Wie die Luftfahrt sauber werden will
Weltweit werden alternative Treibstoffe aus Biomasse und CO2-Kompensation als Schlüssel für eine emissionsfreie Luftfahrt gehandelt. Auch der Flughafen Wien baut Österreichs größte Photovoltaikanlage und wird dafür als erster Green Airport Europas gefeiert. Greenwashing oder ein Schritt in die richtige Richtung?
„Ein Meilenstein für den heimischen Klimaschutz“ beschreibt der Flughafen Wien sein groß angelegtes Klimaschutz-Projekt. Mit 55.000 Solarpanelen auf 24 Hektar Land nimmt das Unternehmen im Sommer 2022 Österreichs größte Photovoltaikanlage in Betrieb. 30 Prozent des Jahresstromverbrauchs sollen so durch Solarstrom gedeckt werden, die Anlage wird von Politik und Industrie als Pionierprojekt des „ersten Green Airports Europas“ gesehen. Und die Lobeshymnen gehen noch weiter: Auch CO2-neutrales Fliegen soll mithilfe von „Sustainable Aviation Fuels“ von hier aus möglich sein. Das behauptet zumindest die Fluggesellschaft Austrian Airlines. Eine Behauptung, für die das Unternehmen bereits im Juli 2022 eine Rüge des Österreichischen Werberats bekommen hat. „CO2-neutrales Fliegen“ sei ein irreführendes Werbeversprechen und müsse in Zeiten der Klimakrise sensibler kommuniziert werden.
15 % DES VORHANDENEN KOHLENSTOFFBUDGETS WIRD DER FLUGSEKTOR BIS 2050 VERBRAUCHEN
Nicht nur das, grünes Fliegen sei ein absichtlich platzierter Marketing-Gag, sagt Mira Kapfinger, Mitbegründerin und Koordinatorin des Netzwerks Stay Grounded. „Der Flughafen Wien lenkt von Klimaproblemen ab, indem er davon erzählt, in Zukunft klimafreundliches Fliegen anzubieten. Dabei konzentriert er sich auf seine Gebäude-Emissionen, während er in seinem Kerngeschäft – dem Fliegen – weiteres Wachstum plant.“ Bis 2050 soll sich die Zahl der Flüge sogar verdreifachen. Dabei haben sich Fluggesellschaften weltweit erst im Oktober darauf geeinigt, bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen, verkündet die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO in einer Pressemitteilung. Das soll durch CO2-Kompensation und nachhaltigere Alternativen zum fossilen Kerosin möglich sein.
Doch wie passen die dramatische Senkung der Emissionen bis netto Null mit dem steilen Wachstumspfad der Flugindustrie zusammen? Können wir mit Technologie alleine die Luftfahrt sauber gestalten und kann es überhaupt so etwas wie emissionsfreies Fliegen geben?
Ein weiter Weg bis netto Null
Bisherige Bemühungen reichen kaum aus, die gesetzten Ziele zur Klimaneutralität zu erreichen. Zielvorgaben des Branchenverbands IATA (International Air Transport Association), aber auch internationale Abkommen wie CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) sind dafür zu unverbindlich, unrealistisch und voller Schlupflöcher, sagt Kapfinger: „Länder werden zum Beispiel nicht dazu verpflichtet, Reduktionsziele vorzulegen.“
Besonders das Abkommen CORSIA sei problematisch. Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) kritisiert den Fokus auf CO2-neutrales Wachstum: Die Klimaeffekte anderer Flugemissionen blieben unberücksichtigt, obwohl diese teilweise doppelt so schädlich sind. Weiters setzt das Abkommen auf Innovationen im Bereich der Kerosin-Substitute: „Sustainable Aviation Fuels“ sollen das Fliegen umweltfreundlicher machen. Ziele zum Einsatz dieser alternativen Kraftstoffe werden aber weit verfehlt: Alternative Treibstoffe sollten 2020 bereits sechs Prozent des gesamten Treibstoffverbrauchs im Flugverkehr ausmachen. Tatsächlich liegen die Werte noch heute bei 0,01 Prozent.
Der Flughafen Wien lenkt von Klimaproblemen ab, indem er davon erzählt, in Zukunft klimafreundliches Fliegen anzubieten.
Mira Kapfinger, Mitbegründerin und Koordinatorin des Netzwerks Stay Grounded
Agrartreibstoffe: Antrieb für die globale Ungerechtigkeit
Große Hoffnungsträger sind Agrartreibstoffe, die zum Beispiel aus Sojabohnen-, Palm-, Raps- oder Pongamia-Öl hergestellt werden und fossiles Kerosin schrittweise ersetzen sollen. Eine neue Fallstudie von Stay Grounded wirft allerdings ein unschönes Licht auf die Produktion dieser Treibstoffe: Sie zerstöre durch die angelegten Plantagen in Paraguay Ökosysteme und vertreibe indigene Menschen. „Diese Plantagen werden in Ländern geplant, in denen selbst kaum geflogen wird“, erklärt Kapfinger, die Mitherausgeberin der Studie ist, einen weiteren Kritikpunkt. Die Produktion baue auf Ausbeutung, um Treibstoff für unsere Flugzeuge anstatt Nahrung für die Menschen herzustellen.
Auch die Verfügbarkeit von Land ist ein Problem der Agrartreibstoffe: Bereits zehn Prozent des global geernteten Getreides wird zu Treibstoffen verarbeitet. Dabei führen Klimakrise und Ukrainekrieg aktuell vermehrt zu Lebensmittelknappheit und explodierenden Preisen. Forschende weltweit sind sich einig: Dies ließe sich ausgleichen, wenn wir Flächen nicht mehr für die Treibstoff-, sondern für die Lebensmittelproduktion nutzen würden. Zudem kommen immer mehr Studien zu dem Schluss, dass die Produktion von Agrartreibstoffen sogar zu mehr Emissionen und massiven Biodiversitätsverlusten führt.
UM 33 % SIND DIE EMISSIONEN DURCH PASSAGIERFLÜGE ZWISCHEN 2013 UND 2019 GESTIGEN
Eine Frage der Skalierung: Treibstoffe aus Reststoffen und E-Fuels
Schlachtabfälle, Tier- und Bratfett aus Großküchen: Diese Reststoffe werden zu Treibstoffen weiterverarbeitet. Umweltbedenken gibt es dabei kaum. Sie sind auf keine limitierten Primärrohstoffe angewiesen und ihre Verbrennung ist weniger klimaschädlich als die von fossilem Kerosin. Allerdings wird in Europa mehr als die Hälfte des Altöls aus China importiert und der fertige Mix zur Hälfte mit Palmöl gestreckt. Mit Altöl alleine ließe sich das aktuelle Flugaufkommen nämlich kaum decken, sagt Kapfinger: „Wir sehen zudem, dass ein erhöhter Einsatz von Altölen für Agrartreibstoffe zu einer höheren Produktion von Palmöl führt.“
Auch Electrofuels sind kein verlässlicher Dekarbonisierungspfad für die Luftfahrt. Sie sind nur dann sinnvoll, wenn die Energie aus erneuerbaren Quellen wie Solar- oder Windkraft kommt. Das würde einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien und eine rapide Mobilitätswende voraussetzen. „In der Energiewende brauchen wir erneuerbare Energie in ganz vielen Sektoren. Und da wird es immer effizienter sein, diese Energie für Verkehr am Boden einzusetzen, als in der Luft“, erklärt die Expertin.
CO2-Kompensation in der Flugindustrie
Die Idee hinter CO2-Offsets ist simpel: Zusätzliche Emissionen im Flugverkehr sollen durch zusätzliche Klimaschutzprojekte ausgeglichen werden. Dabei handelt es sich häufig um Waldschutz-Initiativen, da Wälder in ihrer natürlichen Funktion CO2 aus der Atmosphäre holen und es im Boden speichern. Viele Industrien sehen darin einen wichtigen Schlüssel zur Klimaneutralität, vor allem weil es für sie ein maßloses Emittieren und business as usual legitimiert. Tatsächlich eignen sich Kompensationsmaßnahmen nur für einen sehr geringen Teil ausgestoßener Unternehmensemissionen, der Großteil muss durch Reduktionspfade eingespart werden.
Ein Privileg von wenigen: Eine Minderheit ist für den enormen Emissions-Anstieg der letzten Jahrzehnte verantwortlich.
Auch Passagier*innen der Austrian Airlines können durch einen kleinen Aufpreis ein Offset-Projekt unterstützen. Damit könne man aber auch schwere Schäden anrichten, sagt Kapfinger, denn diese Projekte haben oft ungewünschte soziale Folgen: „Eines der Projekte von AUA-Partner ClimateAustria liegt in der Demokratischen Republik Kongo. Ein US-Konzern hat dort die Konzessionen für ein Waldgebiet gekauft und behauptet nun, es unter Schutz zu stellen. Dabei ist die großflächige Abholzung des Waldes national ohnehin untersagt. Was der Konzern aber verhindert ist, dass Menschen in den anliegenden Dörfern den Wald als Ressource nutzen dürfen.“
Grüner Anstrich für ein fossiles Riesenprojekt
Eine Photovoltaikanlage, CO2-Kompensationen oder alternative Treibstoffe werden die Emissionen aus dem Flugverkehr nicht auf netto Null holen. Bis 2040 wird mit einer Verdoppelung des Fluggastaufkommens gerechnet. Dieses Wachstum könne durch Effizienzsteigerungen oder technologischen Verbesserungen an den Flugzeugen nicht ausgeglichen werden, resümiert der VCÖ. Von ihm kommt auch das vernichtende Urteil: „Ein weiterwachsender Flugverkehr hat mit den derzeitigen Maßnahmen keine Chance, die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2050 auf Null zu senken und damit das Pariser Klimaabkommen einzuhalten.“
Egal welche Technologie im Fokus der Fluggesellschaften steht: Fliegen ist enorm energieintensiv. Alternative Treibstoffe machen nach wie vor einen verschwindend kleinen Anteil im Gesamtmix aus und ihre Produktion hat weltweit soziale und ökologische Auswirkungen. „Egal, ob E-Fuels oder Agrartreibstoffe: Ihre Produktion braucht entweder Land oder Energie – und beides ist nur begrenzt verfügbar“, sagt Kapfinger.
Stattdessen brauche es Reduktionspfade: Politische Maßnahmen wie eine Ticketsteuer für Vielflieger, ein Ende von Kurzstreckenflügen und den Ausbau von Bodenverbindungen. „Grünes Fliegen ist eine Illusion“, schließt Mira Kapfinger. „Das grüne Flugzeug ist das, das nicht abhebt.“
WAS BEDEUTET:
K L I M A N E U T R A L I T Ä T
Klimaneutral sind Prozesse, Unternehmen oder Aktivitäten, wenn sie keinen Einfluss auf das Klimasystem haben. Emissionen auf „netto Null“ zu bekommen bedeutet, der Atmosphäre menschengemachte Emissionen zu gleichen Teilen wieder zu entziehen.K O H L E N S T O F F B U D G E T
Das Kohlenstoffbudget bezeichnet die Gesamtmenge an CO2 aus anthropogenen Quellen, die emittiert werden darf, bis eine definierte Grenze erreicht wird. Schätzungen des Weltklimarats aus dem Jahr 2020 gehen davon aus, dass wir global noch 400 Gigatonnen CO2 emittieren dürfen, bis das 1,5°C-Ziel überschritten ist.
Quellen:
Grebenjak et al. (2022): Kurswechsel Klimagerechtigkeit. Klimakommunikation für eine sichere Landung des Flugverkehrs und einen gerechten Planeten. Stay Grounded / Kollektiv Periskop, Wien, Österreich. S. 13-23
Franceschelli, I. et al. (2022): Producing fuel for other people’s planes. A case study on the Omega Green Biofuel refinery in Paraguay. HENOI, Stay Grounded, Biofuelwatch, Global Forest Coalition. URL: https://stay-grounded.org/wp-content/uploads/2022/03/EN_agrofuels_case-study_2022.pdf (zuletzt aufgerufen am 30.10.22)
VCÖ (2020): Klimafaktor Reisen. VCÖ Schriftreihe „Mobilität mit Zukunft“. VCÖ, Wien, Österreich. S. 19
VCÖ (2020): Klimakrise nur mit wenig Flugverkehr zu bewältigen: Factsheet. VCÖ, Wien, Österreich. URL: https://vcoe.at/files/vcoe/uploads/News/VCOe-Factsheets/2020/2020-05%20Flugverkehr/VC%C3%96-Factsheet%20Klimakrise%20nur%20mit%20wenig%20Flugverkehr%20zu%20bew%C3%A4ltigen.pdf (zuletzt aufgerufen am 30.10.22)
Le Page, M. (14.03.2022): Cutting Biofuels can help avoid global food shock from Ukraine war. In: New Scientist, Issue 3378. URL: https://www.newscientist.com/article/2312151-cutting-biofuels-can-help-avoid-global-food-shock-from-ukraine-war/#ixzz7NcQAy6vo (zuletzt aufgerufen am 30.10.22)
International Air Transport Association (IATA): In: Iata.org Press Releases (24.10.2018): IATA Forecast Predicts 8.2 billion Air Travelers in 2037. URL https://www.iata.org/en/pressroom/pr/2018-10-24-02/ (zuletzt aufgerufen am 1.11.2022)
Flughafen Wien AG (19.05.2022): Meilenstein für den heimischen Klimaschutz: Mit 24 Hektar größte Photovoltaikanlage Österreichs am Flughafen Wien startet erfolgreich [Pressemitteilung]. URL: https://www.viennaairport.com/unternehmen/presse__news/presseaussendungen__news_2?news_beitrag_id=1652275322055 (zuletzt aufgerufen am 30.10.22)
Verein Gesellschaft zur Selbstkontrolle der Werbewirtschaft (30.07.2022): Misleading ad about flying CO2 neutral on SAF from Vienna to Venice – AUA. URL: https://www.werberat.at/beschwerdedetail.aspx?id=7374 (zuletzt aufgerufen am 30.10.22)
IPCC (2018): Glossar. In: Global Warming of 1.5°C. https://www.ipcc.ch/sr15/chapter/glossary/ (zuletzt aufgerufen am 30.10.22)
Stay Grounded (2021): Factsheet 5 – Synthetic Electro-Fuels. URL: https://stay-grounded.org/wp-content/uploads/2021/09/SG_factsheet_8-21_Synthetic-E-fuels_print_FIN_A4_Korr.pdf (zuletzt aufgerufen am 30.10.22)
Stay Grounded (2021): Factsheet 4 – Biofuels. URL: https://stay-grounded.org/wp-content/uploads/2021/08/SG_factsheet_8-21_Biofuels_print_Lay02.pdf (zuletzt aufgerufen am 30.10.22)
Olivia Leth