Panama Papers: Parallelgesellschaften der Zukunft
"Während wir vor religiösen Paralellgesellschaften warnen, setzen sich Mächtige und Einflussreiche über Rechtsstaatlichkeit hinweg", sagt der Zukunftsforscher Eike Wenzel. Eine wirklich bedrohliche Parallelgesellschaft gehe von Präsidenten und Advokaten, von Topmanagern und Torschützenkönigen aus, die auf Steuermoral pfeifen. Drei Fragen an Eike Wenzel.
Welcher Megatrend zeigt sich im Zusammenhang mit den „Panama Papers?
Eike Wenzel: Ganz deutlich zeigt sich hier der Megatrend zu einer multipolaren Weltordnung, in der wir lernen müssen, mit hochkomplexen und häufig gut verdeckten Machtkonstellationen umzugehen. Diese Tendenz wird sich fortsetzen. Seit Sonntag wissen wir, dass diese multipolare Welt einen finanzwirtschaftlichen Darkroom hat. Wir müssen lernen, dass sich ein Paralleluniversum gebildet hat, in dem Geschäftsleute und Player des politischen Systems ihre ganz individuelle Realität schaffen und nach stramm egoistischen Maximen agieren. Wir empfinden das als zynisch, die empfinden das als normal und absolut rechtens.
Was bedeutet das im Umkehrschluss für unsere Gesellschaft und deren demokratische Kultur, auf die wir so stolz sind?
Eike Wenzel: Der moralische Bankrott der Mächtigen und Bildschirmpersön-lichkeiten von Assad bis Messi ist jetzt manifest. Während die Öffentlichkeit über das Schwinden der Bindungskräfte unserer Institutionen und Gesellschafts-systeme debattiert, offenbaren Politiker und die anderen Aushängeschilder dieser Gesellschaft, mit welcher asozialen Rücksichtslosigkeit sie ihre Gier zu befriedigen verstehen. Putinfreunde und -feinde, der ukrainische Staats-präsident ebenso wie der König von Saudi-Arabien, die korrupte FIFA und der argentinische Staatspräsident, Börsianer und Bordellbesitzer – alle benutzen die schmuddeligen Hinterzimmer der Briefkastenfirmen. Während wir vor religiös-ethnischen Parallelgesellschaften in Molenbeek, den Pariser Banlieus oder in Berlin am Cottbusser Tor warnen, setzen sich die internationalen Leistungsträger gewissenlos über Rechtstaatlichkeit hinweg.
Was kann man diesen Entwicklungen entgegensetzen?
Eike Wenzel: Bis vor kurzem hatten wir gedacht, die FIFA sei ein ziemlich singulärer Tatbestand – jetzt stellen wir fest: es hat eine FIFA-risierung unserer Welt stattgefunden. Es wird darauf ankommen, Institutionen zu schaffen, die diese pervertierten Formen der weltumspannenden Korruption durchschauen, bestrafen und nachhaltig verhindern. In der größten Krise besteht immer auch die Chance zur Erneuerung: Unsere multipolare Welt braucht neue Institutionen, neue Formen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Teilhabe muss über digitale Prozesse neugestaltet, Transparenz kann durch ressort- und länderübergreifende Kollaboration auf neue Weise sichergestellt werden. Ab jetzt wird jeder weltgesellschaftliche „Event“, vom Wirtschaftsgipfel in Davos bis zur UNO in New York, den Stachel des Zweifels und des Misstrauens ins sich tragen. Die Weltgesellschaft muss in die Familientherapie. Das kann aber auch die Voraussetzung für einen Neuanfang in unserer multipolaren Welt sein.
Dr. Eike Wenzel, der Gründer und Leiter des Instituts für Zukunftsforschung (ITZ) in Heidelberg, zählt zu den renommiertesten Trend- und Zukunftsforschern Deutschlands. Er ist Herausgeber des monatlich erscheinenden MEGATRENDS!-Letters.