgsprinzip, nach dem Motto: „Nimm was du kannst, schau nur, dass man dich beim Bescheißen nicht erwischt.“ In der Wirtschaft läuft es in größeren Strukturen ähnlich.
Was braucht es, um faires Kämpfen zu stärken?
Prävention, Aufklärung kluge Kontrollen und sicher auch Strafen. Wesentlich ist aber auch die Kultur: dass junge Menschen lernen, dass Sport deutlich mehr ist als der Medaillenspiegel. Sport ist schön, auch wenn man nicht gewinnt. Sport besitzt über Konkurrenz hinaus eine geistige Dimension die zur persönlichen Reife beitragen kann. Sport auf Sieg und Niederlage zu reduzieren ist eine unzulässige Verrohung einer wunderbaren menschlichen Ausdrucksform.
Gepflegt gehören Respekt voreinander und einem gemeinsamen Wertekanon. Sportler sollen sich für die Einhaltung der Regeln einsetzen. Die Werte und saubere Sportler sind mit Sanktionen zu schützen. – ein Vergehen muss spürbar geahndet werden. Doping ist bagatellisierter Betrug. Es geht um viel Geld. Und es geht um Karrieren talentierter, ehrlicher Sportler, die nicht erfolgreich sein können, weil in Ausdauer- und Kraft-Sportarten die Chemie größere Effekte bring als Training.
Migration und Integration sind Dauerthemen in den Medien. Kann Sport hier etwas leisten?
Sport hat Kraft zur Integration. Das ist eine der ganz positiven gesellschaftlichen Erscheinungen. Solange es nicht um viel geht halten die Leute die Spielregeln ein. Der Syrer kann Fan vom selben Fußballclub sein, wie ein Türke, ein Österreicher oder ein Deutscher. Das sind Dinge, die verbindend sind. Von der UNESCO wird diese positive Kraft auch systematisch eingesetzt um in ehemaligen Krisengebieten die Kinder in Kontakt zu bringen. Sportliche Regeln sind leicht zu erklären, das Ergebnis schnell erlebbar. Und üblicherweise halten sich alle auch an die Regeln, weil ohne sie kein vernünftiges Spiel möglich ist. Natürlich hat das auch Grenzen. In Österreich sind MigrantInnen vor allem im Fußball und Kampfsport aktiv, aber nicht in den identitätsstiftenden Sportarten wie Schifahren. Da bräuchte es ein paar Leuchtturmprojekte.
Was macht Sie zufrieden?
Zufrieden bin ich, wenn ich die Zeit habe, gute Musik zu hören, ein Buch zu lesen. Ich bin ein pflichtbewusster Mensch, ich bin zufrieden, wenn ich die Agenda des Tages zum Großteil abgearbeitet habe. Ich bin begeisterter Fliegenfischer. Ich bin zufrieden, wenn ich Zeit an einem naturbelassenen Gewässer verbringen kann, wenn ich Teil der Natur sein kann, mit der Natur verschmelzen kann. Ich bin zufrieden, wenn ich mich neben den Bach lege und eine Stunde schlafe. Viele halten mich für überehrgeizig. Das bin ich nicht. Ich habe einfach eine Riesenfreude am Gelingen, an diesem Aha-Überraschungsmoment, wenn etwas besser als erwartet gelingt. Ich spiele Gitarre oder Golf und übe wochen- und monatelang – und nichts geht weiter. Plötzlich gelingt es. Das ist es.
Oder kürzlich sind meine Frau und ich vom Urlaub zurückgekommen. Ohne sich abzustimmen haben sich unsere drei erwachsenen Kinder gemeldet und wir sind gemeinsam Mittagessen gegangen. Es sind die einfachen Dinge, die zufrieden machen.
Österreich geht einer guten Zukunft entgegen, weil…
…ich Vertrauen habe, dass viele Menschen Eigenverantwortung übernehmen. Sie merken, dass nicht alles im Großen geregelt werden kann, dass man vor allem regional selber viel tun kann.
…wir auch erkennen werden, dass die Lebensqualität und Motivation, die wir haben, vom klugen und fairen Abgleich von Leistungsdenken und sozialen Errungenschaften abhängt.
… die Österreicher, kleine oder größere Krisen brauchen, um sich zu notwendigen Korrekturen und Veränderungen durchzuringen.
Das Interview führte: ROSWITHA M. REISINGER