Wie sich Fake News verbreiten
Wer die eigene Medienkompetenz überschätzt, ist besonders anfällig für Fake News, zeigt eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien (WU).
Und je mehr Menschen unter Selbstüberschätzung leiden, desto leichter verbreiten sich Falschinformationen.
Studien aus den USA ergaben, dass die meisten Menschen davon überzeugt sind, Fake News erkennen zu können – doch von ihren Mitmenschen glauben sie das weniger. Melis Kartal, Assistenzprofessorin am WU Department für Volkswirtschaft, wollte dieser Diskrepanz auf den Grund gehen: „Diese Studien deuten auf eine deutliche Selbstüberschätzung hin, wenn es darum geht, Fakten von Fiktion zu unterscheiden.“
Gemeinsam mit ihrem Kollegen Jean-Robert Tyran von der Universität Wien hat Kartal untersucht, welche Rolle Selbstüberschätzung bei der Verbreitung von Fake News und Falschinformationen spielt. Konkret ging es ihnen um eine spezielle Art der Selbstüberschätzung, die als „Dunning-Kruger-Effekt“ bezeichnet wird: Wer auf einem Gebiet inkompetent ist, neigt dazu, die eigenen Fähigkeiten auf diesem Gebiet zu überschätzen. Umgekehrt unterschätzen besonders fähige Menschen oft die eigene Kompetenz.
Denn sie wissen nicht, was sie wissen
Mit einem theoretischen Modell haben die Forscher*innen untersucht, wie der Dunning-Kruger-Effekt den Informationsfluss in einer Gesellschaft behindert. Und dort zeigte sich: Fake News und Selbstüberschätzung verstärken sich gegenseitig. Je mehr Falschinformationen im Umlauf sind, desto mehr wird Selbstüberschätzung zum Problem: „Laut unserem Modell beruht die negative gesellschaftliche Wirkung von Fake News und manipulativer Berichterstattung vor allem auf dem Dunning-Kruger-Effekt“, schreiben sie im dazugehörigen Paper.
Ergänzt wurde dieses theoretische Modell durch ein Experiment, bei dem Proband*innen ein Logikquiz lösen und anschließend schätzen mussten, wie sie selbst und die Gruppe abgeschnitten hatten. Dort bestätigte sich das Phänomen: Je mehr Versuchspersonen in einer Gruppe sich selbst überschätzten, desto stärker wichen ihre kollektiven Schätzungen von den tatsächlichen Ergebnissen der Gruppe ab. „Theoretisch kann kollektive Entscheidungsfindung ein geringes Maß an Selbstüberschätzung aufwiegen“, erklärt Melis Kartal. Doch wenn sich viele Personen selbst überschätzen, passiere das Gegenteil und der Dunning-Kruger-Effekt zeige besonders viel Wirkung.
„Diese Ergebnisse sind nicht nur in Bezug auf demokratische Wahlen wichtig, sondern für jede Art der politischen Beteiligung“, sagt Melis Kartal. Und sie zeigen, dass sich das Fake-News-Phänomen auf zwei Arten bekämpfen lässt: Einerseits sei es wichtig, unabhängige Medien zu fördern und durch Regulierung eine zu starke Medienkonzentration zu verhindern. Andererseits sei Bildung – und hier vor allem die Förderung von kritischem Medienkonsum – essenziell, um den Anteil an Menschen, die ihre eigene Medienkompetenz überschätzen, gering zu halten.
Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen:
Fake News, Voter Overconfidence, and the Quality of Democratic Choice. Kartal, M. & Tyran, J-R., 29 Sept 2022, In: American Economic Review. 112, 10, p. 3367-3397 Link zur Studie