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Wir sind Bürger und keine Konsumenten

Kathrin Hartmann erzählt im Interview, warum ethischer Konsum alleine nicht ausreicht, um ein gutes Leben für alle zu erzielen.

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Kathrin Hartmann. Foto: Stephanie Fuessenich Kathrin Hartmann. Foto: Stephanie Fuessenich

Die Ideologie des „Grünen Wachstums“ ist kläglich gescheitert, schreiben Sie in Ihrem aktuellen Buch. Warum?

Dahinter steckt die Idee, man könne mittels technischer Innovation Wachstum und Naturzerstörung voneinander „entkoppeln“. Das würde bedeuten, dass das verschwenderische Wirtschaften und der imperiale Lebensstil gut für die Welt sind. Aber Wachstum verbraucht immer Energie und Rohstoffe, das ist nicht ohne Naturzerstörung zu haben. Besonders deutlich ist das bei Agrarsprit, der als solche „grüne Lösung“ galt: für Biodiesel wurden in Indonesien gigantische Regenwaldflächen abgeholzt, um darauf Palmölplantagen anzulegen.

Sie haben Palmölplantagen besucht, die RSPO zertifiziert sind. Ist die Palmölproduktion durch dieses Siegel nachhaltiger geworden?

Nein. Palmöl ist das billigste und meistverwendete Pflanzenfett der Welt, es steckt auch in jedem zweiten Supermarktprodukt. In Indonesien wachsen Palmöl-Monokulturen auf einer Fläche dreieinhalb Mal so groß wie die Schweiz, wo vorher Regenwald stand. Der Roundtable on Sustainable Palmoil, der das RSPO-Siegel vergibt, ist eine Industrieinitiative, die Mitglieder stammen zum größten Teil aus der Palmölindustrie und ihren Abnehmern. Ich habe ein unvorstellbares Ausmaß an Zerstörung gesehen, auch bei RSPO-Mitgliedern: Landraub, gewaltsame Vertreibung, illegale Rodungen, Kinderarbeit und katastrophale Arbeitsbedingungen.

Shrimps aus Bangladesh – auch solche aus Bio-Aquakulturen – landen auch auf unseren Tellern. Was bewirkt das Bio-Siegel?

Da wo heute Shrimps gezüchtet werden, wuchsen vorher Reis und Gemüse. In den Shrimpsgebieten sind fast 80 Prozent des Ackerlandes für die Landwirtschaft verloren, auch weil die Böden wegen der Shrimps versalzen sind. Man könnte dort so viel Reis anpflanzen, wie jedes Jahr fehlt. Shrimps verschärfen auch die Folgen des Klimawandels, weil für die Aquakultur Mangrovenwald abgeholzt wurde. Bei Bio-Shrimps gibt es höhere Standards, den Bio-Shrimpsbauern geht es etwas besser als konventionellen. Aber selbst wenn alle Shrimpsbecken bio wären, bleibt die Versalzung der Böden, es fehlt Land zur Selbstversorgung und zum Schutz gegen Tropenstürme. Es wäre wichtiger, Shrimpsbecken zu renaturieren – das ist möglich.

Was ist nötig, um Klimawandel, Armut und Hunger in den Griff zu bekommen, wenn wir es nicht mit einem bewussten Konsum schaffen?

Die Menschen, die unter dem Shrimps- und Palmöl-Wahn leiden, wollen keine „nachhaltigen“ Shrimps und kein „nachhaltiges“ Palmöl. Sie wollen Land und Lebensgrundlage zurück, dafür kämpfen sie, obwohl ihnen unvorstellbare Gewalt widerfährt, weil die Elite ihr immenses finanzielles Interesse verteidigt. Sprich: es geht um Macht- nicht um Produktfragen. Schauen sie sich die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP an: wie sollte man daran im Supermarkt etwas ändern? Dagegen gibt es wachsenden Protest, dem sich Millionen angeschlossen haben. Wir müssen Widerstand leisten und uns mit den Bewegungen in den Ländern des Südens solidarisieren.

Was können wir als KonsumentInnen tun?

Aufhören, uns als Konsumenten zu betrachten. Wir sind Bürger, und Bürger haben Rechte. Die sind immer erkämpft worden, Veränderungen wurden nie erkauft. Trotz angeblich massenhaftem „ethischen Konsum“ steigen CO2-Ausstoß und Waldvernichtung, die Rohstoffe gehen rasant zur Neige, die Kluft zwischen arm und reich wächst rapide, Armut und Ausbeutung sind auch im grünen Kapitalismus die wichtigste nachwachsende Ressource. Ein Abschied vom verschwenderischen Lebensstil ist zwar unabdingbar – aber muss das Ergebnis eines geänderten Systems sein, das gerecht ist und ein gutes Leben für alle ermöglicht. Wie das aussehen kann und wie wir es gegen Machtinteressen politisch durchsetzen, damit müssen wir uns gemeinsam beschäftigen.

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Kathrin Hartmann
ist Journalistin und Buchautorin.
Zuletzt von ihr erschienen:
Aus kontrolliertem Raubbau.
Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren. Eine schonungslose Abrechnung mit der Illusion des grünen Wachstums, dem Zynismus von Wirtschaft , Politik und NGO und unserem verschwenderischen Lebensstil. Blessing Verlag.

Das Interview führte: Annemarie Herzog

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