Jetzt wird's heiß?
Alleine in den letzten 30 Jahren ist es in Österreich um knapp zwei Grad wärmer geworden. Je nachdem, wie wir handeln, könnten es ein paar Zehntelgrade mehr werden – oder bis zu fünf Grad.
Mein Name ist Emma. Ich bin sieben Jahre alt. Heute ist Samstag und ich muss nicht in die Schule. Gerade liege ich unter einem Ahornbaum. Im Schatten ist es schön kühl und ich kann den Ameisen zuschauen, die emsig über die Wurzeln und manchmal auch über meine Arme klettern. Zu Mittag hat es Kartoffeln gegeben, die ich besonders mag. Mit ganz viel Sauce, das ist wichtig. Die Kartoffeln, habe ich in der Schule gelernt, sind in den letzten 50 Jahren ein bisschen den Berg hinaufgewandert und wachsen jetzt lieber dort. Das finde ich lustig. Ich bin ja auch gern in den Bergen, besonders in den Ferien.
Im Sommer ist es nämlich oft wirklich heiß. So heiß, dass meine Oma drinnen bleibt, sich ein kaltes Fußbad hinstellt und ihre ganz große Wasserflasche herausholt. Die Oma ist nämlich stur und will keine Klimaanlage. Viel lieber diskutiert sie im Bürger*innenrat, wo im neuen Ortsteil noch mehr Grün hingehört. Da wird sie ihre überschüssige Hitze schon los, sagt sie. Die Oma ist nämlich mit ihren Eltern schon auf Demonstrationen gegangen und hat ganz und gar nicht vor, mit dem Mitbestimmen aufzuhören. Als die Oma noch jünger war, sind fast alle Korallen verschwunden und überhaupt ganz viel, das schön ist. Und wichtig, sagt die Oma. Wenn ich ihr im Garten mit dem Wacholder und dem Lavendel helfe, erzählt sie mir manchmal davon, wie sie es geschafft haben und die Welt damit aufgehört hat, Kohle und Öl zu verbrennen und Plastik in die Meere zu schmeißen.
Das Jahr, in dem ich geboren wurde, war das erste, in dem die Menschen gar keine Treibhausgase mehr ausgestoßen haben. Deshalb gibt es noch Schnee in den Alpen und deshalb werden die Korallen wieder wachsen. Und deshalb habe ich auch einen schönen Schulweg. Viel gibt es an jeder Ecke zu entdecken, denn ich weiß genau, wo die schönen Käfer leben und wo welche Pflanze ihr Zuhause hat. Ich mag die Pflastersteine, in deren Fugen das Wasser in den Boden rinnen kann und über die es sich so gut springt. Ich mag es, wenn der Zierlauch seine magischen Blütenkugeln öffnet. Und ich mag die Schattenmuster, die die Bäume auf den Boden zeichnen.
Die Erde ist wärmer geworden, aber – so sagt die Oma – wir haben die Kurve gekratzt.
FAKTEN
Im Vergleich zu 1900 ist die Temperatur weltweit um 1,8 Grad Celsius gestiegen. Waren es 2020 noch drei von zehn Jahren, die ungewöhnlich heiß waren, sind es nun fünf. In einer Dekade sind zwei Jahre extrem trocken, zwei weitere extrem regenreich. Schnee bleibt über 3.500 Metern ganzjährig liegen – etwa 200 Meter höher als heute. Auch die Baumgrenze ist 300 Meter nach oben gewandert.
Dieses Szenario entspricht dem Repräsentativen Konzentrationspfad (RCP) 2.6. Darin gelingt es uns, unsere Treibhausgasemissionen ab heute zu reduzieren, sie bis 2050 zu halbieren und 2080 Klimaneutralität erreichen. 2100 liegt die Treibhausgaskonzentration bei 400 ppm. Damit dieses Szenario Wirklichkeit wird, ist entschlossenes Handeln auf allen Ebenen und in allen Sektoren notwendig – weltweit.
Repräsentative Konzentrationspfade (RCP) werden seit dem fünften Bericht des Weltklimarats zur Beschreibung von Klimaszenarien genutzt. Sie beschreiben den Strahlungsantrieb der Treibhauskonzentrationen im Jahr 2100 – wie viel die Treibhausgase zur Klimaänderung beitragen. Beim RCP 4.5 kommt es beispielsweise zu einem Strahlungsantrieb von 4,5 Watt pro Quadratmeter, von dem der Temperaturanstieg sowie weitere Parameter abgeleitet werden können.
Ich habe eine lange Reise hinter mir – mitten aus Afrika an die Mittelmeerküste, über Frankreich und die Schweiz nach Österreich. Fast drei Wochen hat meine Reise gedauert. Meine Vorfahren haben sich ähnliche Routen gesucht, aber sie sind selten bis hierher gekommen. Meist sind sie in Italien, Spanien oder Frankreich geblieben. Andere hat es bis ans Schwarze Meer verschlagen, nach Odessa oder Tiflis, manche haben sogar die Sonne im kaspischen Meer untergehen sehen. Heute kommen viele von uns hierher oder ziehen weiter in den Norden und Westen, nach Deutschland, England und Schweden, auf der Suche nach einem besseren Klima und einem Ort, an dem wir unsere Kinder großziehen können.
Gestern habe ich auf einem Ausflug ein Mädchen und eine alte Frau getroffen. Ich hatte gerade ein schönes Plätzchen gefunden, da habe ich sie ein paar Meter entfernt sitzen sehen. Sie haben mich auch gesehen und waren sofort ganz still. Also bin ich auch ganz ruhig sitzen geblieben. Sie haben mich gar nicht aus den Augen gelassen. Ob sie Fremde, vor allem so bunte wie mich, nicht mögen? Doch dann hat die alte Frau dem Mädchen meinen Namen gesagt: „Ein Bienenfresser.“
Stolz habe ich mein Gefieder aufgeplustert. „Im Winter lebt er in Afrika, aber im Sommer kommt er zu uns“, hat die alte Frau erklärt. „Als ich ein Kind war, gab es ihn bei uns noch nicht so oft, aber jetzt wo es wärmer ist, gefällt es ihm hier besser.“ Da hat sie recht. Zwischen Olivenhainen und Feigenbäumen liegen offene Landschaften, die ich liebe. Dieses Jahr habe ich eine wunderbare Sandgrube für mein Nest gefunden.
Meine Nachbarn, die Sperlinge, nehmen gerade mitten vor meiner Haustür ein Staubbad und zwitschern über das Wetter. Ob eine Regenflut kommt und all dies in einen zähen Sumpf verwandelt? Oder ein später Frost? Eine alte Legende sagt, dass Väterchen Frost früher drei Mal so oft gekommen sei, aber dafür kam er nur zu seiner Zeit. Jetzt ist er oft spät dran, das mache ihn wütend. Deshalb beißt er den Pflanzen ihre Triebe und Knospen ab und lässt mich hungrig gehen. Denn auch die Bienen, Wespen, Hummeln und Käfer, die mir schmecken, mögen den Frost nicht.
Auf meinem Weg bin ich auch über Felder geflogen, auf denen sich nichts rührt. Das hat mich nachdenklich gestimmt. Die Menschen lassen ihr großes Maschinentier, das Gift atmet, immer öfter über die Felder laufen. In manchen Jahren nehmen sie so viel Wasser aus den Flüssen, dass andernorts alles verdorrt. Ob ich im nächsten Jahr auch weiter nach Norden ziehen sollte?
FAKTEN
Im Vergleich zu 1900 ist die Temperatur weltweit um 2,7 Grad Celsius gestiegen – in Österreich um 3,3 Grad. Von zehn Jahren sind sieben Jahre extrem heiß, in jeweils zwei bis drei Jahren gibt es extremen Niederschlag oder extreme Trockenheit. Der Frühling beginnt rund 20 Tage früher als noch 2000. Dieses Szenario entspricht dem Repräsentativen Konzentrationspfad (RCP) 4.5.
Damit dieses Szenario Wirklichkeit wird, gelingt einigen Sektoren schon bald die nachhaltige Wende. Klimagasemissionen bekommen einen Preis. Aufforstungsprojekte sowie die Rückgewinnung von CO2 stabilisieren die Treibhausgaskonzentration. 2040 erreichen wir den Höhepunkt unserer Treibhausgasemissionen und halbieren diese bis 2100. Die Treibhausgaskonzentration liegt 2100 bei 650 ppm. Im Laufe des 22. Jahrhunderts erreichen wir Klimaneutralität, bis 2300 sinkt die Temperatur daraufhin um ein halbes Grad.
Wann wird es uns zu heiß?
Wie belastend Hitze für den Menschen ist, hängt von der Luftfeuchtigkeit ab. Ist die Luft sehr feucht, kann es schon ab 23 Grad Celsius belastend sein, während es bei trockner Luft ruhig vier Grad mehr sein dürfen. Gefährlich werden Temperaturen über 32 Grad Celsius bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit oder über 45 Grad Celsius bei sehr niedriger Luftfeuchtigkeit, wenn Menschen diesen über längere Zeit ausgesetzt sind.
Lieber würde ich unter einer Palme auf der Alm liegen und eine Feige aus Niederösterreich essen! Das denkt sich der junge Mann wohl, als er gegenüber aus dem Haus tritt. Verwunderlich, dass er um diese Zeit überhaupt hinausgeht. Die Luft flimmert über dem Asphalt, die Zunge klebt am Gaumen, niemand ist unterwegs. Ich schaue dem Mann nach, auf den Staub an seinen Hosenbeinen und das Hemd, das schon nach ein paar Metern an seinem Rücken festklebt. Die heiße Luft ist ein schweres Gewicht, das sich auf seine Schultern legt. Eine Straße weiter wird er eine Person finden, die auf der Straße zusammengebrochen ist. Er wird beim Hitzetelefon anrufen und den Standort durchgeben. Er wird nicht stehenbleiben. Sonst müssten sie ja gleich noch jemanden schicken. Vernünftige Menschen machen jetzt Siesta oder bleiben in gekühlten Räumlichkeiten. Alle, die können, haben sich schon vor Wochen in die Sommerfrische verabschiedet. Wien, die Betonwüste, grummeln die Zurückgebliebenen. Zwei Wochen mit knapp 40 Grad, das ist eigentlich noch gar nichts. „Wien darf nicht Skopie werden!“, erinnere ich mich an ein Wahlposter aus den 2030er-Jahren, als das letzte Mal entschlossenes Handeln gegen die Klimakrise gefordert wurde. Aber alle haben so weitergemacht wie bisher, halbherzige Versprechungen abgegeben oder gleich Scheuklappen aufgesetzt.
Eine Werbung gegenüber preist einzigartige Erlebnisse rund um die Welt aus: „Hanoi – eine Reise in ein Klima, das es nie zuvor gegeben hat. Gehen Sie an Ihr Limit!“ Als ob wir unser Limit nicht tagtäglich spüren könnten. Der Bildschirm flackert. Wo der junge Mann wohl Urlaub macht? Vielleicht wandert er gerne? Im Sommer in den Bergen, im Herbst durch die Steppe im Norden von Niederösterreich? Dort soll es tolle Ausflüge geben. Oder er fährt nach Amsterdam. Gestern hat die Werbung noch Glasboden-Bootsfahrten zu den schönsten Unterwasserlandschaften rund um die kleine Insel versprochen.
Das alles kann ich mir kaum vorstellen. Ich bin immer hier. Ich höre den Leuten zu, wenn sie sich abends in meinem Schatten niederlassen. Als ich jung war – ich bin Anfang der 2030er-Jahre gepflanzt worden – haben sie über den amerikanischen Corn Belt gesprochen, in dem kein Mais mehr wachsen möchte, über die Trockenheit in der Türkei, in Texas, Kenia und Indien, über Russland und seine neuen Agrarflächen. Und über Unruhen, Kriege und Flüchtlinge.
In den letzten Jahren ist es ruhiger geworden. Nicht nur bei den Menschen, auch bei den Vögeln und Insekten wird es immer ein klein wenig stiller. Unheimlich ist das. Ich recke meine Zweige, ganz oben geht eine leichte Brise. Meine Wurzeln tasten nach Wasser. Wie die Welt wohl ohne Menschen aussehen wird?
FAKTEN
Im Vergleich zu 1900 ist die Temperatur weltweit um 4,4 Grad Celsius gestiegen – in Österreich um etwa 5 Grad. Praktisch jedes Jahr ist ein Jahr mit extremer Hitze. Vier sind extrem trocken, in drei kommt es zu extremen Niederschlägen. Schneekappen gibt es kaum noch – denn erst ab knapp 4.000 Metern Seehöhe liegt ganzjährig Schnee. Auch die Baumgrenze ist circa 1.000 Meter höher gewandert, auf 2.800 Meter Seehöhe. Der Frühling beginnt um fast 40 Tage früher und es gibt nur noch halb so viele Tage mit Frost in Österreich. Das Klima in London entspricht dem heutigen Klima von Florenz.
Alles nur ausgedacht? Nein!
Diese Szenarien sind zwar frei erfunden, aber nicht aus der Luft gegriffen. Sie basieren auf echten Daten, wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Expert*innengesprächen. Dass es so unterschiedliche Szenarien gibt, liegt nicht an der Unschärfe der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Klimaforschung erfasst die Situation äußerst präzise, jedoch kann sie nicht vorhersehen, wie wir Menschen uns verhalten werden. Machen wir weiter wie bisher oder kratzen wir die Kurve?
Michaela R. Reisinger
Illustration: Aleksandr Durnov, iStock