Von Kaleidoskopen und Polsterbergen
Was macht eine künstlerische Begleitforschung?
Der Blick durch ein Kaleidoskop ist faszinierend. Alles wird verzerrt und spiegelt sich, die Umgebung ist noch teilweise erkennbar oder löst sich in bunten Lichtern und abstrakten Mustern auf. Es kann fantastisch aussehen und gleichzeitig verwirrend sein – jedenfalls ist es eine Perspektive, die Überraschungen bereithält. Ich verwende diesen Blick gerne als Metapher für das, was ich als queere Perspektive (engl. queer – andersartig, Anm. der Red.) bezeichne: Eine spielerische und zugleich kritische Art zu schauen, ein Blickwinkel, aus dem inspirierende und befreiende Dinge sichtbar werden und gleichzeitig auch Stereotype oder Machstrukturen, die es abzubauen gilt.
Mit diesem Blick schaute ich als künstlerische Begleitforscherin auf den ASF hub und darauf, inwiefern queere Perspektiven hilfreich für alle Beteiligten sein können. Ich nahm an Veranstaltungen teil, führte Interviews, hielt Workshops und machte Filme: Dieser Teil meiner künstlerisch-forschenden Tätigkeit ermöglichte mir, zu reflektieren und meinen Forschungsprozess so in Szene zu setzen, dass darin queere Perspektiven sichtbar werden.
Künstlerische Forschung und das Einlassen auf den Taumel
Ich begleitete den ASF hub gemeinsam mit dem Künstler*innenduo Ruth Anderwald und Leonhard Grond, die das Doktoratsprogramm Künstlerische Forschung an der Universität für angewandte Kunst Wien leiteten. Für sie ist künstlerische Forschung „ein Lernen mit wissenschaftlichen und künstlerischen Mitteln und Quellen“ – nicht nur Bücher oder Artikel, sondern auch Kunstwerke entstehen und helfen, einem Thema auf den Grund zu gehen. „Durch kreative Tätigkeit lässt sich anders über Veränderungsmöglichkeiten nachdenken. Während wissenschaftliche Begleitforschung objektiv und distanziert untersucht, bindet künstlerische Begleitforschung ihre ‚Objekte‘ ein und bietet künstlerische Herangehensweisen für gemeinsame Reflexion an“, erklären Anderwald und Grond. Wie sehr es zum Beispiel hilft, sich in Gleichgewichtsübungen gegenseitig zu stabilisieren, um die Balance zu halten, macht beispielsweise die Bedeutung von Zusammenhalt körperlich erfahrbar. Eine gemeinsam erstellte Skulptur kann die Projektgruppe visualisieren und dabei unterstützen, zu sehen, wie die Zusammenarbeit läuft und ob Änderungen notwendig sind.
Die Forschung von Anderwald und Grond dreht sich um den Taumel: „Wenn wir uns lang genug um uns selbst drehen, schwindelt uns. Wir werden unsicher und wir nehmen die Welt anders als sonst wahr. Dieses Taumelgefühl setzt auch ein, wenn wir vor einer scheinbar unbewältigbaren Aufgabe stehen: Wir wissen erst nicht, wie wir uns auf das Ziel zubewegen können.“ In ihrer Begleitung wollten Anderwald und Grond Menschen im Taumel besser verstehen und unterstützen: „Gemeinsam mit den Beteiligten im ASF hub reflektierten wir ihre Arbeit – ein großes Thema war dabei der hohe Stresslevel. Daher boten wir Workshops an, wo alle Unterstützung finden und verstehen konnten, dass sie mit ihrem Gefühl nicht allein sind.“ In einem davon wurde gemeinsam eine Skulptur gebaut, die die Gefühle der Gruppe zu ihrer Arbeit ausdrückte und ermöglichte, diese zu betrachten und über sie zu sprechen: Gemeinsamkeiten konnten erkannt, gut laufende Prozesse wertgeschätzt, Probleme benannt und Lösungsansätze entwickelt werden. Das ist das Potenzial, das im Taumeln liegt, so Anderwald und Grond: „Der Taumel erlaubt es uns, die Welt anders als sonst zu betrachten und dadurch leichter zu neuen Sichtweisen zu kommen; aber nur, wenn wir uns geborgen genug fühlen, uns auf das Taumeln und die Unsicherheit einzulassen.“
Queere Perspektiven können stören und aufrütteln, aber auch feiern und Geschafftes zeigen.
RUTH ANDERWALD
UND LEONHARD GROND
Mit queeren Perspektiven zum Erfolg
Eine queere Perspektive kann genau dieses Einlassen und das Navigieren durch den Taumel unterstützen. Sie bedeutet, die Freude am Tun ins Zentrum zu rücken, bewusst unperfekt zu arbeiten und Pausen zu machen. Es geht darum, darüber nachzudenken, wie wir zusammenarbeiten: Welche Dinge tun wir schon immer auf eine gewisse Art und was könnten wir ändern? Beispiele für queere Aspekte im ASF hub waren das experimentelle und spielerische Arbeiten, die Offenheit für Neues und der Versuch, Hierarchien rund um Wissen und Expertise abzubauen. Eine queere Perspektive hilft auch dabei, die eigene hohe Motivation zu nutzen, ohne auszubrennen: Sie stellt Fürsorge und Wohlbefinden in den Vordergrund und denkt Effizienz und Produktivität anders – im ASF hub wurde zum Beispiel Erfolg neu definiert und erfüllenden Gesprächen gleich viel Wert gegeben, wie der Anzahl an aufgestellten Wurmhotels.
Queere Perspektiven können stören und aufrütteln, aber auch feiern und Geschafftes zeigen – so installierten Anderwald, Grond und ich in der Abschlusspräsentation des ASF hubs ein Kunstwerk: Auf den ersten Blick ein Haufen Polster, war es Ergebnis und gemeinsames Notizbuch unserer Forschung. Alle kamen auf dem Polsterberg zusammen und blickten auf die „Actions for a Sustainable Future“ zurück: Worauf sind wir stolz? Welche Veränderungen haben wir ausgelöst? Und was feiern wir heute? Das Kunstwerk wurde zum Notizbuch und Geschenk für alle: Auf den Polstern wurde gezeichnet und geschrieben, hinzugefügt und weggestrichen und Nachrichten für andere Personen verfasst. Am Ende löste es sich auf, da jede*r einen Polster mitnehmen durfte. Es waren Momente wie diese im ASF hub, in denen die künstlerische Begleitforschung Raum für Austausch und Reflexion schaffte und neue Zugänge und Methoden, Ideen und Perspektiven einbrachte.
Leo Hosp