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Der selbstgerechte Blick auf die Anderen

Warum denken wir, unsere Meinungen und Lebensweisen seien die einzig richtigen und die Anderen hätten einfach keine Ahnung? Dr. Laura Wiesböck im Interview.

Laura Wiesböck
Die Soziologin Dr. Laura Wiesböck forscht an der Universität Wien zu Sozialer Ungleichheit, Migration und Europäischer Integration.

Wir rufen nach Gleichheit. Warum tun wir dennoch alles, um uns von anderen Gruppen abzugrenzen?


Soziale Gemeinschaften bauen auf Grenzziehungen auf, also auf der Konstruktion eines Unterschieds zwischen „Wir“ und „die Anderen“. Nur selten werden die Anderen lediglich als andersartig eingestuft, viel häufiger auch als geringerwertig.

In Gesellschaften, die von Leistung, Konsum und Vergleichen gelenkt werden, liegen Urteile über andere nahe. Auch Bildung schützt nicht vor Selbsterhöhung. Für viele Menschen mit höherem Bildungsstand ist es eine wahrliche Genugtuung, über die dummen Wähler von rechtspopulistischen Parteien den Kopf zu schütteln. Man erhöht sich selbst, steigert das eigene Selbstwertgefühl und muss sich nicht weiter mit den dahinterstehenden Menschen auseinandersetzen. Es ist ein selbstgerechter Blick auf andere für den eigenen Seelenfrieden.

Die Vertreter jeder politischen Couleur sind von der Richtigkeit ihres Gedankengutes überzeugt und sehen in den Anderen eine Gefahr für Demokratie und Staat. Warum ist politische Vielfalt dennoch wichtig?

Heute rücken Menschen immer mehr voneinander ab, einfach weil sie eine andere Weltsicht vertreten. Es hat den Anschein, als würden Andersdenkende als feindlich gesinnte Menschen wahrgenommen, die uns unser Dasein streitig machen wollen. Die Basis einer offenen und vielfältigen Demokratie ist jedoch Meinungsfreiheit. Das heißt, immer auch Meinungen zu tolerieren, denen man nicht zustimmen kann – sofern sie sich innerhalb der Menschenrechtskonvention befinden. Toleranz hat nichts damit zu tun, einem fremden Standpunkt zuzustimmen, sondern damit, die Existenzberechtigung des Anderen anzuerkennen, auch wenn einen dieses „Andere“ stört. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir das Andere einfach aussperren wollen. Wahre Vielfalt schmerzt.

Fördert die Konsum- und Spaßkultur politisches Desinteresse?


Ich würde nicht sagen, dass es zu einer politischen Abkehr durch die “Konsum- und Spaßkultur” kommt, sondern dadurch, dass viele Bevölkerungsgruppen in der politischen Gestaltung nicht berücksichtigt worden sind. Sie wenden sich deshalb ab, da sie das Gefühl haben nichts bewirken zu können. Denn heute agieren Politiker verstärkt gemäß den Interessen wirtschaftlicher Eliten statt des Gemeinwohls. Parteien lassen sich Wahlkämpfe von Unternehmern und vermögenden Sympathisanten sponsern und nehmen im Gegenzug besondere Rücksicht auf deren Wünsche, etwa in Form der Beschneidung von Arbeitnehmerrechten. Die Konsequenz ist wachsende Ungleichheit und ein Vertrauensverlust in die repräsentative Demokratie, bis hin zu antidemokratischen Ansichten.

Zentral wäre es, die Ursachen für diese Skepsis zu bekämpfen, das Interesse des Gemeinwohls über jenes wirtschaftlicher Eliten zu stellen und anstelle der Wachstumsideologie die Wirtschaft von demokratischen, sozialen und ökologischen Zielen zu leiten.

Was kann jeder Einzelne in festgefahrenen Diskussionen tun?

Ansetzen kann man nur bei sich selbst. Meines Erachtens ist es notwendig, den strengen Blick, den man auf andere wirft, vielleicht des Öfteren auch einmal auf sich selbst zu verlagern. Denn frei von Vorurteilen, Abwertungsmechanismen und Schwarz-weiß-Denken ist niemand. Zumindest auf dieser Ebene sind wir alle gleich.

Das Interview führte: Annemarie Herzog

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Lesetipp: In besserer Gesellschaft, von Laura Wiesböck, erschienen im Verlag Kremayr & Scheriau