Neue Regierung, neue Zukunft?
Die Regierung steht - und mit ihr das neue Regierungsprogramm. Das sagen ARCHE NOAH, Attac, ETÖ, Foodwatch, WWF und Kontext-Institut zu den Plänen.
Die künftige Regierungskoalition hat ihr Programm vorgestellt. Nachhaltig oder nicht nachhaltig, ist die Frage. Das sagen sechs verschiedene Perspektiven über das Programm:
ARCHE NOAH: Ernährung der Zukunft braucht starke Umwelt- und Klimapolitik
Umwelt und Klima dürfe nicht unter die Räder der Agrarindustrie geraten, sagt die ARCHE NOAH.
In der neuen Bundesregierung werden die Agenden Land- und Forstwirtschaft, Klima und Umwelt in einem Ministerium gebündelt – dem Vernehmen nach weiterhin unter dem bisherigen Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig. „Wir sind besorgt, dass die neue Bundesregierung Umwelt- und Klimapolitik den Interessen einer althergebrachten Landwirtschaftspolitik unterordnen wird“, sagt Katherine Dolan, Expertin für Saatgutpolitik bei ARCHE NOAH.
Ambitionierte Maßnahmen zum Schutz von Klima, Biodiversität und Boden sind für unsere Landwirtschaft überlebenswichtig, auch wenn sie Veränderungsbereitschaft erfordern. ARCHE NOAH begrüßt daher die Bekenntnisse der neuen Bundesregierung zum Biodiversitätsfonds, zur Stärkung von Alternativkulturen und der biologischen Saatgutzüchtung sowie gegen Saatgut-Patente. Eine große Lücke ist jedoch das fehlende Bekenntnis zu einem vielfaltsfreundlichen Saatgutrecht, das derzeit in Brüssel verhandelt wird.
Attac: Beitrag der Reichsten fehlt
Keine Vermögensteuer, keine Erbschaftsteuer, keine faire Besteuerung von Kapitalgewinnen: „Ohne Beitrag der Reichsten verzichten wir auf Milliarden für den dringend nötigen klimasozialen Umbau der Wirtschaft. Zudem erleben wir täglich, wie die Reichsten weltweit die Demokratie angreifen. Dennoch unternimmt die kommende Regierung nichts, um der wachsenden Vermögenskonzentration etwas entgegenzusetzen“, kritisiert Lena Gerdes, Vorstandsmitglied von Attac Österreich. Attac begrüßt die angekündigte Ausweitung der Bankenabgabe, diese sei jedoch kein Ersatz für eine progressive Besteuerung aller Unternehmensgewinne. „Wer mehr hat, soll mehr beitragen. Dieses Prinzip ist bei Löhnen selbstverständlich und sollte auch für Unternehmen gelten“, fordert Gerdes.
Beim Thema Energiepreise erwähnt das Programm Unterstützungsmaßnahmen für Einkommensschwache, konkrete Schritte für einen grundlegenden sozialen und ökologischen Umbau des Energiesystems würden aber fehlen. Die Energieversorger müssen zu gemeinnützigen Zielen verpflichtet werden, fordert Attac.
Enkerltaugliches Österreich: Erfolg für Bio-Beschaffung!
foodwatch: Fortschritte aber auch Versäumnisse
foodwatch sieht konkrete Fortschritte am Weg zu sicheren, gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln für die Menschen in Österreich: so soll die Einführung der Nährwertkennzeichnung Nutri-Score ermöglicht werden, was die Transparenz erhöhe - allerdings auf freiwilliger Basis, was ein Schlupfloch für die Lebensmittelindustrie darstelle. Auch sollen Konsument*innen künftig klar über geschrumpfte Inhalte bei gleichbleibendem Preis oder Verpackungsgröße informiert werden - eine Maßnahme gegen „Shrinkflation”. Zwei Kernforderungen von foodwatch sind somit im Arbeitsprogramm für die kommenden fünf Jahre berücksichtigt.
Enttäuschend sei indes das Fehlen einer breitenwirksamen Förderung gesünderer Ernährung - eine Senkung der Umsatzsteuer auf Obst und Gemüse um gesunde Ernährung leistbarer machen und
Steuer auf süße Getränke würde foodwatch hier als sinnvoll erachten. Auch beim Thema Kindermarketing bleibt die Regierung zögerlich. Lediglich eine unverbindliche „Prüfung von Maßnahmen” wird erwähnt, obwohl sich Expert*innen seit langem einig wären, dass es ein umfassendes Verbot braucht, Kinder gezielt mit überzuckerten und fettreichen Produkten anzusprechen.
Kontext Institut: Klimapolitik mit richtige Absichten, aber lückenhaft
Die Herausforderungen sind groß: strukturelle Wirtschaftskrise, Budgetdefizit, Klimaziele 2030. In dieser Hinsicht sei es positiv, dass sich die kommende Regierung zu den EU-Klimazielen bekennt und die notwendige Emissionsreduktion mit einem Klimagesetz rechtlich verbindlich machen will. Das ist das Fazit von KONTEXT-Vorständin Katharina Rogenhofer:
Beim Ausbau der erneuerbaren Energien kommen konkrete wichtige Maßnahmen und Gesetze, wie das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) und das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG). Beim Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen im Bestand, der Förderung von Zukunftstechnologien und der Industrietransformation bleibt das Programm hingegen vage: so wird der Ausstieg aus Ölheizungen sowie wichtige Zukunftstechnologien wie Speichertechnologien oder Technologien zur Elektrifizierung der Industrie nicht explizit erwähnt, ein Erneuerbaren-Wärme-Gesetz wäre notwedig, viele Zeitpläne bleiben offen und der Fokus auf marktreife Technologien für die Transformation fehlt. Auch ein klares Bekenntnis, dass CO2-Speicherung immer nur als letzter Hebel, nicht jedoch anstelle von CO2-Reduktion verwendet werden muss fehle.
Auch wann die Reformen klimaschädlicher Subventionen kommen und wie sie aussehen sollen, bleibe offen. Allein mit der Reform von Pendlerförderung, Dienstwagenprivileg und Dieselprotektionismus könnte der Staatshaushalt jährlich um über einer Milliarde Euro entlastet werden. Eine Lose-Lose Maßnahme für Klima und Wirtschaft sind dagegen die angekündigten Kürzungen von Umweltförderungen, etwa für Heizungstausch. Diese verzögern nicht nur die Emissionsreduktion, sondern schaden auch der heimischen Wirtschaft.
Unter dem Schlagwort "Technologieoffenheit" brächte die neue Regierung im Bereich Mobilität
ineffiziente Technologien zurück in eine geklärte Debatte. Der Fokus müsse klar auf die Elektrifizierung und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs gesetzt werden - für letzteres fehle es an konkreten Zielen und Plänen. Die Beibehaltung eines leistbaren Klimatickets sei positiv.
Bezüglich Kreislaufwirtschaft stelle das Regierungsprogramm wichtige Maßnahmen in Aussicht. Gesetze und Vorschriften, die zirkuläre Geschäftspraktiken behindern, sollen reformiert werden, zum Beispiel im Abfallrecht. Das ist zentral, um Abfälle als Sekundärrohstoffe weiterverarbeiten zu können und auch die Abhängigkeiten von anderen Ländern zu reduzieren.
Die detaillierte Analyse des Regierungsprogramm gibt es hier zum Download.
WWF: Große Würfe fehlen
“Das Arbeitsprogramm enthält einige positive Ansätze, aber auch viele Schwächen, Lücken und Widersprüche. Insgesamt wird es der Dringlichkeit der Klima- und Biodiversitätskrise nicht gerecht. Das geht deutlich besser, konkreter und verbindlicher”, analysiert WWF-Programmleiterin Hanna Simons das neue Regierungsprogramm. Kritisch sei zudem das parteipolitisch motivierte Spalten des bewährten Klimaschutzministeriums in drei Ressorts. “Die neue Konstellation hilft potenziell jenen Kräften, die umweltpolitische Fortschritte schwächen oder abdrehen wollen”, befürchtet Simons.
Kritisch sieht der WWF die geplanten Rückschritte beim Klimaschutz-Budget, die Beibeh
altung umweltschädlicher Subventionen und das Bekenntnis zu teuren Großprojekten im Straßenbau. Positive Signale lägen in der EU-Renaturierungsverordnung, dem Erhalt des Biodiversitätsfonds, dem Aufbau eines Biodiversitäts-Monitoring-Zentrums beim Umweltbundesamt, im neuen Anlauf für ein Klimaschutzgesetz und im Ziel, den Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu reduzieren. Der WWF begrüßt darüber hinaus das Versprechen den Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans (NGP) verstärkt umzusetzen und den ökologischen Gewässerschutze insbesondere bei Flüssen und Bächen "ausreichend zu finanzieren". Das schaffe wertvolle Lebensräume für bedrohte Arten und schütze uns alle besser vor den Folgen der Klimakrise.
